Endlich Sommerferien und danach? Schulischer Regelbetrieb ohne Mindestabstand

von Sibylle Schwarz, veröffentlicht am 02.07.2020
Rechtsgebiete: BeamtenrechtBildungsrechtCorona1|3394 Aufrufe

In „meinem“ Bundesland Hessen beginnen am morgigen Freitag mit der Zeugnisausgabe die Sommerferien. Andere Bundesländer wie etwa Nordrhein-Westfalen oder Schleswig-Holstein starten schon in die zweite Ferienwoche. Die 370. Kultusministerkonferenz hat am 18. Juni 2020 beschlossen, dass

„1. Zur Gewährleistung des Rechts auf Bildung von Kindern und Jugendlichen streben die Länder an, dass alle Schülerinnen und Schüler spätestens nach den Sommerferien wieder in einem regulären Schulbetrieb nach geltender Stundentafel in den Schulen vor Ort und in ihrem Klassenverband oder in einer festen Lerngruppe unterrichtet werden. Die Länder stimmen dabei überein, dass hierfür die Abstandsregelung von 1,5 Metern entfallen muss, sofern es das Infektionsgeschehen zulässt.“

 

Noch gar nicht lange ist es her, da entscheid das Verwaltungsgericht Wiesbaden (VG Wiesbaden, Beschluss vom 30. März 2020 – 6 L 342/20.WI –) [Hervorhebungen durch Bloggerin]:

„23 Die Empfehlungen des RKI umfassen ausreichende Belüftung der Räume, Händehygiene, Abstand halten und Husten- und Schnupfenhygiene. Dieser Pflicht ist die von der Antragstellerin besuchte Schule nachgekommen.

An den Schuleingängen wurde gut sichtbar auf die Regeln insbesondere bezüglich des Mindestabstandes hingewiesen. Ausweislich der durch die Antragstellerin vorgelegten „Hinweise für die Abiturprüfungen“ sind die Schülerinnen und Schüler gehalten, auf dem Schulhof Abstand zu halten. Im Prüfungssaal werden die Prüfungsgruppen verkleinert, die Tische der Schülerinnen und Schüler werden weiter auseinandergestellt und die Räume werden regelmäßig gelüftet. Zwar wird der Abstand in diesen Hinweisen nicht konkret in Zahlen dargestellt. Da die Hinweise aber allein dem Zweck dienen, die Empfehlungen des RKI umzusetzen, namentlich also einen Abstand von 1,5 bis 2 Metern zwischen den Prüflingen zu gewährleisten, geht die Kammer davon aus, dass die Prüfungsgruppen entsprechend so verkleinert wurden, dass ein solcher Abstand auch eingehalten wird. …

28 … Die Schulen sind gemäß § 1 Abs. 4 der Vierten Verordnung zur Bekämpfung des Corona-Virus vom 17.3.2020 insbesondere verpflichtet, die Empfehlungen des RKI zur Hygiene zu beachten. Hierzu zählt insbesondere ein Abstand zu anderen Personen von 1,5 bis 2 Metern. Wie oben bereits dargelegt, ist die Schule dieser Pflicht nachgekommen. …“

Deswegen ist die antragstellende Abiturientin auch mit ihrem Antrag, dass gegenwärtige Abitur an hessischen Schulen bis auf Weiteres auszusetzen, gescheitert.

 

Blog Beitrag zu Abitur in Hessen nachlesen

Blog Beitrag zu Abitur in Berlin nachlesen

 

Die Gewährleistung des Rechts auf Bildung von Kindern und Jugendlichen wird betont. Das ist notwendig. Zumal während des „Distanzunterrichts“ in der Covid-19 Pandemie im „Durchschnitt der 36 OECD Länder 40% der Lerninhalte vermittelt werden konnten“*. Aber eine der Empfehlungen des RKI, nämlich Abstand halten soll nach den Sommerferien passé sein?

Ein Blick in Gerichtsentscheidungen aus der Zeit schon vor den Sommerferien verrät, wie die RKI-Empfehlung des Abstandhaltens auch gesehen werden kann. Etwa das OVG Sachsen-Anhalt (Pressemitteilung Nr.: 014/2020, Magdeburg, den 15. Juni 2020) meint:

„Die Landesregierung sei aufgrund ihres gerichtlich nur begrenzt überprüfbaren Einschätzungs- und Prognosespielraums berechtigt, den Katalog von Maßnahmen zur Eindämmung des Virus fortwährend anzupassen und nicht mehr für notwendig erachtete Schutzmaßnahmen zurückzunehmen.“

Ähnlich sehen es das Sächsische Oberverwaltungsgericht und das OVG NRW.

 

 

Im Einzelnen

Sächsische Oberverwaltungsgericht (OVG Sachsen, Beschluss vom 10. Juni 2020 - 3 B 194/20 -)

Die Antragstellerin ist Lehrerin an einer Grundschule und verfolgt mit ihrem Normenkontrolleilantrag gemäß § 47 Abs. 6 VwGO den § 2 Abs. 4 SächsCoronaSchVO im Bereich der Grundschulen und der Kindertagesstätten außer Vollzug zu setzen. Streitgegenständlich ist die Regelung in „… § 2 (4) Der Mindestabstand von 1,5 Metern gilt nicht in Kindertageseinrichtungen, in Schulen und bei schulischen Veranstaltungen; …“

Die antragstellende Grundschullehrerin trägt im Wesentlichen vor,

dass „mit § 2 Abs. 4 Sächs-CoronaSchVO in der aktuellen Fassung werde der Mindestabstand von 1,5 Metern in Schulen und bei schulischen Veranstaltungen aufgehoben. Die Verordnung sei mit höherrangigem Recht nicht vereinbar, da sie nicht auf § 32, § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG gestützt werden könne. Die Vorschrift sei mit höherrangigem Recht unvereinbar, da für Kindertagesstätten und einen Teil der Schulen auf ein Schutzkonzept verzichtet werde, das im Übrigen generell für alle Lebensbereiche für erforderlich angesehen werde. Die generelle Abweichung von der Abstandsregelung sei durch keinen sachlichen Grund gerechtfertigt. Das von ihr in Anspruch genommene Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit stelle eine objektive Wertentscheidung der Verfassung dar, die staatliche Schutzpflichten begründe.“

