BGH: Beweisverwertungsverbot (Beschlagnahme von 1,5 kg Marihuana, eines Schlagrings und eines Schlagstocks) wegen rechtswidriger Durchsuchungsanordnung durch Staatsanwalt

von Dr. Jörn Patzak, veröffentlicht am 02.07.2020

Der BGH nimmt mit Beschluss vom 4.6.2020, 4 StR 15/20 (BeckRS 2020, 13990), ein Beweisverwertungsverbot wegen rechtswidriger Durchsuchungsanordnung durch einen Staatsanwalt aufgrund vom Gefahr im Verzug an.

Zum Sachverhalt: Mehrere Polizeibeamte suchten den Angeklagten am Tattag um 18.10 Uhr zwecks Vollstreckung zweier Haftbefehle und einer Gefährderansprache auf. Beim Öffnen der Wohnungstür durch den Angeklagten nahmen die Polizeibeamten einen intensiven Cannabisgeruch war. Sie entschlossen sich, in der Wohnung Nachschau zu halten, da sich ein Anfangsverdacht für eine Betäubungsmittelstraftat ergeben hatte und nicht bekannt war, ob sich in der Wohnung noch weitere Personen aufhielten. Der Aufforderung, die Wohnungstür offen zu lassen, kam der Angeklagte nicht nach. Er zog die Wohnungstür von außen ins Schloss und steckte den Schlüssel seiner Mutter zu, die sich zwischenzeitlich ebenfalls aus der Wohnung vor die Wohnungstür begeben hatte. Auch der Bruder des Angeklagten kam anfangs noch vor die Wohnungstür. Erst nach einigem Hin und Her gab die Mutter den Schlüssel an die Beamten heraus, woraufhin diese gegen 18.40 Uhr die Wohnung betraten und etwas mehr als 1,5 kg Marihuana, einen Schlagring, einen Schlagstock sowie mehrere Sprengkörper feststellten. Sie verließen die Wohnung wieder und forderten Beamte der Kriminalpolizei an, welche gegen 19.10 Uhr eintrafen. Nach mehreren Rücksprachen verständigte der leitende Polizeibeamte den zuständigen Staatsanwalt des Bereitschaftsdienstes, der um 20.26 Uhr wegen Gefahr im Verzug telefonisch die Durchsuchung aller den Angeklagten betreffenden Räumlichkeiten und des Gartens anordnete. Zur Begründung seiner Entscheidung führte er als Zeuge in der Hauptverhandlung aus, der Anruf der Polizei habe ihn kurz vor Ende des richterlichen Bereitschaftsdienstes um 21.00 Uhr erreicht. Ihm sei bekannt, dass er vom Ermittlungsrichter nur nach Vorlage schriftlicher Unterlagen einen Durchsuchungsbeschluss bekomme. Da die Zeit nunmehr knapp gewesen sei und sich noch Familienangehörige des Angeklagten auf dem Grundstück befunden hätten, sei der Verlust von Beweismitteln zu befürchten gewesen.

Entscheidung des Landgerichts: Das Landgericht verurteilte den Angeklagten u.a. wegen unerlaubten bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge gem. § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 6 Jahren und ordnete die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt an.

Entscheidung des BGH: Der BGH hob das Urteil auf und verwies die Sache an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurück. Die staatsanwaltschaftlich angeordnete Durchsuchung der Wohnung des Angeklagten sei rechtswidrig und ziehe ein Beweisverwertungsverbot hinsichtlich der aufgefundenen Beweismittel nach sich. Hierzu führt der BGH aus:

