BGH: Zahlungsanweisungen von Glücksspielteilnehmern sind wirksam

von Prof. Dr. Marc Liesching, veröffentlicht am 30.10.2023

Der 11. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat sich im Urteil vom 19.9.2023 (Az. XI ZR 343/22) zum wiederholten Mal (vgl. bereits BGH, Beschl. v. 13.9.2022 – XI ZR 515/21, ZfWG 2023, 51 ff.) mit der Wirksamkeit nutzerseitig autorisierter Zahlungen im Kontext der Glücksspielteilnahme befasst und sich dabei auch mit dem glücksspielrechtlichen Zahlungsmitwirkungsverbot des § 4 Abs. 1 S. 2 GlüStV auseinander gesetzt. Selbst ein Verstoß hiergegen, welcher im vorliegenden Verfahren schon nicht festgestellt worden war, begründe keine Nichtigkeit entsprechender Zahlungsanweisungen, da die glücksspielrechtliche Verwaltungsnorm kein gesetzliches Verbot mit Nichtigkeitsfolge nach § 134 BGB sei. Die Entscheidung ist insbesondere für Kreditinstitute und Zahlungsdienstleister von praktischer Bedeutung, da sie grundsätzlich der reibungslosen Zahlungsabwicklung den Vorrang gegenüber proaktiven Überprüfungs- und Warnpflichten im Zusammenhang mit dem glücksspielrechtlichen Zahlungsmitwirkungsverbot einräumt. Dies weist möglicherweise auch Implikationen für glücksspielverwaltungsrechtliche Fragestellungen auf.

I. Zum Sachverhalt

1. Die Klägerin ist ein in England eingetragenes E-Geld- und Zahlungsinstitut, das Zahlungsdienste online anbietet. Der beklagte Nutzer hatte bei der Klägerin ein Konto eröffnet und bei seiner Registrierung als Referenzkonto das Kundenkonto seiner deutschen Hausbank hinterlegt. Der beklagte Nutzer lud das Konto bei der Klägerin mehrmals per Online-Überweisung mit PIN/TAN-Verfahren auf. Sobald die jeweils bestätigte Zahlungsanweisung an die Hausbank erfolgte, leitete ein Zahlungsauslösedienst eine Nachricht an das englische Zahlungsinstitut der Klägerin mit dem Inhalt weiter, dass der Kunde eine unwiderrufliche Zahlungsanweisung an seine Hausbank übermittelt habe. Nachdem diese Nachricht bei der Klägerin eingegangen war, schrieb sie den Aufladungsbetrag gut, ohne jedoch das Geld von der Hausbank des Kunden bereits erhalten zu haben (dies dauerte in der Regel einige Bankwerktage).

Der beklagte Nutzer loggte sich mit seinem Benutzernamen und Passwort in sein Konto bei der Klägerin ein und erteilte ihr Zahlungsaufträge zugunsten des Online-Casinos M., bis sein Konto einen Saldo von 0 € aufwies. Der beklagte Nutzer stornierte dann die getätigten Online-Überweisungen bei seiner Hausbank zur Aufladung des Online-Kontos bei der Klägerin, woraufhin diese Klage erhob und insbesondere die Erstattung des stornierten Aufladungsbetrags (in Höhe von 2.500 €) begehrte.

2. Die vorinstanzliche Berufungsinstanz (LG Berlin, Urt. v. 23.6.2022 – 21 S 25/20) hatte die Klage abgewiesen, da ein vertraglicher Anspruch nicht bestehe. Zwischen den Parteien sei zwar ein Zahlungsdiensterahmenvertrag nach § 675f Abs. 1 BGB zustande gekommen, der grundsätzlich unter den Voraussetzungen des § 675c Abs. 1, §§ 670, 675 BGB auch einen Aufwendungsersatzanspruch gegen seinen Vertragspartner begründe. Die Klägerin – namentlich das englische Zahlungsinstitut – habe aber die Aufwendungen nicht für erforderlich halten dürfen, weil ihre Zahlungen an das Onlinecasino M. gegen das gesetzliche Verbot der Mitwirkung an Zahlungen im Zusammenhang mit unerlaubtem Glücksspiel gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 GlüStV 2012 verstießen.