 

Der Freistaat Sachsen als Antragsgegner entgegnet unter anderem,

dass „die Unterschreitung des Mindestabstands sei nur zwischen Schülern innerhalb des Klassenraums gestattet, von einer zulässigen Unterschreitung des Mindestabstands im Verhältnis zu den Lehrkräften, zu der die Antragstellerin zähle, sei dagegen keine Rede. Die wechselseitigen grundrechtlich geschützten Belange müssten in einen bestmöglichen Ausgleich gebracht werden, hier das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit sämtlicher am Schulbetrieb beteiligten Personen, also auch der Lehrkräfte, einerseits und das Grundrecht der Schüler auf schulische Bildung andererseits (Art. 2 Abs. 2 Satz 1, Art. 7 GG, Art. 16 Abs. 1 Satz 1, Art. 102 Abs. 1 Satz 1 SächsVerf). Angesichts der Eigenart des Grundschulunterrichts sei die Wahrung des Mindestabstands zwischen den Schülern nicht immer möglich. Das Beschulungsziel in Grundschulen sei anders als bei höheren Klassen durch gleichwertige Alternativregelungen nicht möglich. Bei Kindern in Primarbereich sei die strikte Durchsetzung des Abstandsgebots entwicklungspsychologisch nicht zu erwarten.“

 

Das Sächsische Oberverwaltungsgericht hat dem Normenkontrolleilantrag nicht stattgegeben und ausgeführt:

 

„19 (1) Neben dem Schutz vor staatlichen Eingriffen ergibt sich aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG für den Staat die Pflicht, das Leben des Einzelnen zu schützen. Die Schutzpflicht besteht zugunsten der körperlichen Unversehrtheit und dem psychischen Wohlbefinden. Die Verletzung der Schutzpflicht kann von dem Grundrechtsträger geltend gemacht werden. Sie rechtfertigt die Einschränkung anderer Grundrechte auf gesetzlicher Grundlage. Der Staat hat seiner Schutzpflicht beispielsweise durch Erlass entsprechender materieller Vorschriften nachzukommen. Dabei hat er allerdings einen erheblichen Spielraum. Die Maßnahmen dürfen nicht gänzlich ungeeignet und völlig unzulänglich sein und nicht erheblich hinter dem Schutzziel zurückbleiben. …

20 (2) Hiervon ausgehend hat der Sächsische Verordnungsgeber mit der Aufhebung des Mindestabstandsgebotes in § 2 Abs. 4 SächsCoronaSchVO seine aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG gegenüber der Antragstellerin als Lehrerin an einer Grundschule folgende Schutzpflicht nicht verletzt. …

22 Zwar dürfte wissenschaftlich feststehen, dass Kinder im Grundschulalter über dieselbe Virenlast wie Erwachsene verfügen, sofern sie infiziert sind. Nicht geklärt ist allerdings, ob sie Viren im gleichen Umfang weitergeben wie ältere Infizierte. Insbesondere ist festzustellen, dass Kinder nur in seltenen Ausnahmefällen selbst Krankheitssymptome zeigen … Eine Gefährdung durch infizierte Kinder bei Unterschreitung des Mindestabstands von 1,5 Meter ist daher wissenschaftlich bislang nicht eindeutig erwiesen. …

23 Darüber hinaus ist die epidemiologische Situation in Sachsen dadurch gekennzeichnet, dass die täglichen Neuinfektionen stark zurückgegangen sind …

25 Der Antragsgegner hat zutreffend darauf hingewiesen, dass Kinder im Grundschulalter - ebenso wie Kindergartenkinder - nicht auf die Wahrung eines Mindestabstands verwiesen werden können, weil sie diesen aufgrund ihres Alters, ihrer Einsichtsfähigkeit und ihres Reifegrades bei hoher Beweglichkeit (hierzu ausdrücklich HessVGH, Beschl. v. 24. April 2020 - 8 B 1097/20.N -, juris Rn. 61 zum „gerichtsbekannten“ Bewegungsdrang) nicht einhalten würden und auch die Lehrkonzepte für die Abhaltung des Unterrichts in Grundschulen die Einhaltung eines solchen Mindestabstands weder ermöglichen noch vorsehen. Ein Lernen im Heimunterricht wie etwa bei älteren Schülern ist aufgrund der Natur der Sache ohne Unterstützung und Hilfe Erwachsener nicht möglich. Eine weitere insbesondere von den Eltern zu gewährleistende Beschulung in häuslicher Gemeinschaft würde daher die Eltern weiter daran hindern, insbesondere einer Erwerbstätigkeit nachzugehen, und würde diese damit in ihrem Grundrecht auf Berufsfreiheit gemäß Art. 12 Abs. 1 GG betreffen. …

26 Durch eine weiter fortdauernde Beschulung in häuslicher Gemeinschaft würden darüber hinaus schwerwiegende Entwicklungsdefizite bei den betroffenen Kindern entstehen. So hat etwa Frau Prof. Dr. Katharina Spieß, die Leiterin der Abteilung Bildung und Familie am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) Berlin am 8. Juni 2020 in einem Interview (ARD, Tagesthemen vom selben Tag, 22.15 Uhr, abrufbar in der Mediathek des ARD) darauf hingewiesen, dass der fehlende Kontakt zu Gleichaltrigen und zum Lehrpersonal im Präsenzunterricht zu erheblichen, im Laufe der Zeit immer größer werdenden Bildungsdefiziten insbesondere in Familien führt, die sozial benachteiligt sind. Neben den besonders im frühkindlichen Alter schwer aufzuholenden Bildungsdefiziten, die die Grundrechte von Ehe und Familie sowie das Recht von Kindern auf Bildung i. S. d. Art. 6, 7 GG, Art. 102 SächsVerf betreffen, bestehen im Hinblick auf die oftmals fehlende Fürsorge, Förderung und Verpflegung mit ausgewogenen Mahlzeiten auch Gefahren für die körperliche Gesundheit der Kinder, wodurch deren Anspruch auf staatlichen Schutz ihrer körperlichen Unversehrtheit i. S. d. Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG berührt wird. Schließlich wird auch darauf hingewiesen, dass gerade auch bei länger andauernder Schulschließung die Gefahren für Kinder im Hinblick auf familiäre oder häusliche Gewalt (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) größer werden …

