ELTERNTAXI als Grund vom Fahrverbot abzusehen?

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 28.03.2024
Rechtsgebiete: Verkehrsrecht|815 Aufrufe

Schade, dass man nicht so richtig umfassend ersehen kann, was das AG zum Absehen vom Fahrverbot bei dem Betroffenen geschrieben hatte. Jedenfalls ging es um eine mögliche psychische Erkrankung der Kindesmutter und vor allem um notwendige, aber wohl von der Mutter nicht leistbare Fahrdienste für sein Kind, die der Betroffene geltend machte. "Zuviel Blabla" meinte das OLG dazu richtigerweise. Es wurde nicht ausrichend dargelegt, warum vom Fahrverbot abgesehen werden musste und wie eine entsprechende Einlassung geprüft wurde. Also muss das AG noch einmal an die Thematik dran:

Auf die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft wird der Beschluss des Amtsgerichts Hamburg – St. Georg, Abt. 947, vom 14. Juni 2023, ergänzt durch Beschluss vom 22. September 2023, mit den dazugehörenden Feststellungen aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Hamburg – St. Georg zurückverwiesen.

 Gründe: 

 I.

 Die Freie und Hansestadt Hamburg, Behörde für Inneres und Sport, hatte gegen den Betroffenen mit Bußgeldbescheid vom 16. Dezember 2022 wegen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 55 km/h eine Geldbuße in Höhe von 528 Euro festgesetzt und ein Fahrverbot von einem Monat angeordnet. Gegen den ihm am 20. Dezember 2022 zugestellten Bußgeldbescheid hat der Betroffene mit Schreiben vom 30. Dezember 2022, bei der Verwaltungsbehörde am selben Tag eingegangen, Einspruch eingelegt. Daraufhin hat die Verwaltungsbehörde die Akte an die Staatsanwaltschaft Hamburg übersandt, die diese mit Verfügung vom 7. März 2023 an das Amtsgericht Hamburg – St. Georg weitergeleitet und in der Übersendungsverfügung mitgeteilt hat, einer Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss werde nicht widersprochen.

 Mit Beschluss vom 14. Juni 2023 hat das Amtsgericht Hamburg – St. Georg gegen den Betroffenen wegen des im Bußgeldbescheid vom 16. Dezember 2022 genannten Vorwurfs eine Geldbuße von 1.560 Euro festgesetzt. Dieser Beschluss wurde der Staatsanwaltschaft Hamburg am 19. Juni 2023 zugestellt. Mit Schreiben vom 21. Juni 2023, bei Gericht eingegangen am 22. Juni 2023, hat die Staatsanwaltschaft Hamburg gegen den Beschluss vom 14. Juni 2023 Rechtsbeschwerde eingelegt, die Verletzung materiellen und formellen Rechts gerügt und beantragt, die angefochtene Entscheidung nebst den ihr zugrunde liegenden tatsächlichen Feststellungen aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an „die Vorinstanz“ zurückzuverweisen.

 Mit Beschluss vom 22. September 2023 hat das Amtsgericht Hamburg – St. Georg den Beschluss vom 14. Juni 2023 um eine Begründung ergänzt. Dieser Beschluss wurde der Staatsanwaltschaft Hamburg am 05.10.2023 zugestellt. Mit Zuschrift vom 12.10.2023, bei Gericht eingegangen am 20.10.2023, hat die Staatsanwaltschaft ihr Rechtsmittel ergänzend begründet.

 Die Generalstaatsanwaltschaft Hamburg hat mit Zuschrift vom 12. Dezember 2023 beantragt, wie tenoriert zu entscheiden.

 II.

 Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 79 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 OWiG) und auch zulässig, nämlich frist- und formgerecht erhoben und wirksam begründet worden (§ 79 Abs. 3 S. 1 OWiG, §§ 341, 345 StPO). Das Rechtsmittel hat auch in der Sache Erfolg.

 1. Die Generalstaatsanwaltschaft hat hierzu Folgendes ausgeführt:

 „a) Die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft ist nach § 79 Abs. 1 Nr. 3 OWiG statthaft, da das Amtsgericht von der Verhängung eines Fahrverbots abgesehen hat und wegen der Tat im Bußgeldbescheid vom 16.12.2022 neben einer Geldbuße ein Fahrverbot verhängt worden war. Die Rechtsbeschwerde ist von der Staatsanwaltschaft auch form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden.

 b) Das Rechtsmittel ist auch begründet. Der Beschluss hält sachlich-rechtlicher Überprüfung nicht stand. Das Amtsgericht Hamburg – St. Georg hat ohne tragfähige Begründung von der Verhängung eines Fahrverbots abgesehen.