II. Wesentliche rechtliche Erwägungen des 11. Senats

1. Überblick

Der BGH ist dieser Auslegung des Berufungsgerichts in der revisionsrechtlichen Überprüfung nicht gefolgt. Der 11. Senat hat vielmehr angenommen, dass der Klägerin gegen den beklagten Kunden (bzw. am Glücksspiel teilnehmenden Nutzer) ein Zahlungsanspruch in voller Höhe aus §§ 675c Abs. 1 i.V.m. § 670 BGB zustehe.

Richtigerweise wird die Frage einer etwaigen Nichtigkeit nach § 134 BGB im Rahmen der Prüfung des Anspruchsausschlusses gemäß § 675u BGB erörtert. Danach hat der Zahlungsdienstleister im Fall eines „nicht autorisierten Zahlungsvorgangs“ gegen den Zahler keinen Anspruch auf Erstattung seiner Aufwendungen. Entsprechend ist maßgeblich, ob die von dem Beklagten Nutzer erfolgten Zahlungsanweisungen aufgrund einer etwaigen Nichtigkeit gemäß § 134 BGB i.V.m. § 4 Abs. 1 Satz 2 Fall 2 GlüStV als „nicht autorisiert“ angesehen werden können.

Der 11. Senat hat dies aber in der Folge seiner bereits zuvor ergangenen Rechtsprechung (BGH, Beschl. v. 13.9.2022 – XI ZR 515/21, ZfWG 2023, 51, insb. Rn. 10 ff.) verneint, da das glücksspielrechtliche Zahlungsmitwirkungsverbot eben kein gesetzliches Verbot mit Nichtigkeitsfolge sei (hierzu sogleich 2.).

Darüber hinaus hat der Bundesgerichtshof auch Gegenansprüche des Zahlungsdienstnutzers verneint; solche erwachsen ihm insbesondere nicht aus etwaigen Warn- und Prüfpflichten des Zahlungsdienstleisters, da derartige Pflichten im Kontext der Glücksspielteilnahme mit Blick auf eine einfache und schnelle Abwicklung gerade nicht bestehen (hierzu unten 3.).

2. Keine Nichtigkeit der Zahlungsautorisierung

Der BGH verweist dabei hinsichtlich der Begründung der fehlenden Nichtigkeit nach § 134 BGB im aktuellen Urteil vom 19.9.2023 auf den vorherigen Senatsbeschluss vom 13.9.2022. In diesem hat der Bundesgerichtshof unter Verweis auf seine ständige Rechtsprechung ausgeführt, dass ein Verstoß gegen ein Verbotsgesetz in der Regel die Nichtigkeit eines Rechtsgeschäfts nur dann zur Folge hat, wenn sich das Verbot gegen beide Seiten richtet (vgl. BGH, Urt. v. 10.7.1991 – VIII ZR 296/90, BGHZ 115, 123, 125; BGH, Urt. v. 14.12.1999 – X ZR 34/98, BGHZ 143, 283, 287; BGH, Urt. v. 25.7.2002 – III ZR 113/02, BGHZ 152, 10, 11 f.; BGH Urt. v. 17.6.2004 – III ZR 271/03, BGHZ 159, 334, 341 f.). Dies sei aber bei § 4 Abs. 1 S. 2 GlüStV (2012) nicht der Fall, da sich das Verbot lediglich einseitig an den Zahlungsdienstleister richte. Zur Begründung nimmt der 11. Senat eine rechtssystematische und teleologische Auslegung des glücksspielrechtlichen Zahlungsmitwirkungsverbots vor. Da diese möglicherweise auch Implikationen für das Glücksspielverwaltungsrecht aufweist (hierzu unten III.), wird sie nachfolgend nochmals kursorisch dargestellt:

