Bewerbungsessay mittels „ChatGPT“ – Zugang zu Masterstudiengang verweigert

von Sibylle Schwarz, veröffentlicht am 06.03.2024
Rechtsgebiete: Bildungsrecht|1696 Aufrufe

Das Verwaltungsgericht München entschied im Beschluss vom 28. November 2023 - M 3 E 23.4371 (rechtskräftig) – im Einstweiligen Rechtsschutzverfahren, dass ein Student, der im Antragsverfahren zum Zugang zum Masterstudium das erforderliche Essay mittels KI herstellt, dies eine Täuschung darstellt, die zur Ablehnung des Zugangs führen kann.

 

Um was geht es hier?

Ein Student möchte Zugang zu einem Masterstudiengang an der TU erhalten.

Zum Wintersemester 2022/23 bewarb er sich erstmals, seine Bewerbung blieb ohne Erfolg. Ein Jahr später, für das Wintersemester 2023/24, bewarb er sich erneut. Er legte seiner Bewerbung die üblichen Unterlagen bei und im Mai 2023 auch ein in englischer Sprache abgefasstes Essay.

Mit Bescheid vom 1. August 2023 schloss die Hochschule ihn vom laufenden Bewerbungsverfahren aus. Die TU war der Ansicht, er habe versucht, den Bewerbungsprozess durch Täuschung zu beeinflussen. Auch sein Antrag, ihn außerhalb der festgesetzten Kapazität zuzulassen, wurde von der Hochschule abgelehnt.

Im September 2023 erhebt der Student Verpflichtungsklage auf Zulassung zum Master und beantragt parallel im Wege der einstweiligen Anordnung den Antragsgegner zu verpflichten, ihn vorläufig zum Studium zum Wintersemester 2023/24 in das erste Fachsemester auf einen Vollzeitstudienplatz zuzulassen.

Hochschulen können für den Zugang zu einem Masterstudiengang neben den allgemeinen Qualifikationsvoraussetzungen, dh Bachelor-Abschluss, durch Satzung weitere Zugangsvoraussetzungen festlegen – hier ein Essay.

Dem Antrag ist ein in englischer Sprache abgefasstes Essay von mindestens 1.500 und maximal 2.000 Wörtern beizufügen. Weiter ist eine Versicherung beizufügen, dass das Essay selbständig und ohne fremde Hilfe und unter Einhaltung der Richtlinien zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis und für den Umgang mit wissenschaftlichen Fehlverhalten an der TU angefertigt wurde und die aus fremden Quellen übernommenen Gedanken als solche gekennzeichnet sind. Die Fachprüfungs- und Studienordnung für den Masterstudiengang sieht weiterhin vor, dass mit einer speziellen Plagiatssoftware überprüft wird.

 

Die Hochschule führt an, dass die Überprüfung seines eingereichten Essay durch Software ergeben habe, dass 45% des Textes mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit von künstlicher Intelligenz verfasst worden seien. Dies entspricht nicht den Regeln wissenschaftlicher Sorgfalt, der Student war daher vom Bewerbungsverfahren auszuschließen.

Mit Beschluss vom 28. November 2023 lehnt das VG München seinen Eil-Antrag ab.

 

Das VG München entschied.

Nimmt die begehrte einstweilige Anordnung die Entscheidung in der Hauptsache sachlich und zeitlich vorweg, ist dem Antrag nur dann stattzugeben, wenn dies zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes geboten ist und ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit dafür spricht, dass der mit der Hauptsache verfolgte Anspruch begründet ist (BVerwG, U.v.18.4.2013 – 10 C 9/12 –).

Hier geht der Student den Weg des sog. Eilrechtsschutzes. An sich geht er gegen den Ausschluss aus dem Bewerbungsverfahren vor, doch rein tatsächlich begehrt er den vorläufigen Zugang zum gewünschten Masterstudium.

Das VG München sieht die Beweislast für eine erhebliche Regelverletzung zu Recht bei der TUM als Prüfungsbehörde.

„Der Nachweis sowohl der objektiven als auch der subjektiven Voraussetzungen einer Täuschungshandlung ist über die Regeln des Anscheinsbeweises möglich (OVG NW, B.v. 16.2.2021 – 6 B 1868/20 –); dies lässt sich auf die hier maßgebliche Frage einer erheblichen Pflichtverletzung übertragen.