28 Es ist daher im Rahmen des vorliegenden Verfahrens davon auszugehen, dass der Antragsgegner in der gegenwärtigen epidemiologischen Lage im Spannungsverhältnis der beschriebenen Schutzpflichten Regelungen getroffen hat, die eine bestmögliche Erfüllung dieser Pflichten gegenüber den jeweils betroffenen Personengruppen sicherstellen. …

31 Während die Grundrechte insbesondere der betroffenen Kinder im Grundschulalter mit zunehmender Dauer einer Beschulung in häuslicher Gemeinschaft schwer betroffen sein dürften und möglicherweise Entwicklungs- und Bildungsdefizite entstehen, die auch später nicht mehr aufgeholt werden können (hierzu insbesondere Spieß a. a. O.), sind die Ansteckungsgefahren für den Lehrkörper derzeit wissenschaftlich als offen zu bezeichnen und angesichts der geringen Infektionszahlen von nur geringer Wahrscheinlichkeit. …“

 

 

Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt (OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 15. Juni 2020 - 3 R 111/20 -)

hat den Antrag eines Grundschullehrers, die Regelung des § 15 Abs. 1 Satz 2 der Sechsten Verordnung über Maßnahmen zur Eindämmung der Ausbreitung des neuartigen Coronavirus (6. SARS-CoV-2-EindV) außer Vollzug zu setzen, abgelehnt. § 15 der 6. SARS-CoV-2-EindV regelt die schrittweise Öffnung von allgemeinbildenden Schulen. Nach § 15 Abs. 1 Satz 2 kann, soweit für den Schulbetrieb erforderlich, von der Einhaltung des allgemein geltenden Mindestabstands von 1,50 m abgewichen werden.

Das OVG Sachsen-Anhalt zitiert aus dem Beschluss (Rn 19) des OVG Sachsen vom 10. Juni, wonach „Der Staat hat seiner Schutzpflicht beispielsweise durch Erlass entsprechender materieller Vorschriften nachzukommen. Dabei hat er allerdings einen erheblichen Spielraum. Die Maßnahmen dürfen nicht gänzlich ungeeignet und völlig unzulänglich sein und nicht erheblich hinter dem Schutzziel zurückbleiben.“

Das OVG Sachsen-Anhalt weiter: „Der Verordnungsgeber hat - wie hier mit der durch zahlreiche Unsicherheiten geprägten epidemischen Lage - eine komplexe Gefährdungslage zu beurteilen. Hierbei kommt ihm bei der Festlegung der von ihm ins Auge gefassten Regelungsziele und der Beurteilung dessen, was er zur Verwirklichung der Ziele für geeignet, erforderlich und angemessen halten darf, ein weiter - gerichtlich nur begrenzt überprüfbarer - Einschätzungs- und Prognosespielraum zu (vgl. BVerfG, Urteil vom 16. März 2004 - 1 BvR 1778/01 … Eine konkrete Gefährdung von Schülern und Lehrkräften bei Unterschreitung des Mindestabstands von 1,50 m dürfte dagegen bislang wissenschaftlich nicht eindeutig erwiesen sein …“

 

 

Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW, Beschluss vom 12. Juni 2020 - 13 B 779/20.NE -)

Die Antragsteller zu 1. und zu 2. sind die Erziehungsberechtigten der Antragsteller zu 3. bis 6. Die Antragsstellerinnen zu 3. und zu 4. besuchen die 9. bzw. 7. Klasse des Gymnasiums. Die Antragsteller zu 5. und zu 6. besuchen die 4. bzw. 2. Klasse einer staatlich anerkannten Ersatzschule. Sie begehren die sofortige Wiederaufnahme der Beschulung im Präsenzunterricht.

 

Die Antragsteller zu 1. bis 6. tragen überwiegend vor,

„… Die aktuelle Beschulung begründe, soweit diese nach einem tageweise rollierenden System aller Jahrgangsstufen erfolge, einen unverhältnismäßigen Eingriff in das von Art. 8 Abs. 1 LV NRW geschützte Recht auf Bildung und Erziehung der betroffenen Schüler sowie das Elternrecht aus Art. 6 Abs. 2 GG. Weder das rollierende System noch die digitale Beschulung stellten eine ordnungsgemäße Beschulung oder individuelle Förderung der Schüler dar. Bei der Abwägung der betroffenen Güter sei zudem zu berücksichtigen, dass die Infektionsrate in Nordrhein-Westfalen erheblich gesunken sei und weder an ihren Schulen noch am Wohnort bestätigte Infektionsfälle bekannt seien. Es gebe zudem keine wissenschaftlichen Gutachten, die bestätigten, dass Kinder das Virus übertrügen oder Kinder sich gegenseitig ansteckten. …“

 

Das OVG NRW hat den Normenkontrolleilantrag abgelehnt.

„1. Nach § 1 Abs. 1 und 2 CoronaBetrVO ist die Beschulung im Präsenzunterricht zulässig, soweit durch organisatorische Maßnahmen des Ministeriums für Schule und Bildung bzw. der Schulträger und Schulleitung sichergestellt ist, dass die in der Verordnung näher beschriebenen Abstands- und Hygieneregeln eingehalten werden. Diese Vorgaben, die unter anderem zu reduzierten Klassen- und Kursgrößen führen können, haben zur Folge, dass der Unterrichtsbetrieb an den Schulen grundsätzlich nur eingeschränkt stattfindet. Der Präsenzunterricht für Schülerinnen und Schüler der Grundschulen soll aktuell in einem tageweise rollierenden System und für Schülerinnen und Schüler der allgemeinbildenden weiterführenden Schulen und Förderschulen, die keinem Abschlussjahrgang angehören, entweder rollierend oder im Rahmen vorhandener personeller und räumlicher Kapazitäten in möglichst gleichem Umfang erfolgen. Für die Schülerinnen und Schüler, für die eine Pflicht zur Teilnahme am Präsenzunterricht nach diesem System entfällt, sind Lernangebote für zu Hause vorgesehen (sogenanntes Lernen auf Distanz), die sich möglichst an der Stundentafel orientieren sollen. …

