70 Jahre Grundgesetz - Das Grundgesetz bedeutet für uns...
Gespeichert von Stephan Lahl am
Das Grundgesetz feiert heute seinen 70. Geburtstag. Anlass genug, sich etwas umzuhören: Was bedeutet das Grundgesetz für Sie? Diese Frage stellten wir unseren Bloggerinnen und Bloggern sowie Verlagsmitarbeitern. Es entstand ein interessantes Potpourri und wir freuen uns, liebe Leserinnen und Leser, wenn auch Sie uns in den Kommentaren verraten, was Ihnen das Grundgesetz im Jahr 2019 bedeutet. Doch nun zunächst unsere kleine Sammlung:
Hans-Otto Burschel: Das Grundgesetz bedeutet für mich ... Heimat. Ich fühle mich heimisch in einem Land, das die Unantastbarkeit der menschlichen Würde an die Spitze seiner Verfassung gesetzt und alle staatliche Gewalt verpflichtet hat, sie zu achten und zu schützen.
Michael A. Else: Das Grundgesetz bedeutet für mich die Grundlage meiner beruflichen Tätigkeit. Als Fachanwalt für Verwaltungsrecht hat das Grundgesetz für mich einen ganz besonderen Stellenwert, da es meine Tätigkeit jeden Arbeitstag prägt. „Meine Gegenseite“ in verwaltungsrechtlichen Verfahren ist fast immer der Staat. Manchmal vertrete ich ihn sogar selbst und kann so auch ein Teil staatlicher Gewalt werden. Dabei kommt der Staat nicht abstrakt daher, der Staat tritt mir in Form seiner unzähligen Vertreter und Beschäftigten gegenüber. Das sind letztlich Menschen wie Du und ich, das sind mal nette, verständnisvolle Menschen, das sind auch mal grantige und kaltherzige Menschen mit all ihren Launen – der Staat, das sind eben wir alle. Dabei eint uns das Fundament der freiheitlich demokratischen Grundordnung unseres Grundgesetzes. Wir alle sind (überwiegend) bestrebt, Recht einzuhalten und zu Recht zu verhelfen, auch wenn bei der Auslegung „was Recht ist“ häufig unterschiedliche Ansichten aufeinandertreffen. Unser Grundgesetz lässt dies zu und sichert mich ab, als Rechtsanwalt frei und unbeeinflusst für mein Verständnis von Recht einstehen zu können. Das Grundgesetz stellt auf der anderen Seite aber auch sicher, dass der Staat seinen Aufgaben nachkommen und seine Interessen verfolgen kann. Ein Meisterstück, was damals unsere Väter und Mütter des Grundgesetzes geschaffen haben. Dafür lohnt es sich zu kämpfen auch noch mindestens in den nächsten 70 Jahren.
Dr. Rolf Hempel: Das Grundgesetz ist für mich die rechtliche Grundlage für unseren demokratischen Rechtsstaat, der Rahmen und die Absicherung unseres freiheitlichen Gemeinwesens, die Verbriefung von Freiheitsrechten und zwar sicher nicht perfekt, aber dennoch die beste Verfassung, die Deutschland je hatte.
Dr. Sylvia Kaufhold, Maître en droit: Das Grundgesetz mit seiner föderalen Ordnung ist für mich immer noch ein Erfolgsmodell, das es unbedingt zu verteidigen gilt. Allerdings nicht nur gegenüber der wachsenden Schar von Verfassungsfeinden. Auch im „regulären Betrieb“ drohen Gefahren:
Die Tendenz zur ständigen Änderung und Erweiterung der Verfassung (Überkonstitutionalisierung) schränkt die Reaktionsmöglichkeiten des einfachen Gesetzgebers stark ein und schafft nur noch schwer zu korrigierende, teils explizite Widersprüche zum – höherrangigen – Europa- und Völkerrecht. Bestes Beispiel: Der Asylkompromiss von 1993, an dessen widersprüchlichen Signalen (Art. 16a Abs. 2 und 3 GG) sich immer noch die Geister scheiden. Außerdem verlängert das Abladen politischer Ziele in die Verfassung den Rechtsweg und überfordert die Rechtsprechung – während der politische Gestaltungswille erlahmt.
