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Ein Jahr Sicherungsverwahrung

Meyer-Falk

2014-07-30 12:16

Im Juli 2013 berichtete ich erstmals aus der Sicherungsverwahrung(SV)der JVA Freiburg, schrieb von einem 'Totenhaus' (https://linksunten.indymedia.org/node/91068).

Nachdem ich hier nun ein Jahr einsitze, heute ein Überblick über diese Zeit.

 

Was ist SV?

 

Menschen die in der SV sitzen, werden dort auf Grund von Mutmaßungen festgehalten; zurückgehend auf ein Gesetz der Nationalsozialisten vom 24.11.1933 (https://linksunten.indymedia.org/de/node/98982 ) erlaubt diese Regelung, Inhaftierte auch nach Verbüßung der Freiheitsstrafe hinter Gittern zu halten. Nämlich dann, wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass die Betreffenden erneut (schwere) Straftaten begehen. Aktuell sitzen rund 500 Männer und eine Frau in dieser sog.“ Maßregel der Besserung und Sicherung“ (von insg. etwas weniger als 63.000 Inhaftierten, Stand: 30.11.2013, vgl.http://www.statis.de, dort: Fachserie 10, 'Bestand der Gefangenen und Verwahrten') . Nach einer Gesetzesreform von 1998, unter CDU/FDP-Regierung, kann der Vollzug der SV bis zum Tode dauern.

 

Dauer des Vollzuges der SV?

 

Bislang gibt es keine wissenschaftliche Untersuchung der Unterbringungsdauer der noch einsitzenden Verwahrten; hinsichtlich der Gruppe der aus der SV entlassenen Verwahrten schwanken in den letzten Jahren die Median-Werte zwischen sieben und über zehn Jahren, für das Jahr 2011 wird ein Mittelwert von 6,8 Jahren mitgeteilt, wobei der 2011 mit der längsten SV-Verbüßungsdauer, dort 20,7 Jahre zugebracht hat ( vgl. Prof. Dessecker, 'Lebenslange Freiheitsstrafe und Sicherungsverwahrung', 2013, https://www.krimz.de). Tendenziell wird mit einer weiteren Zunahme der Verbüßungsdauer gerechnet werden müssen, da die Bereitschaft das 'Risiko' einer Entlassung einzugehen, bei psychiatrischen Sachverständigen, wie bei Gerichten eher unterentwickelt zu sein scheint.

 

Vollzugsalltag in der JVA Freiburg

 

Untergebracht sind die maximal 61 Männer in 14,11 qm großen Zellen, die laut Justizvollzugsgesetzbuch-5 seit dem 01.06.2013 'Zimmer' heißen sollen. Das Zellenfenster misst 1,20 m auf 1,40 m. Im Vergleich zu den oftmals aus dem 19.Jahrhundert stammenden Strafanstalten, erweisen die Zellen und Zellenfenster sich also durchaus als ein klein wenig größer. Im Vergleich zu den Bemühungen in anderen Bundesländern, behandelt die Grün/Rote-Landesregierung in Stuttgart, 'ihre Verwahrten' jedoch eher schäbig; denn in anderen Bundesländern sind die Zellen 20-25 qm groß. Dort gibt es dann auch eingebaute Kühlschränke, Küchenzeilen, Computer-Anschlüsse und Duschen – all das spart man sich in Freiburg.

 

Die Zellen sind werktags von 6:50 Uhr bis 22:10 Uhr geöffnet. An Wochenenden und 'Brückentagen' (die laut der JVA, der Erholung, des einen sehr schweren Dienst verrichten müssenden Personals dienen) werden die Zellen erst nach 8 Uhr geöffnet. Der Hof der SV-Anstalt ist werktags im Sommer rund 7 Stunden zugänglich; an Wochenenden und 'Brückentagen' nur 3 Stunden und 30 Minuten.

 

Wer möchte kann arbeiten gehen und dabei die auch den Strafgefangenen der Hauptanstalt angebotenen Betriebe (Schlosserei, Küche, Schreinerei, Montage-Betriebe etc.) nutzen.Dort verdient man mit etwa 450-650 Euro/Monat gut das Doppelte von dem, was Strafgefangene erzielen können.

 

Wochenends findet letztlich das statt, was schon das Wort Sicherungsverwahrung aussagt: eine Verwahrung. Die Untergebrachten sind sich selbst überlassen und die anwesenden uniformierten Beamten freuen sich, wenn sie in Ruhe im Kollegenkreis Kaffee trinken oder auch ganz offen im Dienstzimmer schlafen können.

