Kein deutschlandweites Versetzungsrecht ohne Berücksichtigung entgegenstehender Interessen des Arbeitnehmers

von Prof. Dr. Markus Stoffels, veröffentlicht am 15.09.2015

Ein neueres Urteil des LAG Schleswig-Holstein (vom 26.08.2015 - 3 Sa 157/15) zeigt sehr anschaulich, dass die Arbeitsgerichte bei Versetzungen nicht allein auf das im Arbeitsvertrag verankerte Versetzungsrecht schauen, sondern bei der Ausübung sehr genau prüfen, ob der Arbeitgeber die Grenze des billigen Ermessens eingehalten hat. Im entschiedenen Fall war der Kläger seit 2009 auf einer Dauerbaustelle an seinem Wohnort in Brunsbüttel als Isolierer eingesetzt. In seinem Arbeitsvertrag ist geregelt, dass er auf allen Baustellen eingesetzt werden kann, auch auf solchen, die er von seiner Wohnung aus nicht jeden Tag erreichen kann. Der Kläger ist Vater von drei schulpflichtigen Kindern. Nach einer zugunsten des Klägers entschiedenen kündigungsrechtlichen Streitigkeit teilte ihm seine Arbeitgeberin mit, er müsse ab sofort in Ludwigshafen (ca. 660 km von Brunsbüttel entfernt) arbeiten. Sein alter Arbeitsplatz sei zwischenzeitlich besetzt. Der Kläger hielt die Vorgehensweise seiner Arbeitgeberin für willkürlich und familienfeindlich und verwies auf andere einsetzbare kinderlose und ungebundene Kollegen. Die Arbeitgeberin stellte sich auf den Standpunkt, in dieser Branche mit diesem Vertrag müsse sie die Zuweisung einer anderen Arbeitsstätte gar nicht rechtfertigen. Es sei die Privatangelegenheit des Klägers, dass er familiär gebunden sei. Das LAG bestätigte nunmehr den Rechtsstandpunkt des Klägers. Auch wenn ein Arbeitgeber den Arbeitsort einseitig festlegen dürfe, müsse er nach billigem Ermessen alle wechselseitigen Umstände und Interessen abwägen und angemessen berücksichtigen. Dazu gehörten die beiderseitigen Bedürfnisse und auch die sozialen Lebensverhältnisse. Der Arbeitgeber habe Rücksicht auf familiäre Belange des Arbeitnehmers zu nehmen, soweit dem nicht betriebliche Gründe oder Belange anderer Kollegen entgegenstehen. Bestünden Auswahlmöglichkeiten, müsse der Arbeitgeber – ohne eine Sozialauswahl im Sinne des Kündigungsschutzgesetzes durchzuführen - denjenigen Arbeitnehmer für die Versetzung auswählen, der weniger schutzwürdig ist. Schon weil die Beklagte all diese Erwägungen nicht angestellt habe, sei ihre Anweisung an den Kläger, fortan in Ludwigshafen zu arbeiten, unwirksam.

Diesen Beitrag per E-Mail weiterempfehlenDruckversion

Hinweise zur bestehenden Moderationspraxis
Kommentar schreiben

Kommentare als Feed abonnieren

Kommentar hinzufügen