Glass Lewis aktualisiert Abstimmungsrichtlinien für deutsche Hauptversammlungen

von Dr. Cornelius Wilk, veröffentlicht am 14.12.2020

Der Stimmrechtsberater Glass Lewis hat am 9. Dezember 2020 eine aktualisierte, für die kommende HV-Saison gültige Version seiner Proxy Paper Guidelines Germany veröffentlicht. Parallel wurden auch die übergreifenden Proxy Paper Guidelines Continental Europe aktualisiert.

Gender Diversity im Aufsichtsrat

Bei DAX- und ab 2022 auch bei MDAX-Gesellschaften erwartet Glass Lewis unabhängig vom Mitbestimmungsniveau künftig einen Anteil von jeweils mindestens 30 % Frauen und Männern im Aufsichtsrat. In Aufsichtsräten von CDAX-Gesellschaften – also alle im Prime Standard und General Standard notierten Unternehmen – soll jeweils mehr als ein Geschlecht vertreten sein. Eine Differenzierung nach Anteilseigner- und Arbeitnehmerseite nimmt Glass Lewis nicht vor. Ausnahmen sollen im Einzelfall möglich sein, wenn

  • der Aufsichtsrat aus weniger als fünf Mitgliedern besteht und die Gesellschaft überzeugende Gründe für das Verfehlen der Vorgaben nennt oder
  • die Gesellschaft bei Beachtung der nötigen Qualifikations- und „Refreshment“-Anforderungen Fortschritte in Sachen Board Diversity gemacht hat und sich zum Erreichen der Vorgaben in der Zukunft verpflichtet.

Bei Verfehlen der Erwartungen stellt Glass Lewis eine Abstimmungsempfehlung gegen den Vorsitzenden des Nominierungsausschusses oder gegen die Wahl eines neuen Aufsichtsratskandidaten in Aussicht. Glass Lewis schwenkt damit insgesamt auf eine ähnliche Richtung ein wie zuletzt ISS (hierzu mein Beitrag vom 24. November 2020).

Bestellung von Aufsichtsratsmitgliedern weiterhin auch auf fünf Jahre

Die zuletzt in die Kritik geratene Ausschöpfung des rechtlich maximal möglichen Bestellungszeitraums von fünf Jahren (§ 102 AktG) soll nicht zur Ablehnung eines Wahlvorschlags für den Aufsichtsrat führen. Stattdessen soll Bedenken hinsichtlich der Leistung des Organs oder einzelner Mitglieder bei der Entlastung Rechnung getragen werden. Glass Lewis belässt es damit bei der bisherigen Linie, deutet aber gleichzeitig an, hierin keine langfristige Festlegung zu sehen („at this time“).

Vergütungsvoten

Änderungen bei den Vorstellungen zu Vergütungsbericht und -system nimmt Glass Lewis im Gleichschritt mit den diesjährigen Neuerungen durch das ARUG II und den neuen DCGK vor. Die Richtlinien lehnen sich damit weiterhin eng an die gesetzlichen und die Kodex-Vorgaben an. Wie schon in der letzten Auflage der Richtlinien erwartet Glass Lewis allerdings unverändert, dass für die Vergütungsberichterstattung die Mustertabellen des DCGK 2017 verwendet werden. Diese Empfehlung ist im aktuellen DCGK nicht mehr enthalten.

Ethnic Diversity, Human Capital Management, ESG

Europaweit kündigt Glass Lewis an, in schwerwiegenden Fällen selbst aktiv zu werden („recommend shareholder action“), wenn auf Board-Level berechtigte Anliegen ignoriert werden, die die Diversität der Nationalität und ethnischen Herkunft von Organmitgliedern oder Arbeitnehmern oder die einschlägigen Diversity- und Inclusion-Richtlinien der Gesellschaft betreffen. Wird berechtigten Bedenken in Bezug auf das allgemeine Human Capital Management der Gesellschaft nicht Rechnung getragen, stellt Glass Lewis eine Stimmabgabe gegen zuständige Organmitglieder in Aussicht. ESG-Gesichtspunkten will Glass Lewis in mehrerer Hinsicht Aufmerksamkeit schenken, insbesondere in Bezug auf eine angemessene Überwachung von ESG-Faktoren durch Organmitglieder.

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