  • Zunächst geht der Senat rechtssystematisch davon aus, dass die materielle Verwaltungsnorm des Zahlungsmitwirkungsverbots des § 4 Abs. 1 S. 2 GlüStV (2012) nur kombiniert mit den weiteren Voraussetzungen eines behördlichen Vorgehens nach § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 4 GlüStV (2012) ausgelegt werden kann (BGH, Beschl. v. 13.9.2022 – XI ZR 515/21, ZfWG 2023, 51, 53 Rn. 14 unter Verweis auf Hendricks/Lüder, ZfWG 2020, 216, 220 sowie die Gegenmeinung im Schrifttum).
  • Gestützt werde dies durch eine teleologische Auslegung nach dem Willen der Landesgesetzgeber, dass „beide Vorschriften in einem Zusammenhang zu sehen“ seien (BGH, Beschl. v. 13.9.2022 – XI ZR 515/21, ZfWG 2023, 51, 53 Rn. 15 unter Verweis u.a. auf Bayer. LT-Drucks. 16/11995, S. 21 f.).

Auf der Grundlage dieser Auslegung ist der Bundesgerichtshof davon ausgegangen, dass durch § 4 Abs. 1 Satz 2 Fall 2 GlüStV (2012) nicht in das zivilrechtliche Schuldverhältnis zwischen Zahlungsdienstleister und Zahlungsdienstnutzer eingegriffen werden soll.

3. Keine Prüf- und Warnpflichten des Zahlungsdienstleisters

Der BGH hat einen Zahlungsanspruch des klagenden Zahlungsdienstleisters gegen den am Glücksspiel teilnehmenden, beklagten Kunden auch nicht deshalb abgelehnt, weil Letzterem etwaige Gegenansprüche zustünden, mit denen dieser hätte gemäß § 389 BGB aufrechnen können. Insbesondere habe der Zahlungsdienstleister nach der Auslegung des 11. Senat keine schadensersatzbewehrte Warnpflicht, welche im vorliegenden Fall als verletzt hätte angesehen werden können.

Eine Warnpflicht des klagenden Zahlungsdienstleisters gegenüber dem am Glücksspiel teilnehmenden Kunden wurde bereits deshalb verneint, weil sich der beklagte Kunde „selbst am unerlaubten Glücksspiel beteiligt hat“ (BGH, Urt. v. 19.9.2023 – XI ZR 343/22, Rn. 25). Damit waren ihm die eine Warnpflicht begründenden tatsächlichen Umstände bekannt und es fehlte an einer überlegenen Sachkunde des Zahlungsdienstleisters, die kennzeichnend für das Bestehen einer Warnpflicht ist.

Von besonderer Bedeutung – auch für das Glücksspielverwaltungsrecht (hierzu sogleich III.) – sind in diesem Zusammenhang die weiteren Ausführungen des BGH zur möglichen Überantwortung von Prüf- und Warnpflichten im Rahmen der (reibungslosen) Abwicklung des Zahlungsverkehrs, welche die Ausführungen des bereits vor einem Jahr ergangenen Senatsbeschluss bestätigen (vgl. BGH, Beschl. v. 13.9.2022 – XI ZR 515/21, ZfWG 2023, 51, 54 Rn. 22).

Der Bundesgerichtshof geht weiterhin davon aus, dass sich ein Zahlungsdienstleister im bargeldlosen Zahlungsverkehr „grundsätzlich nicht um die beteiligten Interessen seiner Kunden kümmern“ muss, „weil er nur zum Zweck der technisch einwandfreien, einfachen und schnellen Abwicklung tätig wird (BGH, Urt. v. 19.9.2023 – XI ZR 343/22, Rn. 24, u.a. unter Verweis auf BGH, Urt. v. 6.5.2008 – XI ZR 56/07, BGHZ 176, 281 Rn. 14). Nur „ausnahmsweise“ gelte etwas anderes, wenn Treu und Glauben es nach den Umständen des Falles gebieten, den Zahlungsauftrag nicht ohne vorherige Rückfrage beim Kunden auszuführen, um diesen vor einem möglicherweise drohenden Schaden zu bewahren. Einen solchen Ausnahmefall hat der 11. Zivilsenat etwa angenommen, wenn eine Bank aufgrund massiver Anhaltspunkte den Verdacht hegt, dass ein Kunde bei der Teilnahme am bargeldlosen Zahlungsverkehr durch eine Straftat einen anderen schädigen will (vgl. BGH, Urt. v. 19.9.2023 – XI ZR 343/22, Rn. 24, u.a. unter Verweis auf BGH, Urt. v. 6.5.2008 – XI ZR 56/07, BGHZ 176, 281 Rn. 15).

