Hauptverhandlung gegen Gustl Mollath – Eindrücke vom dritten Tag
Gespeichert von Prof. Dr. Henning Ernst Müller am
Am heutigen Mittwoch-Nachmittag hatte ich erneut Gelegenheit, dem Prozess beizuwohnen.
Nachdem der Vormittag bei der Vernehmung der Frau S., Freundin der Ex-Ehefrau Mollaths und Arzthelferin in der Praxis des Arztes, der das Attest ausstellte, wohl einige Überraschungen bot (siehe Berichte hier und hier), stand der Nachmittag vor allem im Zeichen der mangelnden Erinnerung.
Erinnerung und Wahrheit
In den Nachmittagsstunden hörte man aus verschiedensten Quellen immer wieder dasselbe: „Daran habe ich wirklich keine Erinnerung“. Man hatte meist den Eindruck, dass dieser Satz der Wahrheit entsprach. Aber er hatte zugleich in vielen Fällen gewissensreinigende Bedeutung. Denn hätte man sich erinnert, wäre das vielleicht nicht immer eine rühmliche Erinnerung gewesen. Das Gericht bemühte sich teils durch Vorhalte aus Akten das Beste daraus zu machen. Heraus kam ein unvollständiges Mosaik aus anekdotenhaften Wahrscheinlichkeiten und schlussgefolgerten Gedankengängen nach dem Motto: Es war kein ungewöhnlicher Fall, weshalb ich mich nicht erinnere und wenn ich das damals (nicht) so aufgeschrieben habe, dann wird es wohl (nicht) so passiert sein. Mangelnde Erinnerung ist nach bis zu fast dreizehn Jahren nach den Ereignissen keineswegs überraschend. Insbesondere dann, wenn das Erinnerte nur wenig von der beruflichen Alltagsroutine abweicht. Nun ist der Fall Mollath seit fast zwei Jahren in den Medien und dementsprechend stark und punktuell wird die Erinnerung von den Presseberichten beeinflusst. Dem kann sich kein Mensch entziehen. Das kann in der Quintessenz dann manchmal zu einer plausiblen Geschichte zusammengefügt werden, aber für einen strafgerichtlichen Beweis genügt es meist nicht.
Der Arzt
Die Aussage des Arztes gab Einblicke in die Erstellung eines Attests, das dann immerhin zum ausschlaggebenden Beweismittel für eine 7,5 Jahre andauernde Unterbringung wurde. Ging es bislang im Wiederaufnahmeverfahren um die Unechtheit der äußerlich von Frau Dr. R., tatsächlich aber von Herrn Dr. R. stammenden Urkunde, ging es nun auch inhaltlich zur Sache. Es zeigte sich: Dieses Attest war als Beweismittel in einem Strafprozess nicht nur formal, sondern auch inhaltlich allenfalls rudimentär brauchbar: Hätte man den Arzt damals in Nürnberg schon mit demselben kritischen Nachfragen konfrontiert wie es jetzt insbesondere durch den Sachverständigen Eisenmenger geschah, dann hätte der Nachweis einer gefährlichen Körperverletzung (nach § 224 I Nr.5 StGB) darauf kaum gestützt werden können.
Zwei Richter, ein Staatsanwalt
Die Vernehmungen eines damaligen Strafrichters am AG Nürnberg, eines Berliner Ermittlungsrichters sowie eines Sitzungsvertreters der Staatsanwaltschaft erbrachte – mangels Erinnerung – kaum nützliche Informationen, die über bereits Aktenkundiges hinausgingen. Was passierte damals mit der Mollath-schen Verteidigungsschrift, dem berühmten 106-seitigen Duraplus-Ordner? Offenbar wurde damals schon die Schublade geöffnet, aus der Mollath dann erst zehn Jahre später wieder entkam: Zum Psychiater wurde das Original geschickt, aber nicht mal eine Kopie an die Staatsanwaltschaft, die die Strafanzeige Mollaths bearbeiten sollte.
