Zeitenwende: Verkauf von Betäubungsmitteln nur noch Besitz und kein Handeltreiben mehr?

von Dr. Jörn Patzak, veröffentlicht am 04.03.2023
Rechtsgebiete: StrafrechtBetäubungsmittelrecht1|3117 Aufrufe

Das Landgericht Stuttgart hat einen Drogendealer, der in sieben Fällen erhebliche Mengen an Marihuana oder Kokain angekauft und anschließend vollständig gewinnbringend weiterverkauft hat, jeweils wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge gem. § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt.

Ist der Verkauf von Betäubungsmitteln also kein Handeltreiben mehr wie bisher? Ist das möglicherweise eine Zeitenwende im Zusammenhang mit den Diskussionen um die Cannabislegalisierung?

Wohl nicht, es scheint sich offensichtlich vielmehr um ein Versehen der Strafkammer zu handeln, welches der 1. Strafsenat des BGH mit Beschluss vom 14.12.2022 umgehend korrigierte (BGH Beschl. v. 14.12.2022 – 1 StR 371/22, BeckRS 2022, 42377):

2. a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist der Begriff des Handeltreibens im Sinne von § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG weit auszulegen. Darunter fällt jede eigennützige, auf den Umsatz von Betäubungsmitteln gerichtete Tätigkeit, selbst wenn es sich nur um eine gelegentliche, einmalige oder auch nur vermittelnde Tätigkeit handelt (BGH, Beschluss vom 26. Oktober 2005 - GSSt 1/05, BGHSt 50, 252, 256, 262). Dabei ist es rechtlich unerheblich, ob es zu Umsatzgeschäften tatsächlich gekommen ist (vgl. BGH, Urteile vom 15. April 1980 - 5 StR 135/80, BGHSt 29, 239, 240 und vom 20. Januar 1982 - 2 StR 593/81, BGHSt 30, 359, 361; Beschluss vom 8. Juni 2022 - 5 StR 168/22 Rn. 6). Schon das Führen ernsthafter Verkaufsverhandlungen reicht sowohl für den Verkäufer als auch für den Käufer grundsätzlich zur Annahme eines vollendeten Handeltreibens aus (vgl. BGH, Beschlüsse vom 17. Juni 2020 - 1 StR 110/20 Rn. 9 und vom 7. Juli 2006 - 2 StR 184/06 Rn. 5).

b) Hieran gemessen hat der Angeklagte in sämtlichen im Urteil festgestellten Fällen Handel mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge getrieben; mit dem An- und Weiterverkauf der Betäubungsmittel hat er alle denkbaren - und jeweils bereits für sich allein zur Tatbestandsverwirklichung ausreichenden - Handelsstufen verwirklicht. Der Senat ändert deshalb in analoger Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO den Schuldspruch wie aus der Beschlussformel ersichtlich ab.

c) Das Verschlechterungsverbot des § 358 StPO hindert die Verschärfung des Schuldspruchs nicht (vgl. BGH, Urteil vom 10. April 1990 - 1 StR 9/90, BGHSt 37, 5, 8 f.; zur verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit s. BVerfG, Beschluss vom 1. März 2000 - 2 BvR 2049/99 Rn. 3).

Auch § 265 StPO steht nicht entgegen, weil sich der Angeklagte nicht wirksamer als geschehen hätte verteidigen können.

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