Ärzte, die sich von Pharmaunternehmen schmieren lassen: strafbar wegen Bestechlichkeit oder „ganz normales, natürliches Verhalten“?
Gespeichert von Prof. Dr. Henning Ernst Müller am
Gestern Abend bei „hart aber fair“ stellte der Vorsitzende der Bundesärztekammer Montgomery die Behauptung auf, Ärzte, die für die Verschreibung von Medikamenten der Firma ratiopharm Geld angenommen hätten, hätten sich nicht strafbar gemacht und deshalb handele es sich um „ein ganz normales, natürliches Verhalten“.
Wörtliches Zitat (nach Spiegel-Online, dort auch Korrektur der teilweise unrichtigen tatsächlichen Behauptungen Montgomerys):"Vor einigen Monaten hat eine große Zeitung behauptet, dass die Firma Ratiopharm Ärzte schmieren würde. 260 Ärzte sollten angezeigt werden. Die Staatsanwaltschaft hat in sämtlichen Fällen alle eingestellt, weil es nicht strafbar war, was da geschah. Es war ein ganz normales, natürliches Verhalten."
Abgesehen davon, dass die Annahme solcher Schmiergelder den ärztlichen Berufsordnungen widerspricht und schon deshalb die Schlussfolgerung Montgomerys – das Verhalten ist nicht strafbar, also erlaubt - eher zweifelhafte Moralvorstellungen spiegelt als die allgemeine Erwartung, stellt sich die Frage für den Strafrechtler: Ist es denn zutreffend, dass die Ärzte straflos handeln?
In Betracht kommt § 299 StGB, Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr.
Allerdings müssen die Täter die Eigenschaft „als Angestellter oder Beauftragter eines geschäftlichen Betriebes“ erfüllen. Da ein niedergelassener Arzt kein Angestellter ist, ist zu fragen, ob er „Beauftragter“ ist – hier namentlich der Krankenkassen, die letztlich die verordneten Medikamente bezahlen (müssen).
Dass eine Krankenkasse einen „geschäftlichen Betrieb darstellt“ wird man ohne Weiteres bejahen können. Aber was ist mit der Beauftragteneigenschaft? Immerhin vertritt Bundesrichter Fischer in seinem verbreiteten Kommentar zum StGB (Fischer, § 299 Rz. 10a und 10 b) mit plausiblen Argumenten die Auffassung, niedergelassene Kassenärzte seien in ihrer Vertragsbeziehung zum Pharmaanbieter Vertreter der Krankenkasse und insofern deren Beauftragte. Die Ansicht beruht auf einem Artikel von Pragal NStZ 2005, 133. Widersprochen wird dieser Ansicht vehement von Rechtsanwalt Geis (wistra 2005, 369), der Pragal einer Tatbestandsüberdehnung zeiht: der Arzt sei in seinem Verschreibungsverhalten keineswegs Beauftragter der Krankenkasse, sondern handele völlig frei und eben ohne Auftrag.
Im Sinne des Bestimmtheitsgebots würde ich letzterer Ansicht den Vorzug einräumen, jedoch zugleich – angesichts der leider bekannt gewordenen Selbstbedienungsmentalität einiger Ärzte – eine gesetzliche Regelung anmahnen, sofern nicht die Berufsregeln der Ärzteschaft hier genügend Abhilfe schaffen. Letztlich zahlt der Patient und die Kosten sind solche des gesamten Gesundheitssystems. Leider verliert man mit der Äußerung Montgomerys das Vertrauen, dass die Selbstreinigungskräfte der Ärzteschaft ausreichen.
Kriminologisch interessant ist das dictum Miontgomerys, es handele sich um "natürliches" Verhalten. Dies spielt an auf die ökonomische "Natur" des Arztdaseins. Der ökonomisch orientierte rational-choice-Ansatz würde dieses Verhalten wohl auch für natürlich erklären (allerdings zur Abwendung des Verhaltens Strafe und Strafverfolgung empfehlen): Die Ärzte strebten wie jeder Mensch nach Maximierung von (materiellen) Vorteilen bei Minimierung von Nachteilen. Merkwürdig nur, dass ich zu meinem Bekanntenkreis Ärzte zähle, die dies ganz und gar nicht "natürlich" finden und solche Schmiergeldangebote vehement ablehnen würden. In den Augen ihres Verbandsvertreters sind sie wohl "unnatürlich".