Die Schülerinnen und Schüler sollen dann wieder in einem festen Klassenverband und fest zugewiesenen Räumen unterrichtet werden. Anwesenheit und Gruppenzusammensetzung der Kinder müssen dokumentiert werden. Durch gestaffelte Anfangs- und Pausenzeiten soll eine Trennung der Lerngruppen auch außerhalb des Unterrichts gewährleistet werden. … Danach ist zukünftig nur noch grundsätzlich außerhalb der Klassen-/Kursräume im übrigen Schulgebäude und auf dem Schulgelände der Mindestabstand von 1,5 Metern zwischen Personen so weit wie baulich oder schulorganisatorisch möglich einzuhalten, während es in Unterrichtssituationen in Klassen-/Kursräumen ausreichend ist, wenn durch Bildung fester Lerngruppen, Einhaltung fester Sitzordnungen und eine entsprechende Dokumentation ein näherer Kontakt auf einen begrenzten und bestimmbaren Personenkreis reduziert wird und für diesen die besondere Rückverfolgbarkeit nach § 2a Abs. 2 Coronaschutzverordnung sichergestellt ist. …

Bei der gebotenen Berücksichtigung des zuvor skizzierten Zusammenhangs erweist sich § 1 Abs. 1 bis 3 CoronaBetrVO aller Voraussicht nach als rechtmäßig. …

In Betracht kommt insoweit sowohl ein Eingriff in das von den Antragstellern zu 3. bis 6. geltend gemachte Recht auf Teilhabe und Erziehung gemäß §§ 1, 2 SchulG NRW i. V. m. Art. 8 Abs. 1 Satz 1 LV NRW und Art. 2 Abs. 1 GG als auch das von den Antragstellern zu 1. und 2 in Anspruch genommene Recht auf Erziehung und Bildung ihrer Kinder gemäß Art. 8 Abs. 1 Satz 2 LV NRW und (Art. 4 Abs. 1 LV NRW i. V. m.) Art. 6 Abs. 2 GG.

 

Beide (Grund-)Rechte begründen grundsätzlich nur einen Anspruch auf Teilhabe an den vorhandenen öffentlichen Bildungseinrichtungen und -angeboten bzw. auf Zugang zu diesen unter zumutbaren Bedingungen und stehen unter dem Vorbehalt des Möglichen, also dessen was der Einzelne vernünftiger Weise von der Gesellschaft verlangen kann. Zu einem Verschaffungsanspruch können diese Rechte nur erstarken, wenn es selbst an dem zur Erhaltung des Teilhaberechts auf Bildung notwendigen Minimum fehlt. …

… ist bei der Bewertung insbesondere zu berücksichtigen, dass sich auch die Einschätzung des Infektionsrisikos von Kindern und Jugendlichen sowie deren Relevanz bei der Übertragung des Virus auf andere Personen noch nicht abschließend beurteilen lässt. … Zu beachten ist ferner, dass die meisten Studien im sogenannten Lockdown durchgeführt wurden. Sie lassen daher keine Rückschlüsse auf die Normalsituation mit geöffneten Bildungseinrichtungen zu. …

Der Verordnungsgeber verletzt seinen Einschätzungsspielraum grundsätzlich nicht dadurch, dass er bei mehreren vertretbaren Auffassungen einer den Vorzug gibt, solange er dabei nicht feststehende, hiermit nicht vereinbare Tatsachen ignoriert. … Dabei ist ihm wegen der Fragilität der Lage und wegen der fortbestehenden tatsächlichen Ungewissheiten nach wie vor eine Einschätzungsprärogative im Hinblick auf das gewählte Mittel einzuräumen, soweit und solange sich nicht andere Maßnahmen eindeutig als gleich geeignet und weniger belastend darstellen. …

Anderes folgt nicht daraus, dass der Verordnungsgeber aufgrund einer Neubewertung der Lage (erst) ab dem 15. Juni 2020 die Einhaltung eines Mindestabstands von 1,5 Metern in Unterrichtssituationen in den Klassen- bzw. Kursräumen nicht mehr aus Gründen des Infektionsschutzes für unverzichtbar hält. Der angesichts des anhaltenden wissenschaftlichen Diskurses und der Dynamik des Infektionsgeschehens dem Verordnungsgeber weiterhin zuzugestehende Beurteilungsspielraum bezieht sich nicht nur auf Art und Umfang der für notwendig erachteten Beschränkungen, sondern in gewissem Umfang auch auf die Frage, zu welchem Zeitpunkt eine Maßnahme im Anschluss an eine solche Neubewertung gelockert wird. Dass dieser Spielraum hier überschritten sein könnte, drängt sich dem Senat nicht auf. …„

 

*

Laut Prof. Andreas Schleicher bei Online Veranstaltung „International: Mehr Eigenverantwortung für Schulen in und nach der Corona-Krise“, 30. Juni 2020, 11:00 Uhr - 12:15 Uhr

 

UPDATE nach Sommerferien mancher Bundesländer, Mittwoch 12. August 2020

 

Das Bundesland Mecklenburg-Vorpommern startete schon am Montag 3. August in den Unterricht des neuen Schuljahres, Hamburg am 6. August und Nordrhein-Westfalen am heutigen 12. August.

Auch zu Beginn des neuen Schuljahres wurden wieder Verwaltungsgerichte mit schulischen Fragen betreffend Covid-19 Pandemie befasst.