 

Werktags kann wer möchte, therapeutische Angebote nutzen; wobei das Oberlandesgericht Karlsruhe die personelle Ausstattung mit nur 3,2 Arbeitsstellen für den psychologischen Dienst als zu gering beanstandete (Az.2 Ws 268/13, 15.01.2014, Beschluss Seite 15): es werden Einzelsitzungen, Gruppensitzungen und Maltherapie angeboten; wobei die JVA jedoch einräumt, daß eine umfassende Sozialtherapie hier nicht geleistet werden könne, weshalb alle entsprechenden Verwahrten in die sozialtherapeutische JVA Asperg (bei Stuttgart) verlegt werden (müssen). 

 

Wer, wie ich, auf 'Station 2' untergebracht ist, der Station für 'gefährliche' Verwahrte und jene die eine therapeutische Kooperation verweigern (zur Zeit 14 Männer) kann seit Mai 2014 einmal pro Woche an einer Gesprächsgruppe mit drei Jura-StudentInnen teilnehmen. Ein weitergehendes 'Angebot' gibt es nicht.

 

Freilich darf (fast) jeder an den Freizeitgruppen der Strafanstalt teilnehmen; diese reichen von Sportaktivitäten über Theatergruppe bis zu Gesprächsgruppen. Die allermeisten Verwahrten verzichten darauf; auch deshalb,weil es sich bei diesen größtenteils um Sexualtäter handelt, die mitunter von Strafgefangenen beschimpft werden (können).

 

Gerichtliche Klagen

 

Wer sich als Verwahrter von einer Maßnahme der Anstalt beschwert fühlt, kann hiergegen einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung beim Landgericht Freiburg stellen. Seit meinem 'Einzug' am 08.07.2013 habe ich dies in 56 Fällen getan. Die Themen der Anträge sind recht vielfältig: sie reichen von Fesselung und nackt Entkleiden vor/nach 'Ausführungen' (dazu unten), die Vorenthaltung von Gegenständen die ich aus dem vorangegangenen Strafvollzug der JVA Bruchsal mitbrachte (z.B. Nagelschere), über die Verweigerung ungestörter Telefonie (hier muß man auf dem Flur telefonieren, so daß jeder stören und mithören kann), das Verbot der Anstalt, sich – wie eigentlich im Gesetz vorgeschrieben – im Haus und Hof frei bewegen zu dürfen, das Verbot eines Presseinterviews (http://de.indymedia.org/2014/04/354001.shtml) und vielen anderen Punkten mehr.

 

Da die entsprechende Kammer des Gerichts überlastet ist, muß man aktuell auf Entscheidungen bis zu drei Jahre warten. Hiervon profitiert die JVA, denn sie kann ihr, aus Sicht der Verwahrten, rechtswidriges Tun fortsetzen, ohne zeitnah von einem Gericht dabei gestoppt zu werden.

 

Anti-Folter-Ausschuss (CPT) besucht SV in Freiburg

 

Am 26.11.2013 hat das CPT (ein Ausschuss des Europarates in Straßbourg) die SV-Anstalt besucht und sich die Vielzahl von Beschwerden der Untergebrachten angehört.Der Besuchsbericht vom 18.03.2014 ist der Bundesregierung zwischenzeitlich zugestellt worden. Wie das baden-württembergische Justizministerium am 03.06.2014 mitteilte,habe das CPT kritisch hinterfragt, weshalb man den Verwahrten den gesetzlich vorgesehenen freien Zugang zum Gefängnishof verwehre und nur wenige Stunden am Tag den Aufenthalt gestatte.

Der Rest des Berichts ist noch nicht zugänglich. Erst in einigen Monaten wird bekannt, welche Haftbedingungen das CPT noch beanstandet hat.

 

Ausführungen

 

In der Gefängnissprache sind 'Ausführungen' Maßnahmen, bei welchem man die JVA für einige Stunden verlässt, jedoch stets und unmittelbar von Vollzugsbeamten bewacht.

 

In Baden-Württemberg stehen Verwahrten gesetzlich mindestens vier solchen 'Ausführungen' im Jahr zu (in Niedersachsen war die CDU-Regierung großzügiger und billigte im dortigen SV-Gesetz den Verwahrten 12 'Ausführungen' im Jahr als Minimum zu) .

 

Ich selbst wurde (gefesselt) zwei Mal zu einer Freundin in Stuttgart gefahren, bewacht von drei uniformierten Beamten. Andere Verwahrte dürfen die JVA ungefesselt verlassen und gehen dann wandern, spazieren oder in der Stadt einkaufen.