In Abgrenzung von derartigen Ausnahmen betont der Bundesgerichtshof aber nochmals, dass demgegenüber eine generelle Prüfpflicht nicht begründet wird. In der Urteilsbegründung wird hierzu im Wortlaut ausgeführt:

„Die Bank oder ein anderer Zahlungsdienstleister muss aber weder generell prüfen, ob die Abwicklung eines Zahlungsverkehrsvorgangs Risiken für einen Beteiligten begründet, noch Kontobewegungen allgemein und ohne besondere Anhaltspunkte überwachen. Eine Warnpflicht besteht erst dann, wenn die Bank ohne nähere Prüfung im Rahmen der normalen Bearbeitung eines Zahlungsverkehrsvorgangs aufgrund einer auf massiven Verdachtsmomenten beruhenden objektiven Evidenz den Verdacht einer Veruntreuung schöpft“ (BGH, Urt. v. 19.9.2023 – XI ZR 343/22, Rn. 24 mwN zur Senatsrechtsprechung).

Gemessen „an diesen Grundsätzen“ hat der BGH eine Warnpflicht des klagenden Zahlungsdienstleisters gerade verneint.  

III. Implikationen für das Glücksspielverwaltungsrecht

1. Im Wesentlichen unveränderte Rechtslage nach GlüStV 2012 und 2021

Mögliche Schlussfolgerungen aus dem Senatsurteil mit Blick auf die aktuelle Glücksspielrechtslage sind zunächst nicht deshalb ausgeschlossen, weil die Entscheidung des BGH noch zum GlüStV 2012 ergangen ist. Denn das materielle Zahlungsmitwirkungsverbot des § 4 Abs. 1 S. 2 gilt auch im Rahmen des GlüStV 2021 unverändert fort. Und auch die Ermächtigungsnorm des § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 4 GlüStV zu Anordnungen des Payment-Blocking hat im Rahmen der Novellierung 2021 (lediglich) insofern eine Veränderung erfahren, als nunmehr das Subsidiaritätserfordernis eines vorrangigen Vorgehens gegen den jeweiligen Veranstalter oder Vermittler eines unerlaubten Glücksspiels negiert wird.

2. Rechtssystematische Korrelation von Zahlungsmitwirkungsverbot und Aufsichtsmaßnahme

Von einer möglicherweise erheblichen praktischen Bedeutung ist die seitens des 11. Zivilsenats aufrechterhaltene kombinierte Lesart derart, dass die materielle Verwaltungsnorm des Zahlungsmitwirkungsverbots des § 4 Abs. 1 S. 2 GlüStV nur im Zusammenhang mit den weiteren Voraussetzungen eines behördlichen Vorgehens nach § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 4 GlüStV ausgelegt werden könne. Insoweit referenziert der BGH auf seine Auslegung im Beschluss vom 13.9.2022 (XI ZR 515/21, ZfWG 2023, 51, 53 Rn. 14 f.), an der er im aktuellen Urteil festhält.