Für die Anwendung des Beweises des ersten Anscheins müssen zwei Voraussetzungen erfüllt sein: Zum einen muss die nachzuweisende Tatsache auf einen typischen Sachverhalt gestützt werden können, der aufgrund allgemeinen Erfahrungswissens zu dem Schluss berechtigt, dass die Tatsache vorliegt. Zum anderen dürfen keine tatsächlichen Umstände gegeben sein, die ein atypisches Geschehen im Einzelfall ernsthaft möglich erscheinen lassen (BVerwG, B.v. 23.1.2018 – 6 B 67/17 –).

Hierzu genügt nicht schon der Hinweis auf einen möglichen anderen typischen Geschehensablauf. Vielmehr muss der Prüfungsteilnehmer auch dartun, dass dieser andere Geschehensablauf ernsthaft in Betracht kommt (BayVGH, B.v. 9.10.2013 – 7 ZB 13.1402 -; OVG NW, B.v. 11.10.2011 – 14 A 2726/09 –).“

Denn: „Aus dem Gebot der persönlich zu erbringenden Leistung und dem Zweck einer Prüfung, die wahren Leistungen und Fähigkeiten zu ermitteln, folgt, dass vorgetäuschte oder sonst erschlichene Leistungen nicht dazu beitragen können, den Prüfungserfolg zu rechtfertigen“.

Gemessen hieran ging das VG München davon aus, dass das vom Studenten abgegebene Essay sich von dem von ihm im Vorjahr abgegebenen Essay unterscheidet und zugleich Merkmale aufweist, die für durch künstliche Intelligenz erstellte Texte typisch sind, daraus lässt sich nach allgemeinem Erfahrungswissen darauf schließen, dass das Essay mit unerlaubter Hilfe erstellt wurde.

Das VG München stellt sich auf den Standpunkt, dass auf die Verlässlichkeit der Überprüfungssoftware und auf „false positive rate“ vorliegend nicht ankomme. Die Hochschule nahm das Ergebnis der Überprüfungssoftware lediglich als Indiz, das zu einer Überprüfung durch zwei Professoren Anlass gab. Eine vollkommene Verlässlichkeit der Software sei überdies nicht gegeben.

Die Professoren wiesen in ihren Stellungnahmen darauf hin, dass das eingereichte (zweite) Essay des Studenten nach ihren Erfahrungen als Prüfer in mehrfacher Hinsicht auffiel – kurz, aber inhaltsdicht; in geschliffenem Englisch; Wortwahl, Rechtschreibung und Zeichensetzung fehlerfrei – und augenfällig anders als das von ihm im Vorjahr vorgelegte Essay.

Das eingereichte (zweite) Essay des Studenten stach nach Einschätzung der beiden Prüfer aus dem Bewerberfeld heraus. Berücksichtigt wurde hierbei auch, dass vorliegend nach den Zugangsvoraussetzungen zum Masterstudium adäquate Kenntnisse der englischen Sprache gefordert sind, Bewerbungen von Studierenden, die im Bachelorstudium an englischsprachigen Lehrveranstaltungen teilgenommen oder Auslandssemester absolviert haben, nicht ungewöhnlich sind.

Aus der Tatsache, dass Textpassagen nicht als KI generiert gekennzeichnet sind, kann auch auf Grundlage der Softwareüberprüfung nicht gefolgert werden, dass sie nicht von künstlicher Intelligenz verfasst sind.

 

Nach den Regeln des Anscheinsbeweises ist nach VG München voraussichtlich davon auszugehen, dass das eingereichte Essay des Studenten ganz oder in Teilen nicht selbst erstellt wurde. Die Zuhilfenahme künstlicher Intelligenz bei der Erstellung von Texten ähnelt der Erstellung einer Prüfungsarbeit durch eine dritte Person.

 

Meine Einschätzung

Es ist wie immer im Leben: kompliziert.

Zunächst muss verdeutlicht werden, dass es sich um eine Bewerbung um einen Zugang zu einem Masterstudiengang handelt. Der Student hier im Fall hat also schon einen ersten Hochschulabschluss, nämlich einen Bachelor-Abschluss erreicht.

Die erste Stufe bilden die grundständigen Studiengänge mit einer Regelstudienzeit zwischen drei und viereinhalb Jahren. Sie dienen auch der Vermittlung wissenschaftlicher Grundlagen und Methodenkompetenz sowie berufsfeldbezogenen Qualifikationen. Diese Studiengänge führen zu einem berufsqualifizierenden Abschluss, in der Regel zu dem Abschluss Bachelor, als dem Regelabschluss des Hochschulstudiums.

