Mal wieder: Pflichtverteidigerbestellung im OWi-Verfahren

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 06.01.2012
Rechtsgebiete: PflichtverteidigerStrafrechtVerkehrsrecht3|2774 Aufrufe

Die Pflichtverteidigerbestellung im OWi-Verfahren ist natürlich eine krasse Ausnahme. Manchmal findet sie dann aber doch statt, wie etwa in OLG Köln: Beschluss vom 27.10.2011 - III-1 RBs 253/11 = BeckRS 2011, 26765. Das Amtsgericht hatte den Betroffenen wegen fahrlässigen Führens eines Kraftfahrzeugs unter der Wirkung des berauschenden Mittels Cannabis zu einer Geldbuße von 200,00 € verurteilt und ihm - verbunden mit der Anordnung nach § 25 Abs. 2 a StVG - für die Dauer von einem Monat verboten, Kraftfahrzeuge jeder Art im Straßenverkehr zu führen. Das OLG im Rahmen der Rechtsbeschwerde:

 

Der Betroffene beanstandet zu Recht, dass die Hauptverhandlung in Abwesenheit einer Person stattgefunden hat, deren Anwesenheit das Gesetz vorschreibt, und somit der absolute Revisionsgrund des § 338 Nr. 5 StPO vorliegt, so dass vom Beruhen der Entscheidung auf einem Verfahrensmangel auszugehen ist (vgl. dazu Senge, in: Karlsruher Kommentar, OWiG, 3. Aufl., § 79 Rdnr. 109 m. w. Nachw.).

Die Hauptverhandlung, auf der das angefochtene Urteil beruht, ist in Abwesenheit des Verteidigers durchgeführt worden, obwohl ein Fall der notwendigen Verteidigung gemäß §§ 140 Abs. 1 StPO, 46 Abs. 1 OWiG vorlag.

a) Die entsprechende Rüge ist - entgegen der Auffassung der Generalstaatsanwaltschaft - in einer den Anforderungen der §§ 344 Abs. 2 S. 2 StPO, 79 Abs. 3 S. 1 OWiG genügenden Weise ausgeführt“. Dem Vorbringen des Betroffenen ist nämlich mit hinreichender Klarheit zu entnehmen, dass er während der gesamten Dauer der Verhandlung ohne Beistand eines Verteidigers gewesen ist. Es wirdausdrücklich vorgetragen, dass die Hauptverhandlung in Abwesenheit des (notwendigen) Verteidigers stattgefunden hat, nachdem über einen Beiordnungsantrag nicht entschieden worden war, und dass der Betroffene sich bedingt dadurch mit schwierigen Sach- und Rechtsfragen in der Hauptverhandlung habe allein auseinandersetzen müssen. Weiterer Ausführungen zu „entsprechenden Protokollstellen“, die - wie das Protokoll insgesamt - nur dem Beweis für das Rügevorbringen dienen können, bedurfte es nicht.

Darüber hinaus ist dem Zusammenhang der Ausführungen, namentlich mit Blick auf den Beiordnungsantrag, zu entnehmen, dass die Hauptverhandlung gegen den Willen des Betroffenen und des Verteidigers in dessen Abwesenheit durchgeführt worden ist (vgl. dazu Senge a. a. O. m. w. Nachw.).

b) Die Mitwirkung eines Verteidigers an der Hauptverhandlung war im Hinblick auf die Frage der Verwertbarkeit der Ergebnisse aus der Untersuchung der dem Betroffenen entnommenen Blutprobe wegen der damit verbundenen Schwierigkeit der Rechtslage geboten.

Der Senat folgt insoweit der Auffassung des OLG Bremen (NStZ-RR 2009, 353 = StV 2011, 83 = DAR 2009, 710) und des OLG Brandenburg (NJW 2009, 1287), wonach von einem Fall notwendiger Verteidigung auszugehen ist, wenn in der Hauptverhandlung eine Auseinandersetzung mit der Frage erforderlich ist, ob das Ergebnis eines Blutalkoholgutachtens wegen Verletzung des Richtervorbehalts einem Verwertungsverbot unterliegt (vgl. a. OLG Hamm BeckRS 2010, 05625 = NStZ-RR 2009, 353 Ls = DAR 2009, 710). Dazu mag in der obergerichtlichen Rechtsprechung mittlerweile zu den Grundzügen eine weitgehende Klärung herbeigeführt worden sein (vgl. aber etwa Meyer-Goßner, StPO, 54. Aufl. 2011, § 81a Rdnr. 25b: „uneinheitliche Rspr. kaum noch überschaubar“; Ludovisy/Eggert/Burhoff, Praxis des Straßenverkehrsrechts, 5. Aufl. 2011, Rdnr. 635: „Die zu der gesamten Problematik nach nunmehr mehr als drei Jahren vorliegende Rechtsprechung ist inzwischen unüberschaubar geworden.“). Dennoch sind in einem solchen Fall umfangreiche und komplizierte Erwägungen anzustellen (OLG Hamm a. a. O.), zu denen die Verteidigungsfähigkeit eines 23-jährigen Betroffenen im Regelfall nicht ausreichen wird. Dass es sich hier ausnahmsweise anders verhalten haben sollte, ist durch nichts belegt.

Zur Pflichtverteidigung im OWi-Verfahren:

Krumm, Das Fahrverbot in Bußgeldsachen, 2. Auflage 2010, § 19 (mit Mustern)

 

 

 

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3 Kommentare

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Hallo Herr Krumm,

ich möchte die Entscheidung selbst nicht bewerten. Eine (kleine) Sache stört mich aber. Das OLG Köln schreibt von der Verteidigungsfähigkeit eines 23-jährigen Betroffenen. Soll mit der Nennung des Alters irgendetwas hinsichtlich seiner Verteidigungsfähigkeit bewiesen werden? Macht es einen Unterschied, wenn der Betroffene 23, 28, 35, 55, 70 oder über 100 ist?

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Ich denke, dass ein 23-jähriger wohl nicht eingeschränkter sein dürfte als ein 55-jähriger. Darauf sollte es daher wohl nicht ankommen

 

Bei "über 100" dürften etwaige altersbedingte Einschränkungen sicher durch entsprechende Erfahrungen wettgemacht werden (Scherz!). Ich nehme mal nicht an, dass Sie selbst über 100 sind, oder? 

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