„Für die wiederholte Durchsuchung der Wohnung des Angeklagten durch die herbeigerufenen Beamten der Kriminalpolizei nach 20.26 Uhr bedurfte es einer neuen Anordnung. Auf die der ,Wohnungsnachschau‘ um 18.40 Uhr, bei der es sich in der Sache um eine Wohnungsdurchsuchung gehandelt hat, zugrundeliegende polizeiliche Anordnung, konnte das neuerliche Betreten der Wohnung nicht mehr gestützt werden. Zwar ist diese erste Anordnung nach § 105 Abs. 1 Satz 1 StPO zu Recht ergangen, denn aufgrund des Verhaltens des Angeklagten und seiner Mutter bestand zu diesem Zeitpunkt Gefahr im Verzug. Diese Anordnung war aber bereits verbraucht, denn die ausführenden Beamten haben mit dem Verlassen der Wohnung konkludent die Beendigung dieser Durchsuchungsmaßnahme erklärt …

Die zweite Durchsuchung war wegen Missachtung des Richtervorbehalts rechtswidrig, weil eine gemäß Art. 13 Abs. 2 GG, § 105 Abs. 1 Satz 1 StPO grundsätzlich erforderliche richterliche Durchsuchungsanordnung nicht vorlag und die von der Staatsanwaltschaft in Anspruch genommene Eilkompetenz zu diesem Zeitpunkt nicht mehr bestand.

Die Strafverfolgungsbehörden müssen dementsprechend regelmäßig versuchen, eine Anordnung des zuständigen Richters zu erlangen, bevor sie eine Durchsuchung beginnen. Nur in Ausnahmesituationen, wenn schon die zeitliche Verzögerung wegen eines solchen Versuchs den Erfolg der Durchsuchung gefährden würde, dürfen sie selbst die Anordnung wegen Gefahr im Verzug treffen, ohne sich zuvor um eine richterliche Entscheidung bemüht zu … . …

Gemessen daran lag im Zeitpunkt der staatsanwaltlichen Durchsuchungsanordnung um 20.26 Uhr keine Gefahr im Verzug im Sinne des § 105 Abs. 1 Satz 1 StPO mehr vor. Spätestens mit dem Eintreffen der Beamten der Kriminalpolizei um 19.10 Uhr stand die Erforderlichkeit einer erneuten Durchsuchung fest. Dabei war den Ermittlungsbehörden bereits aufgrund der um 18.40 Uhr erfolgten ,Wohnungsnachschau‘ bekannt, dass sich keine Person in der von der Polizei seitdem überwachten Wohnung des festgenommenen Angeklagten aufhielt und deshalb mit einer Beweismittelvernichtung oder anderen Verdunkelungshandlungen nicht (mehr) zu rechnen war. Für die Annahme von Gefahr im Verzug bestand danach kein Raum mehr.

Die Rechtswidrigkeit der auf Anordnung der Staatsanwaltschaft erfolgten Wohnungsdurchsuchung rechtfertigt vorliegend die Annahme eines Verwertungsverbots hinsichtlich der dabei sichergestellten Beweismittel.

Ein schwerwiegender Verstoß liegt nach den oben geschilderten Umständen vor. Aufgrund der durch die erste Durchsuchung gewonnenen Erkenntnisse gab es für die Annahme von Gefahr im Verzug bei der Anordnung der zweiten Durchsuchung keinerlei tatsächliche Grundlage mehr. Soweit sich der Vertreter der Staatsanwaltschaft bei seiner Annahme, eine richterliche Entscheidung sei innerhalb einer bestimmten Zeitspanne nicht zu erlangen, auf Erfahrungswerte bezüglich der Erlangung von Durchsuchungsbeschlüssen gestützt hat, handelt es sich um nicht auf konkrete Tatsachen gestützte Vermutungen. Die in der Hauptverhandlung vernommene Ermittlungsrichterin hat erklärt, dass sie sich im Regelfall Unterlagen per Fax schicken lasse; wenn eine Übersendung nicht möglich sei, aber auch eine mündliche Anordnung treffen würde. Einen Versuch, Kontakt zu der noch im Dienst befindlichen Richterin aufzunehmen, hat der Staatsanwalt nicht unternommen. Angesichts dieser groben Missachtung des Richtervorbehalts kommt es nicht mehr darauf an, dass bei richtiger Verfahrensweise ein Durchsuchungsbeschluss mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erlangen gewesen wäre … .“

 

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