Die kombinierte Lesart des Bundesgerichtshofs, welche u.a. darauf gestützt wird, dass auch die Landesgesetzgeber das materielle Zahlungsmitwirkungsverbot des § 4 Abs. 1 S. 2 GlüStV einerseits und die Aufsichtsmaßnahme des § 4 Abs. 1 S. 2 GlüStV in einem Zusammenhang gesehen haben (BGH, Beschl. v. 13.9.2022, aaO., Rn. 15 unter Verweis auf Bayer- LT-Drs. 16/11995, S. 21 f. und 27), legt nahe, dass auch im Rahmen der verwaltungsrechtlichen Anwendung das materielle Zahlungsmitwirkungsverbot des § 4 Abs. 1 S. 2 GlüStV erst in Kombination mit einer behördlichen Anordnung nach § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 4 GlüStV von Banken und sonstigen Zahlungsdienstleistern zu beachten ist.

Informelle Hinweise der GGL gegenüber solchen Zahlungsinstituten ohne aufsichtlichen Verwaltungsakt würden demgegenüber noch keine Rechtswirkungen und insbesondere keine allgemeine Pflicht zur Beachtung des § 4 Abs. 1 S. 2 GlüStV begründen. Und auch eine Bußgeldahndung nach § 28a Abs. 1 Nr. 2 GlüStV käme dürfte der kombinierenden Auslegung des BGH entgegen dem Wortlaut des Bußgeldtatbestands eher nicht in Betracht kommen, solange nicht auch eine Anordnung unter den weiteren Voraussetzungen des § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 4 GlüStV gegen den betreffenden Zahlungsdienstleister ergangen ist.

3. Umsetzung des Zahlungsmitwirkungsverbots nach § 4 Abs. 1 S. 2 GlüStV

a) Tatsächliche Möglichkeit – Fehlende Evidenz eines Rechtsverstoßes

Gestützt würde eine derartige Auslegung auch dadurch, dass nach weit verbreiteter Meinung im Schrifttum erhebliche Zweifel daran bestehen, ob Bankinstitute und andere Zahlungsdienstleister allein auf der Grundlage des allgemeinen Zahlungsmitwirkungsverbots des § 4 Abs. 1 S. 2 GlüStV überhaupt bei der Prüfung von Transaktionen ermitteln können, ob diese im Zusammenhang mit „unerlaubtem Glücksspiel“ stehen, insbesondere bzgl. einer konkreten Teilnahme an einem solchen durch den Kunden (vgl. hierzu jüngst König/Sarafi/Mezey, ZfWG 2023, 220 ff.; ferner Berberich/Koenig, ZfWG 2020, 200, 203; C.Hambach/Brenner in: Streinz/Liesching/Hambach, Glücks- und Gewinnspielrecht in den Medien, 2014, § 9 GlüStV Rn. 58 ff.; s.a. Stellungnahme der Kreditwirtschaft zum Notifizierungsverfahren bezüglich des GlüStV 2021, v. 4.8.2020, S. 3: „Zweck der Zahlungen nicht erkennbar“).

Der BGH bringt dies vorliegend im Rahmen der Verneinung einer Warnpflicht der Zahlungsdienstleister dadurch zum Ausdruck, dass es in der Regel an einer „auf massiven Verdachtsmomenten beruhenden objektiven Evidenz“ gerade fehle (vgl. BGH, Urt. v. 19.9.2023 – XI ZR 343/22, Rn. 24 mwN zur Senatsrechtsprechung). Nur wenn im Einzelfall ausnahmsweise nach Untersuchungen der Behörde (vgl. §§ 24, 25 VwVfG) eine entsprechende Evidenz gegeben ist und gesichert erscheint, dass Zahlungsdienstleister ein Payment-Blocking in Bezug auf konkrete Transaktionen mit  einem offensichtlichen Zusammenhang zum unerlaubten Glücksspiel tatsächlich umsetzen können,  kann dies konkretisierend und spezifiziert auf diese Fälle eine Untersagungsverfügung nach § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 4 GlüStV rechtfertigen.

