Demnächst wird der BGH das Institut der "ungleichartigen Wahlfeststellung" vermutlich kippen
Gespeichert von Prof. Dr. Bernd von Heintschel-Heinegg am
Demnächst wird das Institut der "ungleichartigen Wahlfeststellung" (auch echte Wahlfeststellung genannt; genauer: gesetzesalternative Verurteilung, weil damit sprachlich schon das Problem nicht verdeckt sondern fixiert ist) wohl das Zeitliche segnen wie schon vor vielen Jahren das Institut des Fortsetzungszusammenhangs. Es scheint, dass die überzeugende Kritik von einigen wenigen Strafrechtswissenschaftlern (insbesondere Georg Freund „Nicht „entweder – oder", sondern "weder – noch" in Festschrift für Jürgen Wolter, 2013, Seite 35 ff) beim BGH nun Gehör gefunden hat. Sollte das eintreten, dann werden zumindest Modifikationen auch beim Institut der Postpendenz erfolgen müssen.
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die Revision eines Angeklagten, der "wegen Diebstahls oder gewerbsmäßiger Hehlerei" in 19 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt worden war, die Verhandlung unterbrochen und bei den anderen Strafsenaten angefragt, ob sie sich seiner Rechtsansicht anschließen, wonach die "ungleichartige Wahlfeststellung" gegen den verfassungsrechtlichen Grundsatz der Gesetzmäßigkeit von Strafgesetzen (Art. 103 Absatz 2 Grundgesetz) verstößt. Es handle sich nicht nur um eine prozessuale Entscheidungsregel, sondern um eine sachlich-rechtliche Strafbarkeitsregel, die dem Gesetzesvorbehalt unterliege (Beschluss vom 28. Januar 2014 – 2 StR 495/12; die Beschlussgründe liegen noch nicht vor).
Bei der "ungleichartigen Wahlfeststellung" handelt es sich um eine in engen Grenzen bereits vom Reichsgericht anerkannte, auf richterlicher Rechtsfortbildung beruhende Rechtsfigur. Danach kann ein Beschuldigter "wahlweise", also wegen Verstoßes entweder gegen das eine oder gegen das andere Strafgesetz verurteilt werden, wenn nach Durchführung der Beweisaufnahme offen bleibt, welchen von beiden Tatbeständen er verwirklicht hat, und die Möglichkeit ausgeschlossen ist, dass keiner von beiden erfüllt wurde. Entwickelt wurde diese Verurteilungsmöglichkeit ursprünglich für Fälle, in denen ungeklärt bleibt, ob ein Beschuldigter, bei dem gestohlene Sachen gefunden werden, diese selbst gestohlen (Diebstahl) oder von dem Dieb erworben hat (Hehlerei); beide Tatbestände schließen sich aus. Nach bisher ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann eine wahlweise" Verurteilung deshalb erfolgen, da beide Taten "rechtsethisch und psychologisch vergleichbar" seien.
Aus meiner Sicht ist das ohne gesetzliche Ermächtigungsgrundlage allein richterrechtlich entwickelte Institut aufzugeben, das ich auch in Widerspruch zur Unschuldsvermutung sehe: „Wenn es keinen eindeutigen Tatvorwurf gibt, ist in einem rechtsstaatlichen Strafrecht ein Freispruch zwingend geboten“ (Freund aaO S. 59).