 

HAMBURG

Beschluss des Verwaltungsgerichts Hamburg, 3. Kammer, 6. August 2020, 3 E 3336/20

„Das Gericht hat den Antrag des Antragstellers, die Schulbehörde zu verpflichten, in Schulen für Schüler und für das Lehrpersonal das Tragen von Mund-Nasen-Schutz auch während des Unterrichts anzuordnen, gemäß §§ 122 Abs. 1, 88 VwGO zur Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes dahingehend ausgelegt, dass er den Erlass einer solchen Anordnung durch die zuständige Stelle begehrt. Als Inhalt kommen hierfür eine Änderung der Verordnung zur Eindämmung der Ausbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2 in der Freien und Hansestadt Hamburg (Hamburgische SARS-CoV-2-Eindämmungsverordnung – HmbSARS-CoV-2-EindämmungsVO) in der Fassung vom 13. Juli 2020 (HmbGVBl. S. 404), der Erlass einer Allgemeinverfügung gemäß § 35 Satz 2 HmbVwVfG oder eine Änderung des Musterhygieneplans der Behörde für Schule und Berufsbildung in Betracht. …

II.

Der Antrag hat keinen Erfolg.

1. Es bestehen schon Bedenken an seiner Zulässigkeit. …

… Für die Änderung des Musterhygieneplans, der gegenüber den Schulen – und damit unmittelbar nur verwaltungsintern – Verhaltensregeln für den Schulbetrieb aufstellt, wäre eine Leistungsklage statthaft.

Zweifelhaft ist aber, ob der Antragsteller entsprechend § 42 Abs. 2 VwGO antragsbefugt ist. Um einen Popularrechtsbehelf auszuschließen, muss es nach dem Vorbringen des Antragstellers – auch insoweit obliegt ihm gemäß § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO die Glaubhaftmachung – zumindest möglich erscheinen, dass dieser in eigenen Rechten verletzt ist oder ihm eine solche Verletzung droht. Dass es dem Antragsteller um die Geltendmachung eigener Rechte geht, ist jedenfalls den kurzen Erwägungen, die er zur Begründung seines Antrags mitgeteilt hat, nicht zu entnehmen. Vielmehr …

… Inwiefern er durch die fehlende Anordnung einer Maskenpflicht während des Schulunterrichts selbst beeinträchtigt werden könnte – ob er etwa als Lehrer an einer Schule tätig, selbst Schüler oder als Vater eines schulpflichtigen Kindes betroffen ist –, legt er nicht dar. …

… kann hier offenbleiben, da der Antrag auch bei der letztgenannten rechtsschutzfreundlichen Interpretation jedenfalls in der Sache keinen Erfolg hat. …

… Ein Anordnungsanspruch lässt sich vorliegend nicht aus dem Grundrecht des Antragstellers auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) herleiten.

Das Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit ist nicht nur ein subjektives Abwehrrecht gegen staatliche Eingriffe, sondern umfasst auch die Pflicht, sich schützend und fördernd vor das Leben der Einzelnen zu stellen (vgl. BVerfGE 39, 1, 42; 46, 160, 164; 90, 145, 195; 115, 320, 346) sowie vor Beeinträchtigungen der körperlichen Unversehrtheit und der Gesundheit zu schützen (vgl. BVerfGE 56, 54, 78; 121, 317, 356). Bei der Erfüllung ihrer Schutzpflichten aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG kommt staatlichen Stellen aber ein erheb-licher Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielraum zu (vgl. BVerfGE 96, 56, 64; 121, 317, 356; 133, 59, 76 Rn. 45; 142, 313, 337 f. Rn. 69 f.). Was konkret zu tun ist, um Grundrechtsschutz zu gewährleisten, hängt von vielen Faktoren ab, im Besonderen von der Eigenart des Sachbereichs, den Möglichkeiten, sich ein hinreichend sicheres Urteil zu bil-den, und der Bedeutung der hier betroffenen Rechtsgüter (vgl. zuletzt BVerfG, Urt. v. 26. 2.2020, 2 BvR 2347/15, Rn. 224 m.w.N.). Die Verletzung einer Schutzpflicht kann nur festgestellt werden, wenn Schutzvorkehrungen entweder überhaupt nicht getroffen sind, wenn die getroffenen Regelungen und Maßnahmen offensichtlich ungeeignet oder völlig unzulänglich sind, das gebotene Schutzziel zu erreichen, oder wenn sie erheblich hinter dem Schutzziel zurückbleiben (vgl. BVerfGE 56, 54, 80; 77, 170, 215; 92, 26, 46; 125, 39 78 f.; 142, 313, 337 f. Rn. 70; siehe auch zuletzt BVerfG, Beschl. v. 11.5.2020, 1 BvR 1027/20, Rn. 7 – Verfassungsbeschwerde gegen Lockerungen der Corona-Eindämmungsmaßnahmen). …

 

… Soweit eine Änderung des Musterhygieneplans in Rede steht, den die Behörde für Schule und Berufsbildung erstellt hat, handelt es sich um eine Verwaltungsvorschrift, die an die Schulen adressiert ist. Der Bürger kann aus der Verwaltungsvorschrift unmittelbar keine Rechte herleiten. Der Musterhygieneplan erhält lediglich über die Verwaltungspraxis und den Gleichheitssatz mittelbar Außenwirkung. …

… Jede Schule hat zudem gemäß § 23 Abs. 1 Satz 2 HmbSARS-CoV-2-EindämmungsVO einen Hygieneplan nach dem Infektionsschutzgesetz aufzustellen, der sich im Rahmen des von der Behörde für Schule und Berufsbildung veröffentlichten Musterhygieneplans zu halten hat. Wie sich aus einer Pressemitteilung der Behörde für Schule und Berufsbildung vom 3. August 2020 (https://www.hamburg.de/bsb/pressemitteilungen/14165870/2020-08-03-bsb-ma..., Abruf vom 6.8.2020) ergibt, hat diese den bestehen-den Musterhygieneplan fortgeschrieben und für den Schulbetrieb nach den Sommerferien neben weiteren Regeln zur persönlichen und allgemeinen Hygiene sowie zu den Mindest-abständen auch die Pflicht eingeführt, an den Schulen Masken zu tragen. Danach werden Schülerinnen und Schüler der Grundschulen von der Maskenpflicht ausgenommen, weil in dieser Altersgruppe die Corona-Krankheit sehr selten vorkomme, einen sehr milden Verlauf nehme und zudem die Kinder mit den Masken noch nicht fachgerecht umgehen könnten. Die Maskenpflicht solle nur auf den Fluren der Schulgebäude, in den Schulpausen und auf Wegen durch das Schulgelände und in der Kantine gelten. …

