Schadensersatz bei Verkehrsunfällen: Aktuelle Entwicklungen im Überblick

von Gastbeitrag, veröffentlicht am 06.12.2023
Rechtsgebiete: Verkehrsrecht|1630 Aufrufe
Schadensersatz bei Verkehrsunfällen: Entwicklungen bei Personen- und Sachschaden

Das Verkehrsunfallrecht gehört zu den Rechtsgebieten mit sehr großer Bedeutung. Im Verlag C.H.BECK ist jetzt in der "Blauen Reihe" mit fast 700 Seiten ein umfassendes Praxishandbuch zum Schadensersatz bei Verkehrsunfällen erschienen. Autor ist Rechtsanwalt Dr. Thomas Almeroth, langjähriger Experte auf dem Gebiet der Unfallschadensabwicklung und des Autokaufrechts.

Ein Gastbeitrag von Dr. Thomas Almeroth

Bedeutung des Verkehrsunfallrechts

Das Verkehrsunfallrecht gehört zu den Rechtsgebieten mit sehr großer praktischer Bedeutung. 50 Millionen Kraftfahrzeuge auf deutschen Straßen und rund 2,4 Millionen Verkehrsunfälle mit 2.800 Getöteten und 360.000 Verletzten im Jahr 2022 sprechen für sich.

Kaum ein Verkehrsteilnehmer, der innerhalb seines Lebens nicht mindestens einmal, meistens jedoch mehrfach, in einen Unfall verwickelt wird. Angesichts von 13 Milliarden Euro, die die Versicherungswirtschaft allein für Kraftfahrt-Haftpflichtschäden jährlich aufwendet, ist es kein Wunder, wenn sogar vergleichsweise geringfügig erscheinende Schadenspositionen zwischen Versicherern und Anwälten von Anspruchstellern hart umkämpft sind.

Rechtliche Grundlagen des Unfallschadensersatzes

Neben den deliktsrechtlichen Vorschriften aus dem Bürgerlichen Gesetzbuch und dem –  vor allem für Regresse der Versicherer bedeutsamen – Produkthaftungsgesetz sind die §§ 7 und 18 des Straßenverkehrsgesetzes die wichtigsten Anspruchsgrundlagen für Unfallgeschädigte. Die Gefährdungshaftung aufgrund der Betriebsgefahr der in einen Unfall verwickelten Kraftfahrzeuge enthebt das Unfallopfer in aller Regel der Pflicht, ein Verschulden des Unfallverursachers nachzuweisen. Aber gerade der Rechtsbegriff des „Betriebs“ ist keineswegs so eindeutig definiert, wie man annehmen könnte.

So musste sich sogar der Bundesgerichtshof in letzter Zeit mehrfach mit der Frage befassen, wann ein Kfz (noch) in Betrieb ist, etwa wenn es sich zu Reparaturzwecken in einer Werkstatt befindet und durch den Fehler einer Betriebseinrichtung des Fahrzeugs ein Brand entsteht. Oder ob der Personenschaden durch einen am Fahrzeug angehängten Kreiselmäher dem Betrieb des Fahrzeugs zuzurechnen ist.

Bei der Frage der Zurechnung einer Unfallfolge sind die sogenannten Schockschäden seit jeher ein besonderer Problempunkt. Insoweit ist die geänderte Rechtsprechung des BGH vom Dezember 2022  bemerkenswert. Danach muss derjenige, der aufgrund des Todes oder der schweren Verletzung eines nahen Angehörigen eine psychische Beeinträchtigung mit Krankheitswert erleidet, nicht mehr dartun, dass diese über das hinausgeht, was Betroffene bei Verletzung naher Angehöriger üblicherweise erleiden müssen.

Personenschaden

Im Bereich des Personenschadens gehört das Schmerzensgeld nach wie vor zu den stets umstrittenen Schadenspositionen, auch wenn inzwischen gerade bei schwersten Verletzungen eine gewisse Tendenz der Rechtsprechung zu höheren Beträgen unverkennbar ist.

