BVerfG rüffelt LAG Köln wegen Verletzung des Gebots effektiven Rechtsschutzes

von Prof. Dr. Christian Rolfs, veröffentlicht am 31.01.2011

Das Bundesverfassungsgericht hat ein Urteil des LAG Köln wegen Verletzung des Gebots effektiven Rechtsschutzes aufgehoben und bemängelt, dass das Gericht eine Klage wegen Versäumung einer (zweistufigen) tariflichen Ausschlussfrist abgewiesen hat (BVerfG, Beschluss vom 1.12.2010 - 1 BvR 1682/07).

Der Beschwerdeführer (der im Ausgangsverfahren klagende Arbeitnehmer) führte mit seiner Arbeitgeberin (der im Ausgangsverfahren Beklagten) einen Rechtsstreit über den Abschluss eines Arbeitsvertrags im Anschluss an eine Berufsausbildung. In diesem wurde die Beklagte verurteilt, an den Kläger ein Angebot abzugeben, ihn ab dem 07.07.2004 befristet für zwölf Monate in ein Vollzeitarbeitsverhältnis zu übernehmen. Da sich die Verurteilung der Beklagten zur Angebotserklärung auf den Abschluss eines Arbeitsvertrags für einen in der Vergangenheit liegenden Zeitraum bezog, konnte der Kläger in diesem Arbeitsverhältnis von vornherein nicht mehr tätig werden. Er verlangte deshalb von der Beklagten die Zahlung von Vergütung aufgrund dieses Arbeitsverhältnisses unter den Gesichtspunkten des Annahmeverzugs und des Schadensersatzes. Die von ihm errechneten Ansprüche machte er mit Schreiben vom 25.10.2005 gegenüber der Beklagten schriftlich geltend. Nachdem die Beklagte die Zahlung abgelehnt hatte, reichte der Kläger am 28.12.2005 Klage ein. Das Arbeitsgericht gab ihr überwiegend statt.

Das LAG Köln änderte das erstinstanzliche Urteil ab und wies die Klage ab (Urteil vom 23.01.2007 - 13 Sa 954/06). Der Anspruch sei gemäß § 31 des bei der Beklagten geltenden Manteltarifvertrags (MTV) verfallen. Die streitgegenständlichen Ansprüche seien nicht erst mit Annahme des Vertragsangebots der Beklagten fällig geworden, sondern bereits zum Monatsende des jeweiligen Monats. Deshalb sei die schriftliche Geltendmachung vom 25.10.2005 für sämtliche Vergütungsansprüche verspätet gewesen. Der Kläger habe die zweite Stufe der Ausschlussfrist aus § 31 Abs. 4 MTV nicht gewahrt, die eine gerichtliche Geltendmachung erfordert hätte. Das zur Auslösung des Laufs der zweiten Stufe der Frist erforderliche gegnerische „Bestreiten in Schriftform“ liege hier in dem Schriftsatz der Beklagten aus dem Vorprozess, der den Klageabweisungsantrag beinhaltet habe und aus dem zweiten Halbjahr 2004 stamme. Ebenso wie ein Klageabweisungsantrag in einem Kündigungsschutzprozess habe auch hier der Antrag auf Abweisung der auf die Begründung des Arbeitsverhältnisses gerichteten Klage die Ablehnung damit verknüpfter Ansprüche enthalten. Da die auf der zweiten Stufe zu beachtende zweimonatige Klagefrist also spätestens Ende 2004 begonnen habe und die vorliegende Klage erst am 28.12.2005 beim Arbeitsgericht eingegangen sei, sei die Frist durch diese Klage nicht eingehalten worden. Auch die im Vorprozess erstmals vor dem Landesarbeitsgericht am 26.04.2005 hilfsweise erhobene Vergütungsklage sei verspätet, so dass es nicht darauf ankomme, ob diese eine gerichtliche Geltendmachung im Sinne der Verfallfrist gewesen wäre.

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision wurde vom BAG zurückgewiesen (Beschluss vom 09.05.2007 - 5 AZN 234/07).

Das BVerfG hat der Verfassungsbeschwerde mit einer bemerkenswerten Begründung stattgegeben: Diese betont vor allem das Kostenrisiko des Arbeitnehmers, der schon vor rechtskräftiger Entscheidung über seinen Anspruch auf Abschluss des Arbeitsvertrages kontinuierlich auch das Entgelt einklagen müsste, um die Verfallfrist zu unterbrechen:

Denn dadurch, dass der Beschwerdeführer bereits bevor der Rechtsstreit über die Begründung eines Arbeitsverhältnisses abgeschlossen war, gezwungen war, seine Ansprüche auf Annahmeverzugslohn einzuklagen, erhöhte sich sein Kostenrisiko im Rechtsstreit über den Bestand des Arbeitsverhältnisses (vgl. zu Ausschlussfristen in Betriebsvereinbarungen: BAG, Urteil vom 12. Dezember 2006 - 1 AZR 96/06 -, NZA 2007, S. 453 <456 f.>). Jedenfalls mit Blick auf die Kostenrisiken eines Leistungsantrags oder eines unechten Hilfsantrags, die angesichts der Rechtsprechung der Landesarbeitsgerichte bestehen, weil diese Anträge insgesamt oder zumindest mit Blick auf die Anwaltsgebühren als streitwerterhöhend angesehen werden (LAG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 17. Juli 2007 - 1 Ta 167/07 -, juris; LAG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 21. Juli 2008 - 1 Ta 123/08 -, juris; LAG Nürnberg, Beschluss vom 13. März 2008 - 6 Ta 57/08 -, juris; LAG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 28. März 2008 - 17 Ta (Kost) 6027/08 -, juris), war es naheliegend der Frage nachzugehen, ob die entsprechende Obliegenheit zur Klageerhebung für den Beschwerdeführer vor diesem Hintergrund zumutbar war. Vor dem Hintergrund des bei einer derartigen Antragstellung bestehenden Kostenrisikos (vgl. BAG, Urteil vom 12. Dezember 2006 - 1 AZR 96/06 -, NZA 2007, S. 453 <456 f.>) durfte dem Beschwerdeführer die vom Landesarbeitsgericht angenommene Obliegenheit zur Klageerhebung vor dem rechtskräftigen Abschluss des Vorprozesses jedenfalls im Ergebnis nicht auferlegt werden.

Warum weder das LAG Köln noch das BAG in seinem Nichtannahmebeschluss erwogen haben, ob die Ausschlussfrist nicht ohnehin erst mit rechtskräftiger Verurteilung der Beklagten zur Eingehung des Arbeitsverhältnisses beginnt (vgl. BAG, Urt. vom 09.02.2005 - 5 AZR 175/04, NZA 2005, 814), ist unerfindlich.

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