… Zwar weist er zu Recht darauf hin, dass Virologen (auch des Robert-Koch-Instituts) sich für eine Maskenpflicht auch im Unterricht ausgesprochen haben (vgl. https://www.leopoldina.org/uploads/tx_leopublication/2020_08_05_ Leopoldina_Stellungnahme_Coronavirus_Bildung.pdf, S. 1, 6 f.: Maskenpflicht für Schüle-rinnen und Schüler ab der 5. Klasse, Abruf vom 6.8.2020). Es ist aber nicht ersichtlich, dass die Einführung einer Maskenpflicht auch im Unterricht und für alle Schülerinnen und Schüler unabhängig von Klasse und Schulform zwingend ist, um der aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG folgenden Schutzpflicht Genüge zu tun, und dass die bisherigen Vorkehrungen zum Schutz des Grundrechts völlig ungeeignet oder völlig unzulänglich wären.

Der Normgeber überschreitet seine Einschätzungsprärogative ferner nicht, indem er zwi-schen Kindern verschiedener Altersstufen differenziert. …“

 

 

BERLIN

Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin, 14. Kammer, 7. August 2020, VG 14 L 234/20

„Der Antrag der Antragsteller, mit dem sie gemäß den §§ 88, 122 Abs. 1 der Verwal-tungsgerichtsordnung [VwGO]) sachdienlich ausgelegt beantragen,

den Antragsgegner im Wege einstweiliger Anordnung zu verpflichten, die An-tragstellerinnen zu 1 und 2 ab dem 10.08.2020 vorläufig bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache unter Einhaltung eines Mindestabstandes bei Kontakten zu anderen Menschen von 1,5 Metern gemäß § 1 Abs. 2 Satz 1 der SARS-CoV-2-Infektionsschutzverordnung (SARS-CoV-2-IfSV, vom 23.06.2020, GVBl. S. 562, in der Fassung vom 21.07.2020, GVBl. S. 625, zuletzt geändert durch Verordnung vom 04.08.2020, GVBl. S. 658) zu beschulen;

hilfsweise im Wege einstweiliger Anordnung festzustellen, dass die Antragstellerinnen zu 1 und 2 ab dem 10.08.2020 vorläufig bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache von der Schulpflicht befreit sind, sofern der Antragsgegner sie nicht unter Einhaltung eines Mindestabstandes bei Kontakten zu anderen Menschen von 1,5 Metern gemäß § 1 Abs. 2 Satz 1 SARS-CoV-2-IfSV beschult,

ist zulässig (I.), aber nicht begründet (II.).

… II. … 1. Die Antragsteller haben hier schon das Bestehen eines Anordnungsanspruchs nicht auf eine die Vorwegnahme der Hauptsache rechtfertigende Weise glaubhaft gemacht. Nach der im Verfahren vorläufigen Rechtsschutzes allein möglichen und gebotenen summarischen Prüfung haben die Antragstellerinnen zu 1 und 2 keinen Anspruch auf Beschulung unter Einhaltung eines Mindestabstands von 1,5 Metern aus Artikel 2 Abs. 2 Satz 1 GG. …

… a) Gemäß dieser Verfassungsvorschrift hat jeder das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. In Verbindung mit Artikel 1 Abs. 1 Satz 2 GG verpflichtet sie den Staat, jedes menschliche Leben zu schützen. Diese Schutzpflicht ist umfassend. Sie gebietet dem Staat, sich schützend und fördernd vor dieses Leben zu stellen; das heißt vor allem, es auch vor rechtswidrigen Eingriffen von Seiten anderer zu bewahren. An diesem Gebot haben sich alle staatlichen Organe, je nach ihren besonderen Aufgaben, auszurichten. Da das menschliche Leben einen Höchstwert darstellt, muss diese Schutzverpflichtung besonders ernst genommen werden. Wie die staatlichen Organe ihre Verpflichtung zu einem effektiven Schutz des Lebens erfüllen, ist von ihnen grundsätzlich in eigener Verantwortung zu entscheiden. Sie befinden darüber, welche Schutzmaßnahmen zweckdienlich und geboten sind, um einen wirksamen Lebensschutz zu gewährleisten (BVerfG, Beschluss vom 16.10.1977 - 1 BvQ 5/77 -, Rn. 13 f.). Eine entsprechende Schutzpflichtendimension hat auch das Recht auf körperliche Unversehrtheit (vgl. Maunz/Dürig/Di Fabio, a.a.O., Rn. 81 m.w.N.).

Bestimmte Anforderungen an die Art und das Maß des Schutzes lassen sich der Verfassung grundsätzlich nicht entnehmen. Die staatlichen Organe, denen die Wahrung des Grundgesetzes als Ganzes anvertraut ist, haben bei der Erfüllung von Schutz-pflichten einen weiten Gestaltungsraum. Oft geht es darum, gegensätzliche Grundrechtspositionen auszugleichen und jeder die jeweils angemessene Geltung zu verschaffen. Dafür gibt das Grundgesetz nur den Rahmen, nicht aber bestimmte Lösungen vor. Die Verletzung einer Schutzpflicht kann deshalb nur festgestellt werden, wenn die öffentliche Gewalt Schutzvorkehrungen entweder überhaupt nicht getroffen hat oder die getroffenen Regelungen und Maßnahmen gänzlich ungeeignet oder völlig unzulänglich sind, das gebotene Schutzziel zu erreichen, oder erheblich dahinter zurückbleiben (BVerfG, Urteil vom 10.01.1995 - 1 BvF 1/90 -, Rn. 74). Deshalb kommt der Exekutive ein großer Gestaltungsfreiraum, auch mit Einschätzungs-prärogativen für die Wahl geeigneter Mittel zu, um den dem Grunde nach gebotenen Schutz zu gewährleisten. Begrenzt wird der Gestaltungsspielraum durch das so genannte Untermaßverbot, welches Mindestanforderungen an die Ausgestaltung des Schutzes formuliert, abhängig einerseits von der Schutzbedürftigkeit und dem Rang des betroffenen Rechtsguts und andererseits vom Gewicht der damit kollidierenden Rechtsgüter (vgl. auch Maunz/ Dürig/Di Fabio, a.a.O., Art. 2 Abs. 2 Rn. 41 m.w.N.). …

