"Ich widerspreche der Beweisverwertung": Gericht kann das gut und gerne ignorieren...

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 20.03.2022
Rechtsgebiete: Verkehrsrecht|4879 Aufrufe

So habe ich das auch noch nicht gelesen. Der Betroffene wehrte sich gegen die Verwertung eines Messergebnisses. Die Verteidigung widersprach der Beweisverwertung. Das Amtsgericht beschloss daraufhin nicht weiter, sondern verurteilte. "Kann man so machen", meint das OLG Düsseldorf:

 

b) Der Widerspruch, den der Verteidiger zu Beginn der Hauptverhandlung gegen die Verwertung des mit dem Laserscanner PoliScan FM1 (Softwareversion 4.4.9) ermittelten Messergebnisses angebracht hat, bedurfte keiner Bescheidung durch das Amtsgericht, so dass insoweit weder das rechtliche Gehör versagt noch der Grundsatz des fairen Verfahrens verletzt wurde.

 Nach der sog. Widerspruchslösung der Rechtsprechung besteht kein Beweisverwertungsverbot, wenn der verteidigte oder insoweit richterlich belehrte Angeklagte der Beweisverwertung nicht bis zu dem in § 257 Abs. 1 StPO genannten Zeitpunkt widerspricht (vgl. statt vieler: BGH NStZ 2006, 348; NStZ 1997, 502; OLG Hamm NJW 2009, 242). Fehlt es an einem solchen Widerspruch, führt dies für die Revision zur Rügepräklusion (vgl. BGH NJW 2015, 265, 266; NJW 2018, 2279; OLG Celle NStZ 2014, 118, 119). Die Widerspruchsobliegenheit besteht auch im Bußgeldverfahren (vgl. Senat BeckRS 2019, 25099 = DAR 2020, 209; OLG Brandenburg BeckRS 2020, 4261; OLG Zweibrücken BeckRS 2020, 5104).

 Wird in der Hauptverhandlung seitens der Verteidigung Widerspruch gegen die Verwertung eines Beweismittels erhoben, ist ein Zwischenbescheid, in dem sich das Tatgericht zur Frage eines Beweisverwertungsverbots äußern müsste, nicht vorgesehen, wenn auch nicht unzulässig (vgl. BGH NStZ 2007, 719; nachfolgend in der derselben Sache: BVerfG BeckRS 2009, 140731). Der Widerspruch dient der Vermeidung der Rügepräklusion und soll dem Tatgericht in der Hauptverhandlung verfahrensfördernd die Möglichkeit und Veranlassung geben, dem gerügten Verfahrensfehler freibeweislich nachzugehen (vgl. BGH NJW 2007, 3587, 3589; NJW 2018, 2279, 2280). Ein solcher Aufklärungsbedarf bestand vorliegend nicht, da die tatsächlichen Gegebenheiten des hier verwendeten Messverfahrens (Laserscanner PoliScan FM1, Softwareversion 4.4.9) bekannt sind. Zudem hatte der Verteidiger selbst ein Privatgutachten vorgelegt, das sich grundsätzlich mit diesem Messgerätetyp nebst neuer Softwareversion wie auch mit der konkreten Messung befasste.

 Im Übrigen konnte sich der Verteidiger - der Betroffene war nach Entbindung von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen selbst nicht anwesend - auch ohne ausdrückliche Erklärung des Amtsgerichts auf das weitere Verfahren einstellen. Denn es hat das Messergebnis (Messprotokoll, Datenfeld des Messfotos, XML-Datei) nach Erhebung des Widerspruchs in die Hauptverhandlung eingeführt, was darauf schließen ließ, dass es diese Beweismittel auch unter Berücksichtigung des Widerspruchs und dessen Begründung verwerten wollte.

 Auch in dem schriftlichen Urteil musste das Amtsgericht den Widerspruch nicht bescheiden. Ausführungen zur Verwertbarkeit von Beweismitteln sind in § 267 StPO nicht vorgesehen und von Rechts wegen nicht geboten (vgl. BGH NStZ-RR 2007, 244; NJW 2009, 2612, 2613). Welches Messverfahren verwendet wurde, ist in dem Urteil festgestellt worden. Anders als etwa im Falle der Beanstandung einer polizeilichen Beschuldigtenvernehmung bedurfte es im Hinblick auf das geltend gemachte Beweisverwertungsverbot keiner weiteren Sachaufklärung. Durch die Verwertung des Messergebnisses hat das Amtsgericht inzident klar zum Ausdruck gebracht, dass es den zur Kenntnis genommenen Widerspruch nicht für durchgreifend erachtet hat und der oben zitierten Rechtsprechung des übergeordneten Senats wie auch zahlreicher anderer Oberlandesgerichte gefolgt ist. Ein Erkenntnisgewinn für den Verteidiger, dem diese Rechtsprechung ohnehin bekannt ist, hätte sich nicht ergeben, wenn der Widerspruch in den Urteilsgründen unter Hinweis auf einige Fundstellen der ständigen OLG-Rechtsprechung ausdrücklich beschieden worden wäre.

 Bei dem Widerspruch handelt es sich um eine den Betroffenen bzw. Verteidiger treffende Obliegenheit, deren Erfüllung Voraussetzung für die Verfahrensrüge in der Rechtsbeschwerdeinstanz ist. Das Amtsgericht konnte sich zu dem Widerspruch äußern, musste dies aber nicht. Ein Verwertungswiderspruch ist unter den Gesichtspunkten des rechtlichen Gehörs und des fairen Verfahrens nicht einem Antrag gleichzustellen, den das Tatgericht zu bescheiden hat (z. B. Beweisantrag, Antrag auf Aussetzung der Hauptverhandlung).

OLG Düsseldorf Beschl. v. 22.2.2022 – 2 RBs 25/22, BeckRS 2022, 2799 

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