Eine weitere Gefahr ist die Steuerung der zivilgesellschaftlichen Debatte durch eine extensive Grundrechtsbindung. Eine Tendenz, die auch auf EU-Ebene besteht. Die Gewährung von Meinungsfreiheit, Diskriminierungsverbote, Frauenquoten, Gendergerechtigkeit etc. sind nicht mehr nur staatliche Aufgaben, sondern sollen für alle (Arbeitgeber, Social Media, Parteien etc.) gelten. Und zwar gesetzlich, nicht selbst verordnet. Das schadet nicht nur der Vertragsfreiheit, sondern auch der gesellschaftlichen und politischen Wahrhaftigkeit. Die Rechtsprechung des BVerfG ist hieran nicht ganz unschuldig. Als nächstes könnte ein „Meinungsfreiheits-Durchsetzungsgesetz“ gegen Facebook & Co. kommen. Ebenso falsch wie das NetzDG.
Schließlich ist auch die Verdrängung des Grundgesetzes durch europäisches Recht kritisch zu betrachten, zumal EuGH und BVerfG nur selten einer Meinung sind. Das schafft nicht nur fundamentale Rechtsunsicherheit, sondern schmälert auch die generelle Akzeptanz für das europäische Projekt. Im Rahmen der anstehenden EU-Reform sollten Kompetenzen und Rechtswege daher unbedingt klarer gegeneinander abgegrenzt werden.
Dr. Dennis-Kenji Kipker: Das Grundgesetz bedeutet für mich Stabilität und Verlässlichkeit auch in einem Zeitalter von laufend neuen gesellschaftlichen, politischen und technischen Entwicklungen.
Jürgen Krais: Das Grundgesetz bedeutet für mich das Versprechen, dass Freiheit über Bürokratie geht und Chancengleichheit über Macht.
Carsten Krumm: Das Grundgesetz bedeutet für mich die Garantie meines freien Lebens in einem Rechtsstaat, auf den man vertrauen kann. Auch wenn jeder von uns irgendwann einmal an der Funktion und Sinnhaftigkeit mancher Normen und Strukturen in unserem Lande zweifelt oder vielleicht gar verzweifelt, so ist das Grundgesetz für mich sowohl als Bürger als auch als Jurist eine Art Fels in der Brandung ständiger gesetzlicher und tatsächlicher Änderungen. Insoweit wünsche ich mir einen besonders vorsichtigen Umgang mit Neuregelungen und Änderungen im Grundgesetz in jedweder Hinsicht. Aus richterlicher Sicht ist das Grundgesetz freilich nur selten unmittelbar anzuwendendes Recht – es ist auch hier eher eine Art Basis, derer man sich bei der täglichen Arbeit und der täglichen Rechtsanwendung stets bewusst sein sollte.
Prof. Dr. Henning-Ernst Müller: „Die Würde des Menschen ist ein Konjunktiv“ (Wiglaf Droste). Juristen sollten täglich daran arbeiten, dass dort, wo Art. 1 GG zum „hätte“, „könnte“ und „wäre“ verkommen ist, wieder zum Indikativ wird.