Die zweite Stufe bilden die postgradualen Studiengänge, insbesondere Masterstudiengänge, mit einer Regelstudienzeit zwischen einem und zwei Jahren. Sie sollen Kenntnisse und Fähigkeiten vermitteln, die über diejenigen hinausgehen, die Gegenstand eines fachlich zugeordneten Bachelorstudiengangs sind. Masterstudiengänge dienen dem Erwerb weiterer wissenschaftlicher und beruflicher Qualifikationen, insbesondere der Heranbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses, und der beruflichen Weiterbildung.

Zudem gibt es Berufe, die (nur) mit einem Bachelor-Abschluss ausgeübt werden können. Nicht jede Berufsausübung setzt einen Master-Abschluss voraus. Ein Master-Abschluss kann aber eine Chance sein, auch wenn der Abschluss für die Ausübung eines bestimmten Berufs mitunter nicht normativ erforderlich ist, dass der erlangte Master-Abschluss den Berufseinstieg erleichtern oder sich auf andere Weise vorteilhaft für das berufliche Fortkommen auswirken kann.

 

Das Oberverwaltungsgericht NRW geht 2011 von einem „verringerten Schutzanspruch für den Zugang zum Masterstudium“ aus  (Beschluss vom 26. Januar 2011 - 13 B 1649/10 -).

Vergleiche hierzu „Zugang zum Master darf beschränkt werden

 

 

Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 22. März 2023 – OVG 5 S 59/22 – sieht einen „abgesenkten Prüfungsmaßstab“:

„Gemessen am Maßstab des Art. 12 Abs. 1 i.V.m. Art. 3 Abs. 1 GG und dem Sozialstaatsgebot ist davon auszugehen, dass der verfassungsrechtlich gewährleistete Anspruch auf Zulassung zum Studium der Wahl durch den Abschluss eines Erststudiums nicht verbraucht wird. Das Grundrecht der freien Berufswahl umfasst - insbesondere in einer auf Mobilität angelegten Arbeitswelt - auch einen Berufswechsel als Akt der freien Selbstbestimmung; wegen des inneren Zusammenhangs von Berufswahl und Berufsausbildung gilt das gleiche für die Ausbildung zu einem weiteren Beruf (vgl. BVerfG, Beschluss vom 3. November 1982 - 1 BvR 900/78 u.a. -). An dieser Grundrechtsposition des Antragstellers müssen sich die seine Zulassung zu dem begehrten Masterstudium beschränkenden Maßnahmen messen lassen. Zwar unterliegt der Zulassungsanspruch eines Zweitstudierenden in Anbetracht der Knappheit von Studienplätzen in harten Numerus-Clausus-Fächern einem abgesenkten Prüfungsmaßstab. Der Normengeber bleibt dennoch verpflichtet, sich unter strikter Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes um objektiv sachgerechte und subjektiv zumutbare Zulassungskriterien zu bemühen.“

 

Dass die TU im Rahmen der Bewerbung (auch) ein Essay in englischer Sprache von den Bewerbern als Zweitstudierende einfordert, kann als sachgerechtes und subjektiv zumutbares Zulassungskriterium aufgefasst werden. Denn Master-Studienplätze sind knapp.

 

 

OVG Lüneburg, Beschluss vom 2. Februar 2024 – 2 ME 108/23 – zu Täuschung:

„Zwar unterliegt die Frage, ob eine Täuschung vorliegt, der vollen gerichtlichen Überprüfung. Hinsichtlich der Frage, ob es sich um einen „besonders schwerwiegenden Fall“ der Täuschung handelt, besteht allerdings ein Beurteilungsspielraum des Prüfungsausschusses (vgl. …). Die Entscheidung über diese Frage ist in der Prüfungsordnung bewusst einem dem einzelnen Prüfer übergeordneten wissenschaftlichen Gremium zugewiesen, das dazu in der Lage ist, die Einordnung und Gewichtung des Falles auf der Basis bestehender Erfahrungswerte und unter Heranziehung von Vergleichsfällen nach prüfungsrechtlichen Gesichtspunkten vorzunehmen. Auch insoweit handelt es sich - was einen Beurteilungsspielraum kennzeichnet - um die Zuordnung eines festgestellten Sachverhalts im Gesamtzusammenhang von Prüfungsverfahren. Aufgrund des bestehenden Beurteilungsspielraums kann im Rahmen der gerichtlich insoweit nur eingeschränkten Prüfung grundsätzlich nur ermittelt werden, ob der Prüfer bzw. Prüfungsausschuss von falschen Tatsachen ausgegangen ist, sachfremde Erwägungen angestellt hat, allgemein anerkannte Bewertungsmaßstäbe nicht beachtet oder willkürlich gehandelt hat.“

 