Der Pflichtverteidiger
Es folgte noch die Vernehmung des ehemaligen Pflichtverteidigers. Auch er erinnerte sich nicht mehr an Einzelheiten der Verhandlungen, er verlas aber immerhin seine – wenig erhellenden – damals erstellten Notizen. Die Reputation des ehemaligen Verteidigers von Mollath hat unter dem Fall gelitten. Verbale und sachbeschädigende Angriffe von angeblichen Mollath-Unterstützern kommen hinzu. Der Pflichtverteidiger empfindet sich, so hat man den Eindruck, selbst vor allem als Opfer der Affäre und macht dafür, so lässt sich mehrfach zwischen den Zeilen erkennen, Mollath verantwortlich. Schließlich kämen die Angriffe auf seine Person Herrn Mollath "zugute". Diese Formulierung nimmt er später zurück.
Nun lässt sich die Frage, wie gut oder wie schlecht die Verteidigung war, mangels Erinnerung und vollständigen Aufzeichnungen kaum abschließend beantworten. Sicherlich war Herr Mollath kein leichter Mandant (Einfügung/Update: Dass er in der Hauptverhandlung vor dem AG Broschüren von den Nürnberger Prozessen auf seinem Tisch arrangierte und darin provokativ in der Verhandlung gelesen haben soll, zeigt dies deutlich). Dennoch: Professionell klingt es nicht, wenn ein Verteidiger resignierend angibt, gegen das psychiatrische Gutachten des Dr. Leipziger und dagegen, dass das LG diesem folge, hätte er sowieso nichts machen können. Der Pflichtverteidiger bestreitet, Mollath für krank gehalten zu haben. Aber wie ist es zu bewerten, dass er nicht einmal widersprach, als der damalige Gutachter seinem Mandanten eine Wahnerkrankung und daraus folgende Gefährlichkeit attestierte? Seine noch heute plastisch geschilderte Angstreaktion auf eine Situation vor zehn Jahren, scheint wenig nachvollziehbar: Mollath hatte unangemeldet abends an seiner Kanzleitür geklingelt und geklopft und dies habe ihn in so krasse Angst versetzt, dass er sich dann lange Zeit nicht traute, seine Kanzlei zu verlassen. Diese Situation meldete er – zum Schaden seines Mandanten – dem Gericht. Sie erklärt vielleicht auch, warum der Verteidiger damals keine Veranlassung mehr sah, Mollath vor der schlimmsten in Betracht kommenden Sanktion zu schützen, der Anwendung des § 63 StGB: Er sah sich ja selbst von Mollath beleidigt, verfolgt und bedroht. Demgegenüber klingt es verniedlichend, wenn er immer wider einstreut, die "Chemie hat einfach nicht gestimmt". Was schon aus den Akten erkennbar war, wird jetzt noch deutlicher: Mollath hatte zwar formal einen Verteidiger, aber er wurde tatsächlich nicht verteidigt. Nach seiner Darstellung war dafür vor allem Mollath selbst verantwortlich.
Es kommt dann noch zu einem bemerkenswerten Austausch: Mollath, angeblich bis vergangenes Jahr wahnkrank, paranoid und für die Allgemeinheit gefährlich, meldet sich zu Wort, um seinen ehemaligen Pflichtverteidiger zu beruhigen und ihm die Angst zu nehmen. Dieser nämlich sieht sich offenbar sogar jetzt noch verfolgt und bedroht von Mollath. Der sei ihm noch vor Kurzem wieder begegnet, mit einem gelben Sweatshirt und einem Peace-Zeichen an einer Metallkette. Mollath habe auch seinen Wohnsitz ausgeforscht und grüße ihn nicht einmal mehr. Mollath kopfschüttelnd sinngemäß: Sie müssen mich verwechselt haben, ich habe keine solche Kette. Ich habe Sie nicht vor Kurzem getroffen, kenne auch Ihre Adresse nicht. Ich versichere, Sie brauchen keine Angst vor mir zu haben. Und Mollath distanziert sich auch deutlich von angeblichen „Unterstützern“ die den Pflichtverteidiger noch heute bedrohen und beleidigen.