… cc) Zur Vorbeugung von Infektionen im Wege der Tröpfcheninfektion empfiehlt das Robert Koch-Institut das Einhalten eines Mindestabstands von 1,5 Metern zwischen Personen im gesellschaftlichen Umgang sowie das Tragen einer Mund-Nasen-Be-deckung, insbesondere in Situationen, in denen dieser Mindestabstand nicht immer eingehalten werden kann (vgl. Robert Koch-Institut, Infektionsschutzmaßnahmen, https://www.rki.de/SharedDocs/FAQ/NCOV2019/FAQ_Liste_Infektionsschutz. html, abgerufen am 06.08.2020). Aerosole können generell durch regelmäßiges Lüften bzw. bei raumlufttechnischen Anlagen durch einen Austausch der Raumluft unter Zu-fuhr von Frischluft (oder durch eine entsprechende Filtrierung) in Innenräumen abgereichert werden (ebd.). Ferner ist es für eine Verlangsamung der Ausbreitung des Coronavirus und zur Verhinderung von Krankheitsfällen notwendig, die Kontaktpersonen von labordiagnostisch bestätigten Infektionsfällen zu identifizieren und – je nach individuellem Infektionsrisiko – ihren Gesundheitszustand für die maximale Dauer der Inkubationszeit (14 Tage) zu beobachten; enge Kontaktpersonen müssen in häusliche Quarantäne (ebd.).

c) Gemessen an diesen aktuellen Erkenntnissen hat der Verordnungsgeber das Un-termaßverbot bei der Aufhebung des Mindestabstandsgebots von 1,5 Metern in Schulen (vgl. § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Var. 2 SARS-CoV-2-IfSV) nicht verletzt. …

aa) Vielmehr hat die Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie einen landesweiten Musterhygieneplan erstellt, auf dessen Grundlage jede Schule einen individuellen Hygieneplan zu erstellen hat (vgl. Pressemitteilung SenBJF vom 04.08.2020, http://www.berlin.de/sen/bjf/service/ presse/schulstart-2020_2021.pdf/, abgerufen am 06.08.2020). Nach diesem Musterhygieneplan ist eine Vielzahl von Schutzvorkehrungen vorgesehen. Er enthält zu-nächst Vorgaben für die persönliche Hygiene, wobei vorgegeben ist, dass trotz Auf-hebung des Mindestabstands von 1,5 Metern in der Schule und im Rahmen schulischer Veranstaltungen der Mindestabstand, wo immer es möglich ist, gleichwohl eingehalten werden soll. Zudem gilt in allen Schulen bis auf den Unterricht und die Durchführung außerunterrichtlicher ergänzender Förderung und Betreuung die Pflicht zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung (§ 4 Abs. 1 Nr. 9 SARS-CoV-2-IfSV). Ferner sollen sich die Klassenverbände/Lerngruppen, soweit dies organisatorisch möglich ist, nicht untereinander vermischen, sondern als feste Gruppen im Lehrbetrieb zusammenbleiben. Bei Symptomen einer Atemwegserkrankung oder sonstigen mit COVID-19 zu vereinbarenden Symptomen soll die betroffene Person zu Hause bleiben. Darüber hinaus sind alle Dienstkräfte aufgefordert, den Gesundheitszustand der Schülerinnen und Schüler zu beobachten. Die Händehygiene ist einzuhalten. Weiterhin enthält der Musterhygieneplan Vorgaben für die Raumhygiene. Er schreibt insbesondere vor, dass die Innenraumluft durch das regelmäßige und richtige Lüften regelmäßig ausgetauscht werden muss. Es ist mehrmals täglich, mindestens einmal in jeder Unterrichtsstunde eine Durchlüftung durch vollständig geöffnete Fenster und eine Luftabzugsmöglichkeit (z.B. geöffnete Tür) über mehrere Mi-nuten vorzunehmen. Flankiert wird der Musterhygieneplan schließlich von detaillierten Vorgaben für die Reinigung, die Hygiene im Sanitärbereich, den allgemeinen Infektionsschutz, den Infektionsschutz im Unterricht und in der ergänzenden Förderung und Betreuung sowie beim Schulmittagessen und im Sport- und Musikunterricht. …

… bb) Die getroffenen Regelungen und Maßnahmen sind auch nicht gänzlich ungeeignet oder völlig unzulänglich, das gebotene Schutzziel zu erreichen, und bleiben auch nicht erheblich dahinter zurück.

Zwar trifft es zu, dass das Infektionsrisiko für jede Schülerin und jeden Schüler ein erhöhtes ist, wenn der Präsenzunterricht in den Schulen ohne Mindestabstand von 1,5 Metern abgehalten wird, jedoch sieht die Verwaltung eine Vielzahl anderer Maß-nahmen vor, die geeignet sind, das Infektionsrisiko im Schulunterricht signifikant zu senken, und die den aktuellen Empfehlungen des Robert Koch-Instituts folgen (ins-besondere Mund-Nasen-Bedeckung zumindest außerhalb des Unterrichts, Lüften, Handhygiene). Die politische Entscheidung, im Rahmen des „Baukastens“ der verschiedenen möglichen Infektionsschutzmaßnahmen dem Baustein „Mindestabstand“ weniger Gewicht einzuräumen, hält sich im Rahmen des Einschätzungs- und Gestaltungsspielraums des Verordnungsgebers und der Verwaltung bei der Umsetzung staatlicher Schutzpflichten. Die öffentliche Gewalt kann sich nicht darauf beschränken, einen möglichst effektiven Infektionsschutz für Schülerinnen und Schüler zu gewährleisten. Vielmehr muss sie gleichzeitig dem Bildungsauftrag des Staates und dem Bildungsanspruch jedes einzelnen Kindes (Artikel 7 Abs. 1 GG, Artikel 20 Abs. 1 der Verfassung von Berlin [VvB]) hinreichend Rechnung tragen. Der Staat hat nämlich neben der Erfüllung der Schutzpflichten aus Artikel 2 Abs. 2 Satz 1 GG gleichzeitig den verfassungsrechtlichen Auftrag, Bildung und Ausbildung chancengleich zu gewährleisten. Das daraus entspringende, als soziales Grundrecht ausgestaltete „Recht auf Bildung“ muss hauptsächlich im öffentlichen Schulwesen verwirklicht werden. Ein Kernstück dessen bildet die allgemeine Schulpflicht (vgl. Maunz/Dürig/Badura, a.a.O., Art. 7 Rn. 5 m.w.N.). Der Unterricht an allgemeinbildenden Schulen kann jedoch offenkundig nur dann effektiv erfolgen, wenn er unter Berücksichtigung des Lehrplans als Präsenzunterricht erfolgt. Aufgrund personeller und sächlicher Zwänge kann dies wiederum nur gewährleistet werden, wenn der Präsenzunterricht in voller Klassenstärke stattfindet, was nur unter Verzicht auf den Mindestabstand möglich ist. ..."

