Nach U-Bahn-Attacke: Offenbar missbräuchliche Öffentlichkeitsarbeit der Berliner Staatsanwaltschaft
Gespeichert von Prof. Dr. Henning Ernst Müller am
Die Problematik staatsanwaltlicher Öffentlichkeitsarbeit in Ermittlungsverfahren war hier im Blog schon mehrfach Gegenstand der Debatte, muss aber nach jetzt in Berlin bekannt gewordenen Umständen erneut diskutiert werden. Wir erinnern uns an den Fall einer brutalen Attacke von angetrunkenen Jugendlichen auf einen erwachsenen Fahrgast auf einem Berliner U-Bahnhof. Das Opfer wurde zu Boden geschlagen und dann vom Angreifer mit Wucht auf den Kopf getreten. Die Empörung in der Berliner und bundesrepublikanischen Öffentlichkeit war groß, zumal es ja auch schon in anderen Städten zu ähnlichen Vorfällen gekommen ist.
Ausgangspunkt für die öffentliche Empörung, die sich bis zu persönlichen journalistischen Attacken auf den Richter fortsetzten, der dem Gesetz gemäß Haftverschonung gewährte (hier die Diskussion im Blog dazu), waren Aufnahmen der Videoüberwachungskamera, die die Staatsanwaltschaft zu „Fahndungszwecken“, also nach § 131 b StPO, an die Presse geleitet hatte.
Nun berichtete die Berliner Abendschau mit entsprechenden Belegen, dass der von der Staatsanwaltschaft weitergegebene Videoausschnitt nicht die ganze Wahrheit zeigt: Vor der brutalen Attacke auf den Erwachsenen gab es schon eine verbale Auseinandersetzung zwischen den Kontrahenten und es ergibt sich der Eindruck, dass das spätere Opfer möglicherweise zuerst zum körperlichen Streit übergegangen ist. Zudem gibt es eine frühere Videosequenz, die das Gesicht des Verdächtigen wesentlich besser zeigt und deshalb zur Identifizierung wesentlich geeigneter ist. Video der Abendschau.
Die Erläuterung der Staatsanwaltschaft, man habe die „Bewegungsabläufe" des Täters für fahndungsrelevanter gehalten als die Gesichtszüge erscheint mir eine wenig plausible Schutzbehauptung.
Meines Erachtens hat die Staatsanwaltschaft mit diesem Videoausschnitt keinen Fahndungszweck verfolgt, sondern ganz andere Zwecke: Die Öffentlichkeit wurde in einer bestimmten Richtung manipuliert, um die „Stimmung“ anzuheizen.
Mir geht es hier nicht um Schuld oder Unschuld des mittlerweile angeklagten mutmaßlichen Täters oder um "Mitschuld" des Opfers. Die näheren Umstände hat das Gericht zu beurteilen.
Es geht mir aber darum, einer um sich greifenden Selbstermächtigung von Staatsanwaltschaften, ihre Ermittlungen in der Öffentlichkeit einseitig zu präsentieren und damit „Werbung“ für ihre Anträge und Entscheidungen zu machen, deutlich entgegenzutreten. Die verkürzte Veröffentlichung war immerhin dazu geeignet, die richterliche Entscheidung über den Haftbefehl und Untersuchungshaft auf dem Weg über die Öffentlichkeit zu beeinflussen, wenn auch der Richter sich nicht beeinflussen ließ.
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