Einführung der elektronischen Patientenakte – „forscher Paternalismus“?

von Dr. Axel Spies, veröffentlicht am 10.03.2023

Am 9.3.23 hat Bundesgesundheitsminister Lauterbach seine Vorschläge zur Einführung einer elektronischen Patientenakte (ePA) vorgestellt. Bis zum Jahr 2025 sollen 80 % der gesetzlich Versicherten in D. über eine solche ePA verfügen.

Wie kommen wir dahin?

Das ambitionierte Ziel:

  • Bis Ende 2024 wird die ePA für alle gesetzlich Versicherten standardmäßig eingerichtet – mit der Möglichkeit zum Opt-out für die Betroffenen.
  • Bewerkstelligen soll das alles die Gesellschaft für Telematik (gematik GmbH), die zu 100% in Trägerschaft des Bundes übergehen und zu einer Digitalagentur weiterentwickelt werden soll.
  • Ein Ausschuss aus BfDI, BSI, Medizin und Ethik soll die Digitalagentur gematik bezüglich Datenschutz, Datensicherheit und Datennutzung beraten.

Wer hat dann auf die ePA Zugriff?

Nutznießer sind vor allem die Patienten und die behandelnden Ärzte. Daneben schlägt Minister Lauterbach auch ein Gesundheitsdatennutzungsgesetz vor. Ein Kernpunkt: eine Datenzugangs- und Koordinierungsstelle soll den Zugang zu Forschungsdaten aus verschiedenen Quellen zu ermöglichen. Die federführende Datenschutzaufsicht im Gesundheitswesen soll bei einem Landesdatenschutzbeauftragten gebündelt werden.

Kritiker: „Meine Gesundheitsdaten gehören mir.“

In einem Meinungsbeitrag für die Tagesthemen hat eine Fernsehjournalistin die Lauterbach-Vorschläge harsch kritisiert. Sie wirft ihm insbesondere vor, dass er die Bürger „gar nicht mehr mitentscheiden lassen“ möchte und stellt sich gegen die Opt-out Lösung. Wie die Ausübung dieser Option funktioniere, sei ohnehin unklar. Das ganze Projekt sei „forscher Paternalismus“. Der Bundesdatenschutzbeauftragte hatte in einem früheren Interview (Dezember 2022) sich kritisch zu der Widerspruchslösung und behauptete: „So schafft man kein Vertrauen“.

Wie sieht es mit er bei unseren europäischen Nachbarn aus?

In Estland gibt es bereits einen nationalen e-Health Record, in dem die Daten aller Gesundheitsdienstleister für die Patienten gebündelt werden. Weiter gehen Finnland und Frankreich, denn dort wird nicht nur die ePA für alle Bürgerinnen und Bürger eingerichtet, sondern auch die Verarbeitung der Daten zu Forschungszwecken ist als Opt-out Lösung ausgestaltet.

Vorbild „Datenspende“?

Dass die Verfügbarkeit von Gesundheitsdaten für die Forschung eine zentrale Rolle spielt, konnte man zum Beispiel auch an der Initiative „Datenspende“ beobachten, die während der Corona-Pandemie vom Robert Koch Institut ins Leben gerufen wurde. Aber auch in der Krebsforschung ist es ein großer Vorteil, die Genom-Daten der Krebszellen mit gewissen Patienteninformationen abgleichen zu können. Dadurch können zum Beispiel passgenaue Immuntherapien entwickelt werden.

Und in den USA?

Auch in den USA gibt es diverse teure Bemühungen, den Austausch und die Nutzung von elektronischen Gesundheitsdaten zu verbessern. Im Rahmen des electronic health information exchange zur Electronic Health Record (EHR) wird es Ärzten, Apothekern, Pflegeheimen anderen Gesundheitsdienstleistern und natürlich den Patienten ermöglicht, auf medizinische Informationen elektronisch zuzugreifen und diese sicher auszutauschen. Allerdings: Zur Zeit gibt es wohl hunderte solcher kaum kompatiblen EHR-Systeme (siehe Übersicht hier).

