Keine Arbeitszeitkontrolle durch Videoüberwachung

von Prof. Dr. Christian Rolfs, veröffentlicht am 31.10.2022
Rechtsgebiete: Bürgerliches RechtArbeitsrecht|2467 Aufrufe

Die Frage, wie man rechtskonform die Arbeitszeit der Arbeitnehmer aufzeichnet, wird seit dem Urteil des EuGH in Sachen CCOO (EuGH, Urt. vom 14.5.2019 - C-55/18, NZA 2019, 683) und dem noch nicht veröffentlichten Beschluss des Ersten Senats des BAG vom 13.9.2022 (1 ABR 22/21) viel diskutiert.

Das LAG Niedersachsen hatte jetzt in einem Kündigungsrechtsstreit darüber zu entscheiden, ob die Arbeitgeberin zum Nachweis (nicht geleisteter) Arbeitszeit auf Videoaufnahmen zurückgreifen darf, die beim Betreten und Verlassen des Werksgeländes am Eingangstor gemacht werden. Über ihr internes Whistleblower-Meldesystem hatte sie die Nachricht erhalten, dass mehrere Arbeitnehmer aus der Gießerei des Unternehmens regelmäßig Arbeitszeitbetrug begingen. Die Arbeitgeberin meint, mit Hilfe der Videoaufzeichnungen nachweisen zu können, dass der Kläger den Betrieb später als eingestempelt betreten bzw. früher als ausgestempelt verlassen hat. Die Kündigungsschutzklage war erst- wie zweitinstanzlich erfolgreich:

1. Verpflichtet sich der Arbeitgeber in einer Betriebsvereinbarung, eine personenbezogene Auswertung von Daten, die er durch den Einsatz von Kartenlesegeräten gewonnen hat, nicht vorzunehmen, kann sich auch der einzelne Arbeitnehmer darauf berufen.

2. Erklärt der Arbeitgeber in einem Betriebskonzept oder auf einer Beschilderung einer Videoüberwachungsanlage, die hieraus gewonnenen Daten nur 96 Stunden lang aufzubewahren, kann ein Arbeitnehmer hierauf die berechtigte Privatheitserwartung stützen, dass der Arbeitgeber nur auf Videodateien Zugriff nehmen wird, die - bei erstmaliger Sichtung - nicht älter als 96 Stunden sind.

3. Zur Kontrolle geleisteter Arbeitszeiten ist eine Videoüberwachungsanlage an den Eingangstoren eines Betriebsgeländes in der Regel weder geeignet noch erforderlich.

4. Der - erstmalige - Zugriff auf Videoaufzeichnungen, die mehr als ein Jahr zurückliegen, ist zum Zwecke der Aufdeckung eines behaupteten Arbeitszeitbetruges regelmäßig nicht angemessen. Solche Daten unterliegen im Kündigungsschutzprozess einem Beweisverwertungsverbot.

Die Revision wurde zugelassen.

LAG Niedersachsen, Urt. vom 6.7.2022 - 8 Sa 1148/20, BeckRS 2022, 26626

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