 

Jedoch kam es in den letzten Monaten mehrfach zu unerfreulichen Vorkommnissen, nicht verursacht von Verwahrten, sondern von  Vollzugsbeamten: mitunter erst  eine halbe Stunde vor Beginn der 'Ausführung' wurden solche Maßnahmen abgesagt, da Personal erkrankt sei. Selbst wenn nicht etwa die die 'Ausführung' durchführenden  Beamten erkrankt waren, sondern Stationsbeamte, genügte dies, um die 'Ausführung' abzusagen, denn dann wurden die für die 'Ausführungen' eingeteilten Beamten umverteilt auf die Stationen. Hintergrund ist, daß auch im Personalbereich das Land, sprich die Grün/Rote-Landesregierung, spart und spart und spart – auf Kosten der Verwahrten und auch deren Angehörigen, die sich oftmals extra Urlaub nehmen für den Tag der 'Ausführung', einkaufen gehen um etwas leckeres zu kochen und dann vergeblich auf den Verwahrten warten.

 

In diesem Zusammenhang sprechen dann immer wieder Verwahrte von einem 'todesstrafenähnlichen Verwahrvollzug', der einem auch noch das letzte Quentchen Lebensqualität raube. Eine sicherlich zugespitzte Diagnose; aber wer hoffnungslos verwahrt wird, bar jeder realen Chance lebend jemals entlassen zu werden (und davon gibt es hier einige Betroffene), dem kommt solch ein Gedanke zwangsläufig.

 

Stationsalltag

 

Da ich auf 'Station 2' lebe, kenne ich aus eigenem Erleben nur den dortigen Alltag und dieser ist geprägt von Lethargie, Hoffnungslosigkeit und Perspektivlosigkeit. Nicht zuletzt vom Tod.

 

Wenige  Monate vor meinem Einzug in die Zelle 135 verstarb dort der langjährige Verwahrte M.; und im Januar starb Herr H.

(http://community.beck.de./gruppen/forum/2-tote-in-2-tagen-in-jva)

 

Zwar begegnet man sich auf dem Flur, sitzt auch mal zusammen am Speisetisch des Gruppenraumes, oder trifft sich auf eine Tasse Kaffee bei diesem oder jenem Verwahrten in dessen Zelle - aber das sind punktuelle Kontakte. Im Regelfall ist es tatsächlich ein Verwahrvollzug, fern von den Vorgaben die das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 04.05.2011 (hierzu und den hernach erlassenen neuen Gesetzen vgl. http://linksunten.indymedia.org/de/node/68014) gemacht hatte.

 

Zwar meint das Oberlandesgericht Karlsruhe (a.a.O.Seite 14), gerade das uniformierte Personal suche stets im Stationsalltag 'das Gespräch (…) mit einer annehmenden und interessierten Haltung', jedoch wird dies von den Verwahrten anders erlebt. Schon morgens um 7 Uhr ist der Stationsbeamte vielfach nicht mehr in seinem Büro anzutreffen, denn er geht erstmal zu Kollegen -Zitat- 'Kaffee trinken, denn ohne Kaffee werde ich nicht wach'.

Oder er und seine Kollegen setzen sich in das Büro, nicht ohne die Türe schwungvoll hinter sich zuzuknallen und unwirsch zu reagieren, wenn man an die Tür klopft, weil man etwas benötigt.

Bekannt ist auch Obersekretär D.(vgl.'Nikolaus-Affäre' unter http://de.indymedia.org/2013/12/35085.shtml), in dessen Schicht der oben erwähnte M. am 19.01.2014 verstarb, faktisch vor dessen Augen, denn vom Büro aus, hatte der Beamte einen guten Blick auf die Couch, auf der M. starb; jedoch war D. an diesem Abend intensiv damit beschäftigt, am Telefon seine Frau durch eine Internetseite für Kinderbedarf zu dirigieren und so nicht in der Lage auf seine Umgebung zu achten, wie ich persönlich verfolgen konnte. Er schläft auch gerne mal in dem Büro; und damit dann Kollegen von anderen Stationen auf den Video-Überwachungsmonitoren nicht in das Büro schauen können, wurde erst kürzlich eine Jalouise an einem Teil des verglasten Stationsbüros installiert.