Der Austausch von Gesundheitsdaten zu Forschungszwecken ist in den USA durch den Health Insurance Portability and Accountability Act (HIPAA) geregelt. Infolgedessen gibt es viele Anbieter, die ihre eigenen Datenbestände aufbauen und diese für klinische Forschungen gegen Entgelt zur Verfügung stellen. Hierbei stellen sich aber die Probleme nicht aus datenschutzrechtlicher Sicht, sondern es hapert daran, alle Datenquellen miteinander zu verknüpfen. Hier einige Beispiele für sog. US data repositories:

Ein warnendes Beispiel für Herrn Lauterbach ist Medicaid (die riesige US-Versicherung für Geringverdiener und Menschen mit Behinderungen) mit leicht unterschiedlichen Regeln je nach Staat. Dessen von TMSIS digital verwaltete Daten sind sehr heterogen, und die Bemühungen zur Harmonisierung der Daten aus allen Bundesstaaten dauern seit Jahren an. Manche Datenbanken enthalten claims data, andere Diagnosedaten (als real time data exchanges). Der Staat Oklahoma ist für seinen fortschrittlichen Gesundheitsinformationsaustausch (HIE) bekannt, obwohl das HIE bislang nur einen Bruchteil dessen leistet, was angepriesen wird. Ein weiteres Problem hier wie überall: Online gespeicherte Gentests tragen das Risiko in sich, dass evtl. die Versicherungsgesellschaft die Ergebnisse herausfindet und die Prämien ändert.

Wie geht es in Deutschland weiter?

Es bleibt daher abzuwarten, ob am Ende die Vorteile des Datenaustausches in der öffentlichen Wahrnehmung überwiegen. So oder so: Die Umsetzung ist eine Herkulesaufgabe: Was meinen Sie?

Schafft es Bundesgesundheitsminister Lauterbach bis Ende 2024 wirklich, die verschiedenen Datensilos zusammenzuführen und zu einer nutzbaren Quelle zu vereinen?

Wenn ja, wird es dann ein massenweises Opt-out geben?

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3 Kommentare

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Was hat Herr Lauterbach da geraucht? Das klappt doch nie. Und dann will er noch eine Verknüpfung  mit den Daten der staatlichen Gesundheitsbehörden - Überwachung der Sterblichkeit, der  rankheitsausbrüche, der Impfungen usw.  aber diese Systeme sind im Allgemeinen eh nicht miteinander verbunden.

Aber natürlich muss ein neues Gesetz herbei: das Gesundheitsdatennutzungsgesetz.  Diskuiert die famose BuReg in Brüssel nicht zur Zeit den Data Act mit quasi demselben Ziel? 

Und wenn die ePA dann zum ersten Mal geknackt wird, herrscht Heulen und Zähneknischen.

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Hier noch ein paar Einzelheiten zum Gesundheitsdatennutzungsgesetz auf der Webseite von Herrn Lauterbachs Ministerium - was halten Sie davon?

  • "Eine zentrale Datenzugangs- und Koordinierungsstelle wird aufgebaut, die den Zugang zu Forschungsdaten aus verschiedenen Quellen (z.B. Krebsregister, Krankenkassendaten) ermöglicht. Die Verknüpfung unterschiedlicher Datenquellen wird über Forschungspseudonyme ermöglicht. Die Daten bleiben dezentral gespeichert.
  • Die federführende Datenschutzaufsicht für bundesländerübergreifende Forschungsvorhaben wird auf alle Gesundheitsdaten erweitert. D.h.: Die datenschutzrechtliche Aufsicht für länderübergreifende Forschungsvorhaben im Gesundheitswesen erfolgt dann nur noch durch eine/n Landesdatenschutzbeauftragte/n.
  • Das Forschungsdatenzentrum Gesundheit (FDZ) beim BfArM wird weiterentwickelt: Künftig soll auch die forschende Industrie dort Anträge auf Datenzugang stellen können. Entscheidend für die Anfragen ist der Nutzungszweck, nicht der Absender.
  • Die Datenfreigabe aus der elektronischen Patientenakte (ePA) wird vereinfacht, kann nutzerfreundlich in der ePA-App gesteuert werden (Opt-Out). Pseudonymisierte ePA-Daten sollen künftig zu Forschungszwecken automatisch über das FDZ abrufbar sein."

Au weia: "....kann nutzerfreundlich in der ePA-App gesteuert werden..." - Die Corona App hat uns allen gezeigt wie "toll" das funktioniert.

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