b) Rechtliche Möglichkeit der Umsetzung

Die Rechtsprechung des 11. Zivilsenats stützt mittelbar auch die im Schrifttum vertretene Auffassung, dass eine Ermittlung einschlägiger Transaktionen in Bezug auf „unerlaubtes Glücksspiel“ den Zahlungsdienstleistern auch aus rechtlichen, insbesondere datenschutzrechtlichen Gründen nicht möglich ist (vgl. zuletzt Helfrich, MMR 2023, 649 ff.; zur alten Rechtslage bereits Rossi/Sandhu, ZD 2018, 151, 153; s.a. Berberich/Koenig, ZfWG 2020, 200, 203; ferner Dünchheim in: Dünchheim, Glücksspielrecht – Kommentar, 2022, § 9 GlüStV Rn. 25). Denn eine Legitimation der Ermittlung personenbezogener Transaktionsdaten des Kunden/Nutzers durch den Zahlungsdienstleister kann gerade vor dem Hintergrund der aktuellen BGH-Rechtsprechung auch nicht damit begründet werden, dass die Verarbeitung nach Art. 6 Abs. 1 UA 1 c) DSGVO zur Erfüllung einer rechtlichen Verpflichtung erforderlich sei, welcher der Verantwortliche unterliegt.

Der BGH geht nämlich in solchen Konstellationen, die im Zusammenhang mit dem Zahlungsmitwirkungsverbot des § 4 Abs. 1 S. 2 GlüStV stehen könnten, davon aus, dass sich der Zahlungsdienstleister „grundsätzlich nicht um die beteiligten Interessen seiner Kunden kümmern“ muss, „weil er nur zum Zweck der technisch einwandfreien, einfachen und schnellen Abwicklung tätig wird (BGH, Urt. v. 19.9.2023 – XI ZR 343/22, Rn. 24, u.a. unter Verweis auf BGH, Urt. v. 6.5.2008 – XI ZR 56/07, BGHZ 176, 281 Rn. 14). Die Bank oder ein anderer Zahlungsdienstleister müsse „weder generell prüfen, ob die Abwicklung eines Zahlungsverkehrsvorgangs Risiken für einen Beteiligten begründet, noch Kontobewegungen allgemein und ohne besondere Anhaltspunkte überwachen“.

Danach können aber auch Datenerhebungen oder sonstige Datenverarbeitungsvorgänge zur Ermittlung weiterer Hintergründe eines Zahlungsvorgangs oder zur Spezifikation eines Zusammenhangs mit „unerlaubtem Glücksspiel“ datenschutzrechtlich nicht mit dem Bestehen einer rechtlichen Verpflichtung des Zahlungsdienstleisters begründet werden. Dies soll nach in der Literatur ausgeführten beachtlichen Gründen selbst dann gelten, wenn eine konkrete Anordnung nach § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 4 GlüStV vorliegt (vgl. Helfrich, MMR 2023, 649, 652; Rossi, Europa- und datenschutzrechtliche Rahmenbedingungen für Maßnahmen des Financial Blocking auf der Grundlage von § 9 Abs. 1 Satz 3 Nummer 4 GlüStV, Rechtsgutachten, 2017, S. 64.).

c) Verhältnismäßigkeit glücksspielbehördlicher Anordnungen

Schließlich können sich aus der aktuellen BGH-Rechtsprechung auch Implikationen hinsichtlich der Verhältnismäßigkeit von Zahlungsmitwirkungsuntersagungen nach § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 4 GlüStV ergeben. Solche sind grundsätzlich mit einer erheblichen Eingriffsintensität verbunden. Dies ergibt sich schon aus der bereits erwähnten Unmöglichkeit einer spezifischen Ermittlung relevanter Transaktionen in Bezug auf „unerlaubtes Glücksspiel“ und einem deshalb ggf. in Kauf zu nehmenden kollateralen Abbruch erlaubter Zahlungen i.S.e. „Overblockings“ (s.a. C.Hambach/Brenner in: Streinz/Liesching/Hambach, Glücks- und Gewinnspielrecht in den Medien, 2014, § 9 GlüStV Rn. 68).