 

Zusammenfassung und Ausblick

 

Verwahrte werden untergebracht, weil man sie für gefährlich hält; eine Unterstellung und Mutmaßung, die, würde man die Betroffenen freilassen, sich in der Mehrheit der Fälle nicht bewahrheiten würde (vgl. für viele: Tobias Mushoff, 'Strafe-Maßregel-Sicherungsverwahrung', S.238), weil von einer 'gravierenden Überschätzung von Gefährlichkeit' auszugehen ist, wie Mushoff in seiner Dissertation aus dem Jahr 2007 feststellt. Der Vollzugsalltag in der JVA Freiburg ist geprägt von Hoffnungslosigkeit vieler der Langzeitverwahrten, darunter 'Altfälle' (Verwahrte deren SV rückwirkend verlängert wurde, was gegen die Menschenrechte verstößt, wie der 'Europäische Gerichtshof für Menschenrechte' schon 2009 konstatierte), Verwahrte, deren SV 'nachträglich' angeordnet wurde (auch dies eigentlich ein Verstoß gegen die Rechtssprechung des EGMR), Verwahrte die schon 5, 10, 15 und mehr Jahre in SV sitzen.

 

Sicherlich bewegen sich viele der Beschwerde- und Kritikpunkte der Verwahrten, ob nun aus Freiburg oder anderen SV-Anstalten der Republik auf einem Niveau, über das können beispielsweise Gefangene in Griechenland, die sich kürzlich in einem kollektiven Hungerstreik befanden, um gegen die unmenschlichen Haftbedingungen und Gesetzesverschärfungen zu protestieren, nur den Kopf schütteln (https://linksunten.indymedia.org/de/node/118173).

 

Das ändert jedoch nichts an der verzweifelnden Situation hiesiger Verwahrter. Ich selbst bin noch in der erfreulichen Situation, daß ich regelmäßig von Freundinnen und Freunden außerhalb der Gefängnismauern Besuch erhalte (und gehöre damit zu einer handvoll Verwahrter; die übrigen erhalten keinerlei Besuche), was sich sehr positiv auf meine Stimmungslage auswirkt.

 

Zur Zeit ist nicht absehbar, so pessimistisch sich das auch anhören mag, wann und ob sich an dieser Situation für die Mehrzahl der Verwahrten etwas ändern wird; angesichts des gesellschaftlichen Klimas, welches ein immer 'mehr' an möglichst absoluter Sicherheit vor allen möglichen 'Gefährdungen' fordert, muss damit gerechnet werden, dass mittel- und langfristig mehr Untergebrachte hier, im 'Totenhaus' sterben, anstatt auf freien Fuß gesetzt zu werden.

 

Danksagung

 

Die Zeit in der Sicherungsverwahrung möglichst unbeschadet zu überstehen, wäre mir wohl kaum möglich, ohne die ebenso herzliche, wie großzügige und solidarische Unterstützung von Menschen, die durch Briefe, Besuche und auch finanzielle Hilfe, Anteil nehmen und menschliche Wärme zeigen. Aber auch ohne die Hilfe bspw. durch das Abtippen  und Veröffentlichen meiner Texte, wäre es nicht möglich sich zu Wort zu melden. Ihnen Allen danke ich eigentlich nie wirklich genug. Deshalb an dieser Stelle diese Danksagung, aus und von ganzem Herzen.

 

Thomas Meyer-Falk

c/o JVA (SV)

Hermann-Herder-Str.8

D-79104 Freiburg

 

https://freedomforthomas.wordpress.com

http://www.freedom-for-thomas.de

 

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2 Kommentare

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Mit Interesse habe ich heute erstmals Eure/Deine verschiedenen Beiträge gelesen. Ich selbst war 7 Jahre zulange in der SV und wurde vom Europäichen Gerichtshof mit 33 ooo Euro entschädigt. Gerne würde ich, der ich von der JVA Bruchsal bis zuletzt nur negative Entlassungsprognose erhielt noch etwas ausführlicher schreibe. Solltet Ihr Interesse haben, meldet Euch bitte.

Alles erdenklich Gute wünscht Richard Jendrowiak

Vielen Dank für diesen interessanten Bericht!

Aus den Explorationsgesprächen mit anderen Untergebrachten kommt einem das ein oder andere bekannt vor. Zumindest nach den - natürlich subjektiven - Schilderungen der Betroffenen zeigt sich, dass sich das BVerfG in seinem Grundsatzurteil aus 2011 zu sehr auf Therapieoptimismus verlegt hat, statt ein paar mehr Pflöcke für einen freiheitsorientierten Alltag einzuschlagen. Mit "Zimmer" statt "Zelle" ist es m.E. nicht getan (s. schon Bock/Sobota, NK 2012, 106 ff.).

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