Im Gegenzug versuchen viele Versicherer, gerade bei kleinen Verletzungen, etwa beim HWS-Trauma, die früher üblichen Schmerzensgelder zu reduzieren und außergerichtlich bei unkritischem Heilverlauf nur noch wenige hundert Euro anzubieten; früher übliche Beträge von 1000 oder gar 1500 EUR lassen sich ohne Prozess kaum noch erzielen.

Erwerbsschäden sind vor allem dann ein Problem, wenn der Verletzte vor dem Unfall ohne feste Beschäftigung war. Schwierig ist auch der Nachweis des sog. Haushaltsführungsschadens. Hier ist der Anwalt des Geschädigten gefordert, sich bei der Darstellung der Beeinträchtigungen nicht auf die Angaben im Arztbericht zu beschränken, sondern umfassend zur gesamten Lebenssituation des Geschädigten - vor und nach dem Unfall - vorzutragen, um nicht im Prozess schon an der Schlüssigkeit der Klage zu scheitern.

Beim Hinterbliebenengeld ist weniger der Anspruchsgrund als vielmehr die Höhe umstritten, insbesondere die Frage, ob und in welchen Fällen die als „Richtschnur“ geltenden 10.000 EUR pro betroffenem Hinterbliebenen zu über- oder unterschreiten sind. Unverändert wichtig, aber nach wie vor problematisch sind Abfindungsvergleiche bei schweren Personenschäden, die im Interesse des Verletzten wohl überlegt sein wollen und bei denen für den Anwalt erhebliche Haftungsrisiken drohen.

Sachschaden

Sachschäden, insbesondere die Reparaturkosten am verunfallten Fahrzeug, sind in der täglichen Regulierungspraxis vor allem dann ein Zankapfel, wenn der Anspruchsteller von seinem Recht Gebrauch macht, die Reparatur nicht auf Rechnung durchführen zu lassen, sondern fiktiv auf Gutachtenbasis abzurechnen.

Plötzlich werden nicht nur Verbringungskosten und UPE-Aufschläge - oft unter Hinweis auf rechtlich unhaltbare Aussagen in Prüfberichten - gekürzt, sondern Werkstattverweise auch dann ausgesprochen, wenn die Vorgaben der Rechtsprechung etwa zur zumutbaren Entfernung der Verweisungswerkstatt nicht erfüllt sind.

Im Totalschadensfall werden mitunter die Einzelbeträge von Reparaturkosten, Restwert und Wiederbeschaffungswert mithilfe von Prüfberichten so „schön“ gerechnet, dass plötzlich die an sich recht klaren Vorgaben der Rechtsprechung im Sinne des Vier-Stufen-Modells des BGH umschifft werden können.

Nach wie vor problematisch ist die Unfallschadensabrechnung im Falle von Vor- oder Altschäden, insbesondere wenn diese den sog. „überlagernden Bereich“ betreffen. Während diesbezüglich in den letzten Jahren einige Urteile des BGH eher zugunsten der Versicherer ausgefallen sind, scheint sich nun das Blatt angesichts einiger Urteile von Oberlandesgerichten wieder etwas zum Vorteil der Geschädigten zu wenden.

Die weitere Entwicklung bleibt abzuwarten, vielleicht bringt auch der Arbeitskreis VI des Verkehrsgerichtstags in Goslar Ende Januar 2024 neue Erkenntnisse, insbesondere was die teilweise etwas überzogen anmutenden Anforderungen an die Substantiierungspflicht des Geschädigten betrifft.

Die heftig umstrittene Frage, ob und inwieweit Corona-Desinfektionskosten - insb. bei fiktiver Abrechnung - zum ersatzfähigen Schaden gehören, stellt sich aktuell in vielen laufenden Gerichtsverfahren, wird aber für die Zukunft eher an Bedeutung verlieren.