 aa) Für die festgestellte Ordnungswidrigkeit sind nach §§ 41 Abs. 1 i.V.m. Anlage 2, 49 StVO, §§ 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. Nr. 11.3.8 BKatV, §§ 24, 25 StVG in der zur Tatzeit geltenden Fassung eine Regelgeldbuße von 480,- € sowie ein Regelfahrverbot von einem Monat nach Nr. 11.3.8 BKatV vorgesehen. Bei dieser Zuwiderhandlung ist ein grober bzw. beharrlicher Pflichtverstoß indiziert, dessen Ahndung, abgesehen von besonderen Ausnahmefällen, eines Fahrverbotes als Denkzettel- und Besinnungsmaßnahme bedarf (Hentschel/König/Dauer/König, Straßenverkehrsrecht, 47. Auflage 2023, § 25 StVG Rn 19 m.w.N.). Zeichnet sich der Sachverhalt zugunsten des Betroffenen durch wesentliche Besonderheiten aus, so kann der Tatrichter dennoch die Überzeugung gewinnen, dass trotz eines Regelfalls die Verhängung eines Fahrverbots unangemessen ist und der notwendige Warneffekt unter angemessener Erhöhung der Regelgeldbuße erreicht werden kann, wobei das Absehen vom Fahrverbot stets näher zu begründen ist (Hentschel/König/Dauer/König, a.a.O., § 25 StVG Rn. 26 m.w.N.). Hierbei können auch Auswirkungen der Verhängung eines Fahrverbots auf nahe stehende Personen zu berücksichtigen sein, wenn deren verstärkte Pflege- oder Betreuungsbedürftigkeit feststeht und auch keine sonstigen Betreuungspersonen aus der Familie zur Verfügung stehen (OLG Hamm NStZ-RR 2006, 322). Insoweit ist aber detaillierter Vortrag erforderlich (OLG Hamm, Beschluss vom 23.04.2009 – 2 Ss OWi 213/09, Rn 26 in juris).

 Die Entscheidung, ob trotz Vorliegens eines Regelfalls der konkrete Sachverhalt Ausnahmecharakter hat und deshalb die Verhängung eines Fahrverbots nicht erfordert, muss daher durch Tatsachen belegt sein (OLG Rostock NZV 2002, 137, 139; KG NJW 2016, 1110, 1111). Diese dürfen sich nicht in einer unkritischen Wiedergabe der Angaben des Betroffenen erschöpfen (OLG Hamm VRS 144 (2023), 199, 204 f.). Zwar ist es dem Tatrichter nicht schlechthin verwehrt, „fahrverbotsfeindliche“ Behauptungen zu glauben (Hanseatisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 29.08.2022 – 2 RB 36/22, S. 4). Entlastende Angaben des Betroffenen, der sich auf eine persönliche Ausnahmesituation beruft und regelmäßig ein großes Interesse daran haben wird, einem Fahrverbot zu entgehen, dürfen jedoch nicht ohne weitere Prüfung hingenommen werden; der Tatrichter ist vielmehr gehalten, gegebenenfalls Beweise zu erheben, um das missbräuchliche Behaupten eines Ausnahmefalles auszuschließen und es dem Rechtsbeschwerdegericht zu ermöglichen, die Rechtsanwendung nachzuprüfen (OLG Bamberg NJOZ 2017, 1403, 1405 m.w.N.).

 bb) Diesen Anforderungen wird der angefochtene Beschluss nicht gerecht. Dieser lässt vielmehr die durch die obergerichtliche Rechtsprechung erforderte kritische Prüfung der vom Betroffenen vorgebrachten fahrverbotsfeindlichen Umstände vermissen.

 So ist bereits nicht ersichtlich, dass und gegebenenfalls in welchem Umfang der Sohn des Betroffenen tatsächlich auf dessen Fahrdienste angewiesen ist. Es fehlen jegliche Angaben zum Alter des Sohnes, zur Entfernung der von diesem besuchten Schule von seiner Wohnanschrift (beide liegen nach den von der Tatrichterin zugrunde gelegten Angaben des Betroffenen im Bezirk B…) und zu der jedenfalls nicht fernliegenden Möglichkeit des Sohnes, für das Zurücklegen des Schulwegs ein Fahrrad oder öffentliche Verkehrsmittel zu nutzen.

 Auch ist bislang nicht tragfähig belegt, dass und weshalb die Mutter des Kindes nicht in der Lage sein sollte, den Sohn – sollte dies überhaupt erforderlich sein – zur Schule zu bringen und von dort wieder abzuholen. Den Gründen des Beschlusses ist insoweit lediglich die ungeprüfte Behauptung des Betroffenen zu entnehmen, die Kindesmutter sei „ernsthaft psychisch erkrankt“. Es liegen aber bislang keine Angaben dazu vor, welcher Art die vorgetragene psychische Erkrankung ist und wie sich diese tatsächlich auf die Fähigkeiten der Kindesmutter zur Bewältigung ihres Alltags auswirkt.

 cc) Aufgrund des aufgezeigten sachlich-rechtlichen Begründungsmangels für ein Absehen von der Verhängung des verwirkten Regelfahrverbots ist der angefochtene Beschluss mit den ihm zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben.

 c) Eine eigene Sachentscheidung durch den Senat (§ 79 Abs. 6 OWiG) scheidet aus. Die Beurteilung, ob die Anordnung eines Fahrverbots für den Betroffenen eine unerträgliche Härte bedeuten würde, obliegt weiterhin der Tatrichterin. Es ist davon auszugehen, dass das Amtsgericht in einer Hauptverhandlung weitere Feststellungen zu dieser Frage treffen kann. Eine Verweisung an eine andere Abteilung des Amtsgerichts ist im vorliegenden Fall angezeigt, da angesichts der unkritischen Ausführungen in den schriftlichen Beschlussgründen zu besorgen ist, dass sich die Tatrichterin in der Frage des Absehens von der Verhängung des Regelfahrverbots bereits einseitig zugunsten des Betroffenen festgelegt hat.“

 2. Der Senat schließ sich diesen Ausführungen an und macht sie sich zur Vermeidung von Wiederholungen zu eigen.

OLG Hamburg Beschl. v. 19.2.2024 – 9 ORbs 38/23, BeckRS 2024, 2809

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