Plädoyer für die Abschaffung von § 166 StGB - Charlie Hebdo und die Folgen
Gespeichert von Prof. Dr. Thomas Hoeren am
Es war damit zu rechnen: Nach den entsetzlichen Anschlägen u.a. auf die Redakteure von Charlie Hebdo wird der Ruf laut, § 166 StGB (Beschimpfung von Bekenntnissen, Religionsgesellschaften und Weltanschauungsvereinigungen) abzuschaffen. Grüne und Liberale fordern das, die christlichen Parteien argumentieren "naturgemäß" dagegen. Zu den Krikern und mit weiteren Belegen
http://www.giordano-bruno-stiftung.de/meldung/charlie-hebdo-paragraph166...
Ein Urteil in die eine oder andere Richtung fällt schwer. Doch ein Blick hinter die Vorschrift spricht Bände: 14 Verurteilungen im Jahre 2004 (seitdem gibt es keine Zahlen mehr), davon die meisten in Bayern und Baden-Württemberg.
Siehe dazu ausführlich http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/16/035/1603579.pdf
Und auch der Wortlaut sorgt für Rätsel. Für die, die die Vorschrift nicht mehr im Blick haben, hier § 166 Abs. 1:
"Wer öffentlich oder durch Verbreiten von Schriften (§ 11 Abs. 3) den Inhalt des religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnisses anderer in einer Weise beschimpft, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft."
Hier ist alles unkonturiert. Die Anwendbarkeit des Schriftenbegriffs auf Internetpublikationen ist seit Jahren schwierig. Was "der Inhalt des Bekenntnisses" sein soll, bleibt im vagen. Über den öffentlichen Frieden wollen wir erst gar nicht reden. Was schützt der Staat hier eigentlich? Doch nicht die Religion, sondern nur die öffentliche Ruhe, was immer das sein mag. In dieser Hinsicht liest sich die Vorschrift wie die Aufforderung zum religiös motivierten Krawall. Und gegenüber der grundgesetzlich geschützten Kunst- oder Pressefreiheit tritt diese Strafvorschrift ohnehin regelmäßig zurück.
Also losgelöst von alten "Glaubenskriegen" rund um § 166 StGB: Eine solch symbolische Strafvorschrift gehört m.E. abgeschafft - was ja nicht heißt, dass Religionsgemeinschaften nicht andere Rechtsmittel gegen Exzesse nutzen können und dürfen sollten.