Die jüngste Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, welche insbesondere betont, dass sich ein Zahlungsdienstleister im bargeldlosen Zahlungsverkehr mit Blick auf einen technisch einwandfreien, einfachen und schnellen Abwicklung grundsätzlich nicht um die beteiligten Interessen seiner Kunden kümmern muss, evoziert im Rahmen der Prüfung der Angemessenheit von Sperrungsanordnungen folgendes Dilemma:

  • Einerseits scheint hiernach ausgeschlossen, dass behördliche Anordnungen nach § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 4 GlüStV derart weit und unspezifisch gefasst werden, dass die Glücksspielbehörde einfach den Namen eines Glücksspielveranstalters benennt oder auf eine „white list“ verweist und es im Übrigen dem von der Anordnung betroffenen Zahlungsdienstleister überlässt, wie er bei der Gesamtheit aller Transaktionen mit dem Glücksspielanbieter danach differenziert, ob die konkrete Transaktion mit unerlaubtem Glücksspiel im Zusammenhang steht oder eben nicht. Denn zu einer hierfür erforderlichen einzelfallorientierten Prüfung ist der Zahlungsdienstleister im Interesse eines schnellen und reibungslosen Zahlungsverkehrs gerade nach der Auslegung des BGH nicht verpflichtet.
  • Andererseits ist ohne eine solche differenzierte Einzelfallprüfung durch den Zahlungsdienstleister ein massives Overblocking, das auch rechtmäßige Transaktionen umfasst, kaum zu vermeiden. Hiermit gingen jedoch erhebliche Haftungsrisiken der Zahlungsdienstleister einher. Denn die zivilrechtliche Haftung des Zahlungsdienstleisters für sämtliche Fälle eines unberechtigten Overblockings ergibt sich daraus, dass der kontoführende Zahlungsdienstleister des Zahlers die Ausführung eines autorisierten Zahlungsauftrages nicht ablehnen darf, wenn alle im Rahmenvertrag des Zahlers festgelegten Bedingungen erfüllt sind und die Zahlungsausführung nicht gegen sonstiges einschlägiges Recht der Union oder der Mitgliedstaaten verstößt (vgl. § 675o Abs. 2 BGB, Art. 79 Abs. 2 PSD 2). Je höher solche Haftungsrisiken sind, desto eher führen sie zur Unangemessenheit bzw. fehlenden Verhältnismäßigkeit von Untersagungsanordnungen nach § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 4 GlüStV.

4. Unionsrechtlicher Kontext

a) Umfeld harmonisierender EU-Regulierung

Ein weiteres Dilemma der Glücksspielrechtspraxis tritt im Lichte der jüngsten Rechtsprechung des BGH insofern hervor, als die national-insularen Regulierungsversuche eines in der Regel nur in einzelnen Empfangsstaaten als „unerlaubt“ angesehenen Glücksspiels zunehmend durch eine unionsrechtlich harmonisierende Regulierungsägide konterkariert zu werden scheinen. Denn die vom BGH ausgelegten Bestimmungen der §§ 675c ff. BGB und des ZAG sowie auch die hierauf basierende Zurückweisung spezifischer Prüf- und Warnpflichten zugunsten eines reibungslosen Zahlungsverkehrs basieren auf den Vorgaben der Zahlungsdienstleistungsrichtlinien PSD und PSD 2, welche nationalstaatliche Abweichungen von der Richtlinie zum Nachteil der Zahlungsdienstnutzer ausschließen (vgl. Art. 107 Abs. 3 UA 1 PSD 2).

Hinzu kommen weitere – im hier besprochenen BGH-Urteil freilich nicht virulente – potentielle unionsrechtliche Einschränkungen der Durchsetzungsmöglichkeiten von Restriktionen nach nationalem Glücksspielrecht, soweit Online-Zahlungsdienstleister ihren Sitz in einem anderen EU-Mitgliedstaaten haben und das Herkunftslandprinzip des Art. 3 Abs. 2 ECRL (bzw. § 3 TMG) behördliche Maßnahmen nach § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 4 GlüStV grundsätzlich ausschließen könnte. Dem vorgelagert ist überdies die komplexe Fragestellung, ob dem verwaltungsrechtlichen Zahlungsmitwirkungsverbot des § 4 Abs. 1 S. 2 GlüStV überhaupt exterritoriale Geltung zukommt (s. hierzu ausführl. Liesching, ZfWG 2023, 225 ff.). 

