Coronapandemie: Die neuen Regelungen zur Miete
Gespeichert von Dr. Oliver Elzer am
Michael Selk hat an dieser Stelle bereits am 18.3.2020 Überlegungen angestellt, was in der Miete angesichts des neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2 gelten sollte. Ferner hat er an anderer Stelle bereits erste Überlegungen angestellt, was die Neuregelung leistet und was ihr Inhalt ist.
Diese Überlegungen sollen hier vertieft und erweitert werden. Zu Beginn ist zu erinnern, was neu ist. In Art. 240 § 2 EGBGB heißt es wie folgt:
(1) Der Vermieter kann ein Mietverhältnis über Grundstücke oder über Räume nicht allein aus dem Grund kündigen, dass der Mieter im Zeitraum vom 1. April 2020 bis 30. Juni 2020 trotz Fälligkeit die Miete nicht leistet, sofern die Nichtleistung auf den Auswirkungen der COVID-19-Pandemie beruht. Der Zusammenhang zwischen COVID-19-Pandemie und Nichtleistung ist glaubhaft zu machen. Sonstige Kündigungsrechte bleiben unberührt.
(2) Von Absatz 1 kann nicht zum Nachteil des Mieters abgewichen werden.
(3) Die Absätze 1 und 2 sind auf Pachtverhältnisse entsprechend anzuwenden.
(4) Die Absätze 1 bis 3 sind nur bis zum 30. Juni 2022 anzuwenden.
Nach ihrem Sinn und Zweck will diese Norm Mieter von Grundstücken sowie von zu privaten oder gewerblichen Zwecken angemieteten Räumen (zunächst) bis zum 30. Juni 2020 gegenüber den Folgen der COVID-19-Pandemie absichern. Ihr Wortlaut ist auf diesen Sinn und Zweck abzuklopfen und zu überprüfen. Dies soll hier in einem „Frage-ABC“ versucht werden. Dieses ABC beruht vor allem auf meinen Gesprächen und einem E-Mail-Kontakt mit Dr. Kai Zehelein. Ferner habe ich eine E-Mail von Prof. Dr. Artz verarbeitet, in der dieser gemeinsame Überlegungen mit Prof. Beate Gsell dargestellt hatte.
Mir ist bewusst, dass wir alle noch Boden gewinnen müssen. Diese Auflistung ist ein erster Versuch für die Praxis:
- Wie wirkt Art. 240 § 2 EGBGB? Die Bestimmung gibt dem Mieter kein Leistungsverweigerungsrecht und auch kein Stundungsrecht. Sie schließt vielmehr eine Kündigung nach § 543 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BGB, aber auch eine nach § 573 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB wegen nicht gezahlter Mieten für die Monate April, Mai und Juni 2020 aus. Diese Vorschriften sind, soweit die Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 240 § 2 EGBGB erfüllt sind, bis zum Ablauf des 30.6.2022 vollständig suspendiert. Der Vermieter kann wegen der Nichtzahlung der Mieten für die Monate April 2020 bis Juni 2020 erstmals am 1.7.2022 eine Kündigung aussprechen. Diese Mieten spielen auch für § 543 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BGB keine Rolle und sind fiktiv so behandeln, als wären sie erfüllt. Auf § 543 Abs. 2 Satz 2 oder Satz 3 BGB kommt es erstmals am 1.7.2022 an.
- Was meint „trotz Fälligkeit“? Gemeint sind die Mieten, die vom Mieter für die Monate April 2020 bis Juni 2020 zu leisten sind. Ob der Mieter keine Miete oder anteilig Miete zahlt, ist unerheblich.
- Was meint der Begriff „allein“? Auch er will beschreiben, dass es nur um die vom Mieter für die Monate April 2020 bis Juni 2020 geschuldeten Mieten geht. Art. 240 § 2 EGBGB erfasst nach Sinn und Zweck aber auch den Fall, dass der in § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BGB beschriebene Rückstand seine Ursache auch in Mieten hat, die vor dem 1. April 2020 geschuldet waren.
