"Mit Worten läßt sich trefflich streiten"
Gespeichert von Prof. Dr. Claus Koss am
Wer die Begriffe "Eigentum" und "Besitz" verwechselt, outet sich als Laie in der deutschen Juristerei. Der englische Begriff "ownership" hingegen folgt einer anderen Dogmatik. Treffen dann zwei Rechtssysteme in zwei unterschiedlichen Sprachen aufeinander, sind Reibungsverluste vorprogrammiert - manchmal auch bewusst in Kauf genommen.
Art. 8.27 Abs. 4 des Comprehensive Economic and Trade Agreement, kurz CETA, definiert die Qualifikation der Mitglieder für die in der Öffentlichkeit besonders umstrittenen Schiedsgerichte im Englischen als "jurists of recognized competence". In der von der EU-Kommission veröffentlichten deutschen Fassung wird die Qualifikationsanforderung gesteigert auf "Juristen von anerkannt hervorragender Befähigung" [Quelle: Liebrich, "Kuriose Wortspiele im Ceta-Vertrag", Süddeutsche Zeitung, Jg. 72, Nr. 231 HBG (6.10.2016), S. 17]. Nun mag der juristisch vorgebildete Leser sich gleich über die Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe wundern. In der deutschen Übersetzung steht aber etwas, was nicht im englischen Original steht. Damit ist ein wunderbares Streitfeld eröffnet, z.B.: reicht für die Tätigkeit im Schiedsgericht ein Diplom als Wirtschaftsjurist aus, muss es ein Prädikatsexamen sein, oder genügt eine entsprechende Publikationstätigkeit? Warum, so fragt sich der Betrachter, hätten es die Vertragsparteien nicht beim ersten Halbsatz in Art. 8.27 Abs. 4 CETA belassen können? Dort heißt es zur Qualifikation "Die Mitglieder des Gerichts müssen die in ihren jeweiligen Ländern zur Ausübung des Richteramts erforderlichen Qualifikation besitzen ..." (a.a.O., Hervorhebung durch Verf.) Damit wäre etwas klar und eindeutig geregelt.
Bei der Übersetzung des CETA-Abkommens unterstellt die Tagespresse noch politischen Vorsatz bei der Übersetzung, bei der amtlichen Übersetzung der von der EU gebilligten Standards zur Rechnungslegung (kurz: EU-IFRS) ist die Unkenntnis der Fachbegriffe evident.
Im maßgeblichen englischen Original wird beispielsweise der Fachbegriff "recognition" verwendet (vgl. z.B. Conceptual Framework, Tz. 82) - amtliche EU-Übersetzung: "Erfassung". Es erschließt sich dem Buchhalter nicht, warum die EU-Übersetzer nicht den (richtigen und eingeführten) Fachbegriff "Ansatz" aus dem HGB verwendet haben? Vollens verwunderlich wird die mangelnde Sachkenntnis beim Blick in die Standards selber. In IAS 38, Tz. 18, zu den immateriellen Vermögenswerten wird "recognition" im Text selber mit "Ansatz" übersetzt, in der Überschrift ist dagegen von der "Erfassung" die Rede.
Diese offensichtlich inkonsistente Begrifflichkeit mag man noch als rein akademisch abtun. Ein paar Absätze weiter oben (IAS 38, Tz. 13) geht es um die materielle Frage der Aktivierungspflicht von immateriellen Vermögenswerten. Nach dem englischen Original muss das bilanzierende Unternehmen "Control" über den Vermögenswert ausüben, in der amtlichen Übersetzung muss es "Beherrschung" ausüben (so die Überschrift vor IAS 38, Tz. 13) oder "Verfügungsgewalt" (in IAS 38, Tz. 13) haben.
Ein Beispiel aus der Praxis des Verfassers: ein wirtschaftliches klammes Unternehmen wollte die Bank von seiner Kreditwürdigkeit mit einem freiwillig aufgestellten IFRS-Abschluss überzeugen. Wesentlicher Vermögenswert war ein (noch nicht eingetragenes) Geschmacksmuster für ein technisches Gerät. Wenn "Control" im Sinne von "Kontrolle" ausreicht, ist die Aktivierung, ggfs. die Bewertung mit dem beizulegenden Zeitwert, zulässig. Wenn es sich aber um eine "Verfügungsgewalt" handelt, ließe sich darüber streiten (da noch nicht eingetragen). Der Unterschied zwischen beiden Interpretation lag in einer Erhöhung des Eigenkapitals um einen einstelligen Millionenbetrag.
Goethe wusste, wovon er dichtete, als er den Mephisto zum Schüler im Studierzimmer sagen lässt:
"Denn eben wo Begriffe fehlen,
Da stellt ein Wort zur rechten Zeit sich ein.
Mit Worten läßt sich trefflich streiten,
Mit Worten ein System bereiten,
An Worte läßt sich trefflich glauben,
Von einem Wort läßt sich kein Jota rauben"
Goethe war (auch) Jurist.