b) Rechtspolitische Fragestellung

Wird allgemein das nationale (Medien-)Ordnungsrecht zunehmend durch unionsrechtlich-harmonisierende Gesetzgebung geprägt und determiniert (s. jüngst Digital Services Act, Digital Markets Act, demnächst Media Freedom Act und KI-Verordnung; hierzu Beaujean/Oelke/Wierny, MMR 2023, 11 ff.; ferner Pfeiffer/Helmke, ZD-Aktuell 2023, 01125), so stellt sich zunehmend die Frage, ob Wirtschaftsbereiche hiervon dauerhaft exkludiert werden können, wenn sie – wie das Glücksspiel – ganz überwiegend auf digitalen Diensten beruhen, die sich schon phänomenologisch insularen Regulierungsversuchen durch einzelne (rechtsstaatlich organisierte) Staaten weithin entziehen.

5. Schluss

Das Urteil vom 19.9.2023 (Az. XI ZR 343/22) setzt die Rechtsprechung des 11. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs konsistent fort und bestätigt auf der Grundlage zivilrechtlicher Auslegung von Vorschriften des Zahlungsdienstleistungsrechts, dass Banken und Zahlungsdienstleister im Interesse einer technisch einwandfreien, einfachen und schnellen Zahlungsabwicklung grundsätzlich keinen generellen Überprüfungspflichten bzgl. einzelner Transaktionen unterliegen.

Die bundesgerichtliche Rechtsprechung eröffnet damit ein Spannungsfeld mit dem pauschalen Zahlungsmitwirkungsverbot des § 4 Abs. 1 S. 2 GlüStV, auch und gerade soweit es durch allzu unbestimmte Untersagungsanordnungen nach § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 4 GlüStV nicht auf konkrete Transaktionen spezifiziert wird, bei denen der Bezug zur Teilnahme an einem „unerlaubten Glücksspiel“ mit der vom BGH im Zusammenhang mit Warnpflichten geforderten „Evidenz“ für die Zahlungsdienstleister ersichtlich ist.

Die Auslegung des Bundesgerichtshofs stützt damit eher kritische Stimmen im Schrifttum, welche an einer Verwaltungsrechts-, Verfassungsrechts- und/oder Unionsrechtskonformität des Verbots und der behördlichen Untersagung von Zahlungsmitwirkungen nach § 4 Abs. 1 S. 2 i.V.m. § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 4 GlüStV zweifeln. Denn die geäußerte Kritik basiert häufig gerade darauf, dass Zahlungsdienstleister in tatsächlicher Hinsichtlich sowie aufgrund datenschutzrechtlicher Vorgaben verbotsgegenständliche Transaktionen gar nicht ermitteln und damit eine „Mitwirkung“ auch nicht verhindern können. Die Rechtsprechung des 11. Zivilsenats insinuiert nunmehr abermals deutlich, dass Zahlungsdienstleister dies grundsätzlich mit Blick auf einen reibungslosen Zahlungsverkehr auch gar nicht müssen.

Die zunehmende Desavouierung der Versuche nationalstaatlicher Regelung und Regeldurchsetzung im Glücksspielbereich durch einen sie nachgerade umzingelnden unionsrechtlich harmonisierten Rahmen des Zahlungsdienstleistungs- und Medienordnungsrechts evoziert die rechtspolitische Frage, wie lange eine ineffektiv erscheinende, territorial begrenzte Regulierung in dem von digitalen Diensten dominierten Wirtschaftsbereich des Glücksspiels noch aufrecht erhalten werden kann. Eine politische Diskussion der Möglichkeit einer unionsrechtlichen Harmonisierung der Regulierung des (Online-)Glücksspiels erscheint vor diesem Hintergrund perspektivisch nicht fernliegend.

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