- Warum heißt es in Art. 240 § 2 Abs. 1 Satz 2 EGBGB glaubhaft zu machen? Art. 240 § 2 Abs. 1 Satz 2 EGBGB geht davon aus, dass den Mieter bei einem Streit, ob die Voraussetzungen des Art. 240 § 2 Abs. 1 Satz 1 EGBGB vorliegen, die Beweislast trifft. Insoweit senkt das Gesetz, wie z.B. im Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Verfügung, das nach § 286 ZPO zu erreichende Maß auf eine Glaubhaftmachung ab. Dieses Beweismaß ist im normalen Zivilprozess, wie Selk zu Recht ausführt, ein Fremdkörper. Es ist aber hinzunehmen und führt wohl auch zu überzeugenden Ergebnissen: Gelingt dem Mieter keine Glaubhaftmachung, verdient er keinen Schutz. Problematisch könnten sich Hilfsprogramme erweisen. Was gilt, wenn der Mieter davon Gebrauch machen konnte, aber es nicht tat? Fällt ihm das auf die Füße? Und soll es wie bei der PKH die Frage geben, ob man sich die Mittel irgendwo beschaffen konnte, etwa durch Verkauf des eigenen Autos? Vorschlag: Es reicht, wenn beim Wohnraummieter der Arbeitslohn entfallen oder stark reduziert wurde. Hierauf deutet auch die Gesetzesbegründung hin (siehe BT-Drs. 19/18110, 36). Denn Sie will Bescheinigungen des Arbeitsgebers oder andere Nachweise über das Einkommen bzw. über den Verdienstausfall ausreichen lassen.
- Ist eine Kündigungserklärung wegen der Mieten für April bis Juni wirksam? Nein. Die Erklärung ist unwirksam. Der Vermieter kann in Bezug auf diese Mieten erstmals am 1.7.2022 eine Erklärung abgeben.
- Bleibt der Mieter zur vollständigen Mietzahlung verpflichtet? Ja, selbstverständlich. Er kann weder die Leistung verweigern, noch ist ihm etwas gestundet. Er schuldet nach Verzug auch Zinsen.
- Was ist, wenn die Mietsache amtlich gesperrt wird? Dies ist kein Mietmangel. Eine Minderung scheidet aus.
- Was gilt, wenn z.B. in einem Bahnhof oder einem Einkaufszentrum die Laufkundschaft wegbricht, die Mieträume aber genutzt werden können? Dies kann ein Fall des § 313 BGB sein.
- Was gilt für § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB? Der Gesetzgeber hat zu § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB nichts ausgeführt. Er hat dabei ggf. nicht bedacht, dass der Mieter ab dem 1.4.2020 möglicher Weise aufgrund der COVID-19-Pandemie nicht in der Lage ist, eine bereits ausgesprochene Kündigung innerhalb der Frist des § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB durch Nachzahlung zu heilen. Nach Sinn und Zweck wäre vorstellbar, hier Art. 240 § 2 Abs. 1 Satz 2 EGBGB analog anzuwenden. Die Voraussetzungen für eine Analogie dürften vorliegen. Sollte der Mieter nur aufgrund der COVID-19-Pandemie nicht in der Lage sein, sich die Wohltat des § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB zu verschaffen, liegt es nicht anders als bei § 543 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BGB, § 573 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB. Allerdings müsste man vermuten, dass der Mieter nicht erhaltene Mittel zur Erfüllung der Mietschulden eingesetzt hätte.
- Und was gilt in Bezug auf § 543 Abs. 2 Satz 2 und Satz 3 BGB für Mieten aus Februar oder März 2020? Nach Sinn und Zweck wäre auch hier vorstellbar, Art. 240 § 2 Abs. 1 Satz 2 EGBGB analog anzuwenden. Die Voraussetzungen für eine Analogie dürften vorliegen. Sollte der Mieter nur aufgrund der COVID-19-Pandemie nicht in der Lage sein, sich diese Wohltaten zu verschaffen, liegt es nicht anders als bei § 543 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BGB, § 573 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB. Allerdings müsste man dann auch vermuten, dass der Mieter nicht erhaltene Mittel zur Erfüllung der Mietschulden eingesetzt hätte.
- Kann der Vermieter für die für die Monate April 2020 bis Juni 2020 geschuldeten Mieten auf eine vom Mieter nach § 551 BGB geleistete Kaution zurückgreifen? Ja! Kommt der Mieter während der Mietzeit in Zahlungsverzug, so ist der Vermieter zwar nur dann berechtigt, sich aus der Sicherheit zu befriedigen, wenn eine Forderung rechtskräftig festgestellt, unstreitig oder offensichtlich begründet ist (etwa BGH, Urteil vom 7.5.2014 – VIII ZR 234/13, Rn. 11). Die Mietforderung ist aber unstreitig oder offensichtlich begründet. Der Vermieter kann auch die Wiederauffüllung der Kaution verlangen. Analog Art. 240 § 2 Abs. 4 EGBGB aber erstmals am 1.7.2022. Wer dies anders sieht, sollte die Interessen des Vermieters stärker in den Blick nehmen. Viele sind zur Bedienung des Kapitaldienstes oder ihres Unterhalts auf die Mietzahlungen angewiesen.
- Was gilt für § 272 Abs. 4 ZPO? Art. 240 § 2 EGBGB hat auf diese Bestimmung keinen Einfluss.