Abstammungsgutachten für 1.000.000 € ?

von Hans-Otto Burschel, veröffentlicht am 30.09.2010

Jens Ferner hat mich (Vielen Dank dafür) auf ein bislang in den Medien unbekannt gebliebenes Urteil des BVerfG mit einem sehr ungewöhnlichen Sachverhalt hingewiesen.

Der Kindesmutter hatten während der Empfängniszeit zwei Männer beigewohnt. Das Ungewöhnliche kommt jetzt erst: Bei den beiden Männern handelt es sich um eineiige (monozygote) Zwillinge.

Statt der üblichen 12 hatte der bestellte Sachverständige 1033 "Marker" bei seinem Abstammungsgutachten untersucht, aber kein eindeutiges Ergebnis erzielen könen. (Die Kosten hierfür sollen sich bis dahin bereits auf 100.000 € belaufen haben.) Der Sachverständige hielt es indes für wahrscheinlich, dass bei Untersuchung der whole genome Sequencing ein eindeutiges Ergebnis erzielt werden könne.

In dem Urteil des BVerfG heisst es, der SV habe mitgeteilt, wegen der noch hohen Kosten, die weder aus öffentlichen Mitteln noch aus Forschungsgeldern bestritten werden könnten, wäre der Weg über einen kommerziellen Anbieter der einzig realistische Weg. Bereits von ihm angesprochene Unternehmen hätten auch ein außerordentliches Interesse bekundet.

Gleichwohl lehnte das OLG Celle eine solche Begutachtung  ab und wies die Klage des Kindes ab.

Dem tritt das BVerfG entgegen:

Orientierungsätze

Die angegriffene Entscheidung des OLG verletzt den Beschwerdeführer in zweierlei Hinsicht in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht.

aa. Zum einen hätte das Gericht nicht ohne weitere Sachverhaltsermittlung davon absehen dürfen, die Abstammung des Beschwerdeführers im Wege des "whole genome sequencing" klären zu lassen. Es bestanden zumindest Anhaltspunkte dafür, dass die mit diesem Verfahren verbundenen Kosten nicht zu Lasten der Staatskasse gegangen wären.

Jedoch mag es auch Fälle geben, in denen bei deutlich unangemessenem finanziellen Aufwand nur geringe Aussichten auf weiteren Erkenntnisgewinn bestehen, so dass erlangbare Informationen, auf die der Grundrechtsträger Anspruch hätte, fehlen.

bb. Zum anderen hat das OLG eine Aufstockung der zu untersuchenden STR-Marker abgelehnt, ohne dass ersichtlich ist, aufgrund welcher Sachkunde das Fachgericht dieses Vorgehen nicht für erfolgversprechend hielt. Insofern entfalten die Richtlinien für die Erstattung von Abstammungsgutachten (FamRZ 2002, 1159) keine unmittelbare Bindungswirkung in jedem Einzelfall.

BVerfG v.  18.08.2010 - 1 BvR 811/09

vorhergehend OLG Celle v. 04.03. 2009 - 15 UF 51/06 (merkwürdigerweise nirgends veröffentlicht)

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6 Kommentare

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Moment mal. Das Gericht soll nun wirklich über eine Million Euro für ein Gutachten ausgeben? Und diese Kosten sollen dann später - soweit möglich - von einer der Parteien getragen werden!?

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So hat es das BVerfG - glaube ich - nicht gesagt.

Ich habe die Entscheidung so verstanden, dass zumindest der Weg über ein von einem Unternehmen finanziertes Gutachen versucht hätte werden müssen. Auch eine Beschränkung auf die 1032 Marker hat es für verfassungswidrig gehalten

andernfalls wäre es ja nie zu einem Prozess gekommen, weil sie keine Zweifel an der Vaterschaft gehabt hätte ... Witzbolde

(außer die beiden haben sich abgesprochen, abzuwechseln ohne ihr etwas zu sagen und sie hat es erst hinterher gemerkt - das wäre aber vermutlich bemerkbar durch die Medien gegangen, bei solch einer "Farinelli"-Story)

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