 

 

HESSEN  (aktualisiert 16. August 2020)

Die Pressestelle des VGH Kassel hat mit Pressemitteilung Nr. 31/2020 vom 13.08.2020 einen Beschluss des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs (8 B 1912/20.N) mitgeteilt: Präsenzunterricht an hessischen Schulen kann wie geplant beginnen

„Mit soeben den Beteiligten bekanntgegebenem Beschluss vom heutigen Tage hat der Hessische Verwaltungsgerichtshof entschieden, dass § 3 Abs. 1 der Zweiten Verordnung der Hessischen Landesregierung zur Bekämpfung des Corona-Virus nicht außer Vollzug gesetzt wird. Ein entsprechender Eilantrag wurde als unzulässig verworfen.
Die Antragstellerin ist eine Schülerin aus Frankfurt am Main, die ab dem 17. August 2020 ein staatliches Gymnasium besuchen wird. Sie ging deshalb in einem Normenkontroll-Eilverfahren gegen die oben genannte Vorschrift vor, die in ihrer aktuellen Fassung wie folgt lautet:

㤠3
(1) In Schulen und sonstigen Ausbildungseinrichtungen nach § 33 Nr. 3 des Infektionsschutzgesetzes sind die Empfehlungen des Robert Koch-Instituts zur Hygiene zu beachten. Die Leiterin oder der Leiter kann allgemein oder für bestimmte Fallgruppen anordnen, dass außerhalb des Präsenzunterrichts im Klassen- oder Kursverband eine Mund-Nase-Bedeckung nach § 1a Satz 2 zu tragen ist. Sie oder er kann vor der Entscheidung über die Anordnung die Beratung durch den schulärztlichen Dienst nach § 1 Nr. 6 der Verordnung über die Zulassung und die Ausgestaltung von Untersuchungen und Maßnahmen der Schulgesundheitspflege vom 19. Juni 2015 (GVBl. S. 270) in der jeweils geltenden Fassung in Anspruch nehmen. § 1a Satz 3 und 4 gilt entsprechend. § 1 Abs. 1 Satz 2 der Corona-Kontakt- und Betriebsbeschränkungsverordnung vom 7. Mai 2020 (GVBl. S. 302, 315), zuletzt geändert durch Verordnung vom 20. Juli 2020 (GVBl. S. 502), findet keine Anwendung.“

Die Antragstellerin hat ihren Antrag im Wesentlichen damit begründet, die angestrebte Schulöffnung führe unstreitig zu einer Erhöhung des Infektionsrisikos. Damit verstoße die angegriffene Regelung gegen Art. 3 GG, da es nicht nachvollziehbar sei, weshalb Schüler sich im Klassenraum ohne Einhaltung eines Abstands von 1,5 m aufhalten dürften, während in nahezu allen anderen Bereichen des täglichen Lebens die Abstandsregel sowie Maskenpflicht gelte.

Der 8. Senat des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs hat den Eilantrag als unzulässig verworfen und zur Begründung ausgeführt, der Antragstellerin fehle es bereits am erforderlichen Rechtsschutzinteresse. Ein Gericht müsse nicht in eine Normprüfung eintreten, deren Ergebnis für die Antragstellerin wertlos sei. Dies sei hier der Fall, denn die Antragstellerin könne mit dem vorliegenden Verfahren keine Verbesserung ihrer Rechtsposition erreichen.

Auch bei Erfolg ihres Antrages wäre die Antragstellerin zur Teilnahme am Präsenzunterricht ohne Einhaltung der Abstandsregelung und auch ohne die Verpflichtung aller Schüler, eine Mund-Nasen-Bedeckung zu tragen, verpflichtet. Denn die in § 1 Abs. 1 Satz 2 der Corona-Kontakt-und-Betriebsbeschränkungsverordnung angeordnete Abstandsregelung gelte lediglich im öffentlichen Raum, wozu jedenfalls die Klassenräume nicht gehörten.
Die von der Antragstellerin in der Sache begehrte Einhaltung der Abstandsregel bzw. die Verpflichtung aller Schüler und Lehrer zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung auch während des Unterrichts könne sie daher durch eine Außervollzugsetzung der angegriffenen Norm nicht erreichen. Die Antragstellerin bleibe auf Grund der aus § 56 Abs. 1 und 2 HSchulG resultierenden Schulpflicht zur Teilnahme am Präsenzunterricht verpflichtet.

Der Beschluss des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs ist unanfechtbar.
Aktenzeichen: 8 B 1912/20.N“

Diesen Beitrag per E-Mail weiterempfehlenDruckversion

Hinweise zur bestehenden Moderationspraxis
Kommentar schreiben

1 Kommentar

Kommentare als Feed abonnieren

Drei Oberverwaltungsgerichte gaben schon Antworten. Nunmehr liegen zwei Entscheidungen vor, des VG Hamburg vom 6. August und des VG Berlin vom 7. August. Dies ist in ein UPDATE vom Mittwoch 12. August 2020 in den ursprünglichen Blog Beitrag eingeflossen, daher bitte scrollen.

Kommentar hinzufügen