Jörn Patzak: Das Grundgesetz ist die Grundlage für ein geordnetes Zusammenleben. Es setzt die Maßstäbe für ein ausgewogenes Verhältnis der Freiheitsrechte des Einzelnen auf der einen Seite und staatlicher Regulation auf der anderen Seite. Auch durch das Betäubungsmittelrecht erfolgt eine erhebliche staatliche Einflussnahme, indem der Verkehr mit Betäubungsmitteln grundsätzlich verboten ist. Insbesondere für Cannabis wird dies bereits seit Langem lautstark kritisiert. Im Jahr 1994 hat das Bundesverfassungsgericht erklärt, dass aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht kein „Recht auf Rausch“ abgeleitet werden kann, so dass die Strafvorschriften des BtMG, die den unerlaubten Umgang mit Cannabisprodukten mit Strafe bedrohenden, verfassungsgemäß sind (BVerfGE 90, 145). Aktuell wird das Spannungsfeld zwischen Freiheitsrechten und staatlichen Eingriffen durch das BtMG besonders deutlich bei der Frage, ob suizidwillige Personen mit einer schweren und unheilbaren Erkrankung das Recht auf eine Erlaubnis zum Erwerb eines Betäubungsmittels für eine Selbsttötung haben. Das BVerwG hat dies bejaht (BVerwGE 158, 142), wohingegen der ehemalige Verfassungsrichter Di Fabio in einem Rechtsgutachten zum Ergebnis kommt, dass diese Entscheidung verfassungsrechtlich nicht haltbar sei! Aber auch das zeichnet unsere Werteordnung aus. Jedermann ist frei, seine Meinung zu umstrittenen Regelungen und Entscheidungen frei zu äußern, um damit eine kritische Auseinandersetzung anzustoßen. Ich bin stolz darauf, meinen Teil im Beck-Blog im Betäubungsmittelrecht dazu leisten zu dürfen, auch wenn bei einigen meiner Beiträge die Meinungsäußerungsfreiheit der Kommentarschreiber deutlich überschritten wurde (z.B. wurde ich als Faschist, als Teil des Hitlerregimes mit einer „überholten altbackenen faschistoiden Argumentation“, als Nazi oder als „moechtegernjurist ohne argumente“ bezeichnet). Aber zum Glück muss man sich nicht alles gefallen lassen. Danke dafür dem Grundgesetz und herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag!
Barbara Schmitz: Das Grundgesetz bedeutet für mich…
70 Jahre zeitlose Basis für einen starken Staat mit sicherem Rahmen!
3.652 Wochen und 4 Tage eine demokratische Wertegesellschaft mit Verstand und gerne auch mit Emotionen für neue politische oder gesellschaftliche Fragestellungen!
25.568 Tage die tagesaktuelle Anwendung grundgesetzlicher Werte für individuelle Lebensziele!
Und dem Geburtstagswunsch: Ewigkeitsgarantie iVm Art. 79 Abs. 3 GG!
Sibylle Schwarz widmet sich in einem Blogbeitrag dem Thema 70 Jahre Grundgesetz und dem Recht auf Bildung.
Dr. Michael Selk: Die Deutschen erleben seit 1949 Freiheit, Frieden und Wohlstand in einer Weise, wie es zu keiner anderen Zeit in Deutschland möglich war. Ohne die Arbeiten des Parlamentarischen Rates 1948/1949, der verantwortlich ist für das Grundgesetz in der ursprünglichen Fassung des Jahres 1949, wäre dies nicht möglich gewesen. Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland hat mich seit Beginn meines Jurastudiums begeistert – die dort zum Ausdruck kommende Liberalität eines Staates ist aus meiner Sicht einzigartig. „In dubio pro libertate“ (Böckenförde) – so habe ich das Grundgesetz und insbesondere die Grundrechte empfunden und gelebt, so ist mein Verfassungsverständnis stets gewesen. Um so kritischer stehe ich zahlreichen Änderungen der letzten Jahre und Jahrzehnte gegenüber, wie etwa der Änderung des Art. 16 II 2 GG a.F. Die „Verfassungsmütter und -väter“ würden sich im Grabe umdrehen, wenn sie von den teilweise erfolgreichen Versuchen (Art. 16a GG) wüssten. Gerade die Jahre 1933–1945 standen ihnen vor Augen, als sie „Politisch Verfolgte genießen Asyl“ formulierten. Die Äußerungen von Carlo Schmid und H. von Mangoldt im Hauptausschuss des Parlamentarischen Rates dazu sind Legende. Leider ist es die kurzatmige Tagespolitik, die dazu führt, dass an manchen Säulen des Grundgesetzes immer wieder gerüttelt wird. Mein Plädoyer: Hände weg vom Grundgesetz!
Verlagsmitarbeiterinnen und -mitarbeiter präsentieren ihre Statements in einem kleinen Film.