BGH: Startgutschriften für rentenferne Versicherte in der VBL-Zusatzversorgung rechtmäßig

von Prof. Dr. Christian Rolfs, veröffentlicht am 30.10.2023
Rechtsgebiete: Bürgerliches RechtArbeitsrecht|1378 Aufrufe

20 Jahre ist es her, dass die Zusatzversorgung der im öffentlichen Dienst von Bund und Ländern Beschäftigten grundlegend novelliert worden ist. Das frühere, an die Beamtenversorgung angelehnte Gesamtversorgungssystem ist auf ein beitragsorientiertes Punktesystem umgestellt worden. Von Anfang an war nicht nur die Systemumstellung als solche und die mit ihr verbundene Eigenbeteiligung der Arbeitnehmer an den Beiträgen umstritten, sondern auch die Berechnung der Startgutschriften für die Versicherten, die von dem früheren in das neue System überführt worden sind. Die Satzung der VBL differenziert auf der Grundlage der einschlägigen Tarifverträge zwischen rentennahen und rentenfernen Jahrgängen.

Nachdem der BGH in der Vergangenheit die Berechnung der Startgutschriften mehrfach beanstandet und die Tarifvertragsparteien aufgefordert hatte, gesetzeskonforme Neuregelungen zu treffen, hat der IV. Zivilsenat nun mit Grundsatzurteil vom 20.9.2023 die Systemumstellung für rentenferne Versicherte gebilligt:

Es begegne keinen rechtlichen Bedenken, dass bei der Ermittlung der Startgutschrift für die Berechnung der Voll-Leistung die von der Höchstversorgung in Abzug zu bringende voraussichtliche gesetzliche Rente des Versicherten nicht individualisiert, sondern nach dem bei der Berechnung von Pensionsrückstellungen zulässigen Näherungsverfahren zu ermitteln ist. Die Anwendung des Näherungsverfahrens verstoße namentlich nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz. Sie bewirke auch keine unzulässige Benachteiligung wegen des Geschlechts. Aus Rechtsgründen sei ebenfalls nicht zu beanstanden, dass der Startgutschriftenermittlung nunmehr ein gleitender Anteilssatz von 2,25 % bis 2,5 % für jedes Jahr der Pflichtversicherung zugrunde liegt. Es verstoße weder gegen Art. 3 Abs. 1 GG noch bewirke es eine unzulässige Benachteiligung wegen des Alters, dass Versicherte mit einem Eintrittsalter von mehr als 25 Jahren infolge der Deckelung des Anteilssatzes auf 2,5 % die höchstmögliche Versorgung auch theoretisch nicht erreichen können. Der gleitende Anteilssatz bewirke ferner keine neue unzulässige Ungleichbehandlung wegen des Alters der vor Vollendung des 25. Lebensjahres in den öffentlichen Dienst eingetretenen Versicherten. Die Übergangsregelung für rentenferne Versicherte sei schließlich auch unter dem Gesichtspunkt der Verteilungsgerechtigkeit nicht zu beanstanden. Eine einseitige Belastung bestimmter Versichertengruppen - wie bei der früheren Übergangsregelung - liege nicht mehr vor.

Amtliche Leitsätze:

1. Die infolge der Systemumstellung der Zusatzversorgung des öffentlichen Dienstes zum 31. Dezember 2001 mit der 23. Satzungsänderung vom März 2018 neu gefasste Übergangsregelung in § 78 Abs. 1 und 2, § 79 Abs. 1 und 1a der Satzung der Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder (VBLS) zur Ermittlung von Startgutschriften für rentenferne Versicherte ist wirksam (Fortführung der Senatsurteile vom 14. November 2007 – IV ZR 74/06, BGHZ 174, 127; vom 9. März 2016 – IV ZR 9/15, BGHZ 209, 201).

2. Bei Berechnung der maximal erreichbaren Zusatzrente (Voll-Leistung) im Rahmen der Startgutschriftenermittlung darf die von der Höchstversorgung in Abzug zu bringende gesetzliche Rente gemäß § 79 Abs. 1 Satz 1 VBLS in Verbindung mit § 18 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 Buchst. f BetrAVG nach dem bei der Berechnung von Pensionsrückstellungen für die Berücksichtigung von Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung allgemein zulässigen Verfahren (Näherungsverfahren) ermittelt werden. Die ausschließliche Anwendung des Näherungsverfahrens verletzt den Allgemeinen Gleichheitssatz nicht und bewirkt keine unzulässige Benachteiligung des Versicherten wegen des Geschlechts, bei einer Teilzeitbeschäftigung oder wegen einer Behinderung.

3. Die Regelung in § 79 Abs. 1 Satz 3 bis 8 VBLS in Verbindung mit § 18 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 BetrAVG, nach der in Abhängigkeit von der Zeit zwischen Beginn der Pflichtversicherung und Vollendung des 65. Lebensjahrs des Versicherten für jedes Jahr der Pflichtversicherung 2,25% bis 2,5% der Voll-Leistung erworben werden, verletzt den Allgemeinen Gleichheitssatz nicht und bewirkt keine unzulässige Benachteiligung des Versicherten wegen des Alters.

BGH, Urt. vom 20.9.2023 - IV ZR 120/22, BeckRS 2023, 26036

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