Weiße Mäuse

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 01.04.2011

Durchaus einmal wieder was Interessantes aus dem BtM-Recht und interessant sicher für alle, die mit Strafsachen zu tun haben. Der BGH, Beschluss vom 23.2.2011 - 5 StR 556/10 - hatte sich mit einem langjährigen BtM-Abhängigen und der Frage der Schuldfähigkeit zu befassen. Das LG hatte den Angeklagten zu schnell als voll schuldfähig eingestuft:

Nach den Urteilsfeststellungen begann der Angeklagte bereits im Alter von 16 Jahren Drogen zu konsumieren, insbesondere auch Crack und Kokain. Er gab an, „infolgedessen an Beeinträchtigungen seiner Wahrnehmung gelitten, nämlich Stimmen gehört und weiße Mäuse gesehen zu haben" (UA S. 3). Von November 1998 bis Juni 1999 absolvierte der Angeklag te im Rahmen einer strafrechtlichen Verurteilung eine stationäre Drogentherapie. Die im Anschluss geplante ambulante Nachsorge fand aus ausländerrechtlichen Gründen nicht statt. Im Jahr 2003 kam es bei ihm wieder zu einem Drogenrückfall. Der Angeklagte gab insoweit an, erneut unter Wahnvorstellungen gelitten zu haben, so dass er abermals begann, Kokain, Alkohol und Valium zu sich zu nehmen. Nach einer weiteren Verurteilung zu einer Haftstrafe trat er, nachdem die Strafe zurückgestellt wurde, eine Drogentherapie an, die er regulär beendete. In der Folgezeit traten bei ihm – obwohl er zunächst Drogen mied – weiterhin Wahnzustände und Wahrnehmungsbeein-trächtigungen auf. Schließlich wurde er wieder rückfällig; er konsumierte bis zu seiner Verhaftung im Januar 2010 Crack. In der Untersuchungshaftanstalt diagnostizierte der Anstaltspsychiater eine schizophrene Psychose und pa ranoide Ängste, die medikamentös behandelt wurden. Der Angeklagte musste in einem besonders gesicherten Haftraum mit Beobachtungsmöglichkeit untergebracht werden, nachdem er berichtet hatte, „man sprühe nachts Betäubungsspray in seinen Haftraum, um ihn zwangsweise zu operieren" (UA S. 7).  

Die Strafkammer geht zwar – ohne Hinzuziehung eines psychiatrischen Sachverständigen – davon aus, dass der Angeklagte seit vielen Jah-ren an einer Drogenabhängigkeit erkrankt sei, „die begleitet wird von Symptomen einer psychiatrischen Erkrankung" (UA S. 13). Eine erhebliche Einschränkung der Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit läge bei ihm zur Tatzeit gleichwohl nicht vor, weil er sich nicht dahin eingelassen habe, unter akutem Entzug mit einem entsprechenden Beschaffungsdruck aus einer gefühlten persönlichen Zwangslage heraus gehandelt zu haben. Der Angeklagte sei umsichtig und koordiniert vorgegangen; die ihm erteilten Anweisungen habe er bei einem komplexen und mehraktigen Geschehensablauf planmäßig und zuverlässig ausgeführt. Ein Drogenrausch, ein akuter Entzug oder sonstige psychische Auffälligkeiten seien nicht festzustellen gewesen.  

 

Die Wertung des Landgerichts, der Angeklagte sei voll schuldfähig gewesen, hält sachlichrechtlicher Überprüfung nicht stand. Die Urteilsgründe sind lückenhaft, weil die Strafkammer – worauf der Generalbundesanwalt zutreffend hinweist – nicht erörtert hat, ob der langjährige Drogenmissbrauch des Angeklagten bei ihm schwerste Persönlichkeitsveränderungen hervorgerufen hat (vgl. Fischer, StGB, 58. Aufl., § 21 Rn. 13 mwN). Die vom Anstalts-arzt beim Angeklagten diagnostizierte schizophrene Psychose mit paranoiden Ängsten sowie die vom Angeklagten behaupteten Wahnzustände und Wahrnehmungsbeeinträchtigungen, die seinen Angaben zufolge auch bei längerer Drogenabstinenz auftreten würden, erforderten deshalb eine eingehendere Auseinandersetzung mit der Frage, ob die Schuldfähigkeit des Angeklagten eingeschränkt oder aufgehoben war.  

Der Senat kann nicht ausschließen, dass Feststellungen getroffen werden, die sogar zur Annahme der Schuldunfähigkeit des Angeklagten An-lass geben könnten. Er hebt deshalb auch den Schuldspruch mit den Feststellungen auf. Die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen sind jedoch rechtsfehlerfrei getroffen; sie können daher bestehen bleiben. Das neue Tatgericht wird – unter Hinzuziehung eines psychiatrischen Sachverständigen (§ 246a StPO) – auch zu prüfen haben, ob die bislang nicht erörterten Vor-aussetzungen des § 64 StGB, unter Umständen gar des § 63 StGB, vorliegen.  

    

Diesen Beitrag per E-Mail weiterempfehlenDruckversion

Hinweise zur bestehenden Moderationspraxis
Kommentar schreiben

Kommentare als Feed abonnieren

Kommentar hinzufügen