Das Ergebnis der Überprüfungssoftware soll hier lediglich als Indiz gedient haben. Die Problematik des „falsch positiv“ und damit einer geringen Zuverlässigkeit der Software wurde vom Gericht gesehen, aber als nicht entscheidungserheblich angesehen.  Zwei Professoren sahen sich das eingereichte Essay des Studenten an. Auf der Basis ihrer bestehenden Erfahrungswerte und unter Heranziehung von Vergleichsfällen, nämlich des Essays aus dem Vorjahr und den Essays der Mitbewerber, nahmen die Professoren nach prüfungsrechtlichen Gesichtspunkten eine Bewertung vor. Dass sie ihren bestehenden Beurteilungsspielraum missachtet haben, hat der Student nicht vorgetragen.

 

 

Erstes Urteil?

Das im Mai 2023 vorgelegte, in englischer Sprache abgefasste Essay soll mit Hilfe von „ChatGPT“ bzw einem Sprachmodell verfasst worden sein. Mancherorts wird die Entscheidung des VG München als „Erstes Urteil“ nahezu gefeiert. Das ist nicht ganz richtig.

Im Sommer 2021 ging es schon einmal darum: Ein Student begehrt die Zulassung zum Masterstudiengang der TU. Die TUM führte hinsichtlich des Essays (wohl) standardmäßig eine Ähnlichkeitsprüfung mit dem Programm „Turnitin“ durch. Diese ergab eine Übereinstimmung von 36 %. Daraufhin schloss die TUM den Antragsteller mit Bescheid vom 2. Juni 2021 mit der (einzeiligen) Begründung, er habe den Bewerbungsprozess durch Täuschung zu beeinflussen versucht, vom laufenden Bewerbungsverfahren aus.

Blaupause. Die TU hat das gemacht, was sie immer macht. Im damaligen Fall, im Sommer 2021, gab es den Chatbot ChatGPT allerdings noch nicht. Die Version 3.5 wurde erst Ende November 2022 gelauncht.

Der (damalige) Student ging in das Beschwerdeverfahren, so dass es zu einer Entscheidung des Bayerischer Verwaltungsgerichtshof kam - Beschluss vom 5. November 2021 – 7 CE 21.2344.

„… der Senat der Auffassung, dass es vorliegend für die Frage, ob der Antragsteller zu Recht vom Eignungsverfahren ausgeschlossen wurde, nicht entscheidungserheblich darauf ankommt, ob er durch die Vorlage seines Essays versucht hat, den Bewerbungsprozess durch Täuschung zu beeinflussen …“

Denn damals: „… einen Anspruch auf Zulassung zum Masterstudium, weil er auf der ersten Stufe des Eignungsverfahrens unstreitig eine ausreichend hohe Punktzahl (56 Punkte bei erforderlichen 51 Punkten) erreicht hat. Damit hat er nach Nr. 5.1.3 der Anlage 2 das Eignungsverfahren bestanden, ohne dass es auf die „Evaluierung“ seines Essays noch ankommt.“

Bei Bewerbern, die weniger als 51 Punkte, jedoch mindestens 45 Punkte erreicht haben, wird als zweite Stufe das Essay evaluiert (Nr. 5.2.1 i.V.m. 5.1.4 der Anlage 2 zur FPSO).

 

Im Kern geht es darum, ob eine Bewertung eines Textes als „eigene“ oder „fremde“ bzw. „teilweise fremde“ Arbeit möglich ist. Das VG München stellt im November 2023 darauf ab, dass die Hochschule das Ergebnis der Überprüfungssoftware lediglich als Indiz nahm, das zu einer Überprüfung durch zwei Professoren Anlass gab. Die Bewertung der Professoren unterliegt – wie oben dargelegt – prüfungsrechtlichen Grundsätzen, sie muss sich im Rahmen des Beurteilungsspielraums halten. Der BayVGH gewichtete es im November 2021 stärker „nicht überprüfen [zu können], ob die Ergebnisse des Programms „Turnitin“ zutreffen“ und sprach dem Studenten wegen offener Erfolgsaussichten im Hauptsacheverfahren die vorläufige Zulassung aus.

Das eine Gericht sieht „Erkenntnisse einer Plagiatssoftware“ lediglich als Indiz, das andere Gericht stößt sich daran, deren Arbeitsweise nicht überprüfen zu können.

 

Übrigens … Der so gehypte ChatGPT ist auch nur ein Gesicht der „fremden Hilfe“. Gerichtsentscheidungen, wie mit Täuschung umzugehen ist, gibt es seit Jahrzehnten. Alter Wein in neuen Schläuchen?

 

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