Nutzungsausfall, Mietwagenkosten und Sachverständigenkosten gehören schon seit Jahrzehnten zu den besonders intensiv diskutierten Schadenspositionen, die ohne Kenntnis der aktuellen Rechtsprechung kaum zutreffend bewertet und reguliert werden können.

Mithaftung

Die Mithaftung, oft verkürzt als Mitverschulden bezeichnet, kann die Ersatzpflicht des Unfallgegners reduzieren, sei es aufgrund eines eigenen Verschuldens (besser Obliegenheitsverletzung) – besonders wichtig bei Radfahrern oder Fußgängern – oder aufgrund der Anrechnung der Betriebsgefahr des eigenen Kraftfahrzeugs.

Dabei kann die Mithaftung sowohl das Zustandekommen des Unfalles (Schadensursache) betreffen als auch die Höhe des Schadens. Hinsichtlich der Schadenshöhe kommt das Mitverschulden meistens in zwei Ausprägungen vor, nämlich entweder, wenn ein außergewöhnlich hoher Schaden droht, als Verstoß gegen eine von der Rechtsprechung konkretisierte „Warnpflicht“ oder als Pflicht zur Schadensminderung, sofern der Geschädigte selbst in zumutbarer Weise den Schaden geringhalten kann.

In Bezug auf die Mitverursachung des Unfallgeschehens existiert eine Vielzahl von typischen Unfallkonstellationen, für die sich bestimmte Haftungsquoten herausgebildet haben.

Auch wenn jeweils die Besonderheiten des individuellen Unfalles entscheidend sind, ermöglicht es die tabellarische Auflistung ausgeurteilter Haftungsquoten dem Benutzer, ein Gespür für die ungefähre Größenordnung von Haftung/Mithaftung bei typischen Unfallkonstellationen zu entwickeln.

HINTERGRUND ZUM NEUEN BUCH

Mehr Infos zum Werk:

Das anschaulich geschriebene und mit vielen Beispielsfällen aufwartende Buch wendet sich gleichermaßen an Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte, Versicherer und Justiz. Aber auch Sachverständige, Mietwagenunternehmer und Inhaber von Werkstätten, die regelmäßig in die Unfallregulierung eingeschaltet sind und sich ein schadensrechtliches Grundwissen angeeignet haben, werden ihren Nutzen daraus ziehen können.

Nach einer Einführung in die Grundlagen des Unfallschadensersatzes werden sowohl Personenschäden inklusive einer kleinen Tabelle mit Schmerzensgeldentscheidungen als auch Sachschäden umfassend dargestellt.

Wenn nicht nur obergerichtliche Entscheidungen, sondern vielfach auch Instanzrechtsprechung zitiert wird, soll dies helfen, gerade bei den täglichen kleinen Streitigkeiten die Entscheidungspraxis der örtlichen Gerichte berücksichtigen zu können.

Orientiert man sich dort hinsichtlich der Mietwagenkosten an Schwacke, Fraunhofer oder „Fracke“? Welche Kostenpauschale wird am zuständigen Gericht ausgeurteilt? Welche Entfernung zwischen Verweisungswerkstatt und Wohnsitz des Geschädigten wird für zumutbar gehalten? Werden coronabedingte Desinfektionskosten zugesprochen oder nicht?

Abgerundet wird das Werk durch ein eigenes Kapitel zur Mithaftung des Anspruchstellers, die bei zahlreichen Unfallkonstellationen zu einer Kürzung der von Schadensersatzansprüche führt. Besonders wertvoll sind zahlreiche Beispiele und Praxistipps sowohl für Geschädigtenanwälte als auch für Versicherer. Insgesamt ist das Buch so konzipiert, dass sowohl erfahrene Praktiker als auch Neulinge auf dem Gebiet des Unfallschadensrechts ihren Nutzen daraus ziehen können.

 

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