Entwurf des "Corona-Gesetzes" im Allgemeinen Vertragsrecht: Verständliches Ziel, problematisches Mittel
Gespeichert von Prof. Dr. Thomas Riehm am
Am 23. März hat das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) eine „Formulierungshilfe für einen Gesetzentwurf zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht“ auf seiner Homepage veröffentlicht. Im Hinblick auf das allgemeine Vertragsrecht sieht dieser im Wesentlichen ein „Moratorium“ zugunsten von Verbrauchern und Kleinstunternehmen für „wesentliche Dauerschuldverhältnisse“ vor (s. zum Inhalt des Entwurfs diesen Blogbeitrag).
Die beabsichtigten Regelungen verfolgen das verständliche Ziel, Verbraucher und Kleinstunternehmen vor dem Verlust wesentlicher Leistungen der Daseinsvorsorge (Strom, Gas, Wasser, Telefon und Internet) bzw. betriebswesentlicher Leistungen zu schützen. Das gewählte Mittel ist allerdings nicht vollauf überzeugend: Die Gewährung eines Leistungsverweigerungsrechts löst zwar das Problem des akuten Liquiditätsengpasses,, verschiebt die finanziellen Folgen der COVID-19-Pandemie allerdings nur auf den Zeitpunkt des Auslaufens des Moratoriums, wo sie umso härter zuschlagen werden. Denn zu diesem Zeitpunkt (nach dem gegenwärtigen Entwurfsstand der 30. Juni 2020, verlängerbar bis zum 30. September 2020) werden sämtliche in der Zwischenzeit aufgelaufenen offenen Forderungen sofort in voller Höhe fällig. Dies dürfte zu einer massiven Kündigungswelle der jeweiligen Gläubiger wegen Zahlungsrückständen führen, wenn die Verbraucher bzw. Kleinstunternehmer bis dahin keine hinreichenden Liquiditätsreserven werden aufbauen können, um die Zahlungsrückstände zu bedienen. Das Moratorium löst das Problem also nicht, sondern verschiebt es lediglich in der Zeit.
Zudem sind die Voraussetzungen, unter denen die Schuldner sich auf das Moratorium berufen können, mit unbestimmten Rechtsbegriffen gespickt, die eine rechtssichere Handhabung in der kurzen zur Verfügung stehenden Zeit sehr schwierig erscheinen lassen: Welche Verträge „zur Eindeckung mit Leistungen der angemessenen Daseinsvorsorge“ bzw. „ zur angemessenen Fortsetzung seines Erwerbsbetriebs erforderlich sind“, dürfte ohne entsprechende Regelbeispiele schon nicht immer eindeutig zu bestimmen sein. Vor allem fehlt jeglicher zahlenmäßiger Anhaltspunkt für die Beantwortung der Frage, wann die Erbringung einer Leistung ohne Gefährdung des angemessenen Lebensunterhalts für den Verbraucher oder seine unterhaltsberechtigten Angehörigen nicht möglich wäre. Hier wäre viel Rechtssicherheit gewonnen, wenn die Regelungen mit den Schutzvorschriften des Zwangsvollstreckungs- und Insolvenzrechts und/oder des SGB II artikuliert würden, auch um zu definieren, in welcher Reihenfolge der Schuldner seine begrenzt vorhandenen Mittel, die nicht zur Befriedigung sämtlicher Gläubiger ausreichen, für die Bezahlung seiner verschiedenen Verbindlichkeiten einzusetzen hat.
Die Rechtsunsicherheit, die durch diese unbestimmten Rechtsbegriffe bewirkt wird, ist deswegen besonders gefährlich, weil die Konsequenzen eines Irrtums bei der Berufung auf das Leistungsverweigerungsrechts so gravierend sind: Typischerweise führt eine unberechtigte Leistungsverweigerung zur Kündigung des Dauerschuldverhältnisses durch den Gläubiger; die Berechtigung das Leistungsverweigerungsrechts wird dann erst später im Prozess um die Feststellung der Unwirksamkeit der außerordentlichen Kündigung geprüft. Zu diesem Zeitpunkt – Monate später – hat der Gläubiger allerdings seine Leistungen längst eingestellt, der Verbraucher bzw. Kleinstunternehmer also seinen Zugang zu essenziellen Leistungen verloren.
Problematisch scheint schließlich die Begrenzung auf Dauerschuldverhältnisse, weil die Unterscheidung, welche wesentlichen Leistungen mit einmaligen Kaufverträgen und welche im Rahmen von Dauerschuldverhältnissen erbracht werden, durchaus zufällig sein kann: Ob Mobilfunk etwa per Dauerschuldverhältnis oder im Prepaid-Modell bezogen wird, dürfte an der Schutzwürdigkeit des Verbrauchers und der Relevanz des Zugangs Mobilfunk gerade in Zeiten häuslicher Quarantäne nichts ändern. Gleiches gilt für Lebensmittel, die gerade bei einer Versorgung während häuslicher Quarantäne entweder punktuell (Einzelkaufverträge) oder im Abo (Dauerschuldverhältnis) bestellt werden. Hinsichtlich der Schutzwürdigkeit der Verbraucher in beiden Konstellationen kann ich keine Differenzierung erkennen.
Nachtrag vom 26.3.2020, 10:00h:
"Der Bundestag hat am Mittwoch, 25. März 2020, einstimmig einen Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD zur Abmilderung der Folgen der Covid-19- Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht (19/18110) angenommen. Zwei Abgeordnete der AfD-Fraktion enthielten sich. Der Abstimmung lagen eine Beschlussempfehlung (19/18129) und ein Bericht (19/18158) des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz zugrunde. Der Haushaltsausschuss hatte dazu einen Bericht nach Paragraf 96 der Geschäftsordnung des Bundestages zur Finanzierbarkeit vorgelegt (19/18162)." (offizielle Meldung des Bundestags)