Bahn scheitert erneut beim Hessischen LAG

von Prof. Dr. Markus Stoffels, veröffentlicht am 13.03.2024
Rechtsgebiete: Bürgerliches RechtArbeitsrecht1|1300 Aufrufe

Die GDL verschärft die Gangart in der aktuellen Tarifauseinandersetzung. GDL-Chef Claus Weselsky kündigte Anfang der Woche „Wellenstreiks“ an, also an- und abschwellende Streiks. Laut GDL werde sie nicht mehr 48 Stunden vorab über ihre Streiks informieren. Dies wurde am 11. bis 13.3.2024 auch gleich in die Tat umgesetzt. Und wiederum blieb das Ersuchen der Bahn um einstweiligen Rechtsschutz ohne Erfolg. Das Hessische LAG (Urteil vom 12. März 2024 - 10 GLa 229/24) hat die Berufung des Arbeitgeberverbandes der Deutsche Bahn-Unternehmen (AGV MOVE) gegen das Urteil des ArbG Frankfurt am Main vom Vortag zurückgewiesen. Der Eilantrag der Arbeitgeberseite auf Untersagung des Streiks bleibt damit auch in zweiter (und letzter) Instanz ohne Erfolg.

Der Vorsitzende Richter Dr. Michael Horcher führte zur Begründung der Entscheidung der Kammer aus, dass der Streik insbesondere nicht deshalb rechtswidrig sei, weil damit tariflich nicht regelbare Ziele verfolgt würden. Hierzu könne nicht darauf abgestellt werden, dass die GDL Forderungen - wie etwa eine Abbedingung des Grundsatzes der Tarifeinheit - aufgestellt habe, die nicht als zulässiges Streikziel erachtet werden könnten. Insoweit sei grundsätzlich auf den Streikbeschluss der gewerkschaftlichen Gremien abzustellen. Wegen des Selbstbestimmungsrechts der Gewerkschaft könnten Umstände, die in der sog. Verhandlungsphase zeitlich davor lägen, nicht berücksichtigt werden. Der Streik sei auch verhältnismäßig. Die Gerichte seien grundsätzlich nicht befugt, neue, das Arbeitskampfrecht bzw. die verfassungsrechtlich garantierte Tarifautonomie (Art. 9 Abs. 3 GG) einschränkende Regelungen zu erlassen, wenn und soweit der Gesetzgeber sich für ein Modell des freien Spiels der Kräfte entschieden habe. Eine Ankündigungsfrist von 22 Stunden im Güterverkehr und 30 Stunden im Personenverkehr hielt das Gericht noch für angemessen. Horcher regte den Gang in eine formale Schlichtung an und appellierte an die Kompromissfähigkeit beider Parteien.

Was die Ankündigungsfrist angeht, kann sich das LAG Hessen auf die ganz h.M. im Schrifttum (z.B. Jacobs, in: Frieling/Jacobs/Kroiß, Arbeitskampfrecht, 2021, § 4 Rn. 183 m.w.N.) stützen, die in der Einhaltung von Ankündigungsfristen keine Rechtmäßigkeitsvoraussetzung sieht, da das Streikrecht der Gewerkschaften auch das Recht umfasst, frei über ihre Streiktaktik zu entscheiden. Allenfalls „überfallartige Kampfaktionen“ werden mitunter als unverhältnismäßig bezeichnet (Greiner, Das arbeitskampfrechtliche Verhältnismäßigkeitsprinzip, 2018, S. 116). Davon wird man im Hinblick auf immerhin 22 Stunden zuvor angekündigte Streikmaßnahmen nicht sprechen können.

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Man kann diese vorsintflutlichen Verhältnisse im Streikrecht doch nicht einfach so achselzuckend hinnehmen, wie der Autor es tut. Das „Streikrecht“, wie es einmal vor 100 Jahren im Verhältnis des „Kapitalisten“ zum „Proletarier“ angemessen gewesen sein mag, passt nicht mehr in unsere durch Daseinsvorsorge und Vernetzung geprägte Zeit. Es darf nicht nicht sein, dass ein ganz kleiner Berufsstand ein ganzes Land in Geiselhaft nimmt, weil er als ganz kleines, dummes Rädchen trotzdem das große Ganze zum Erliegen bringen kann.

Stefan Greiner, Bonn, kann das offenbar nicht mehr ganz so achselzuckend hinnehmen, wie der Autor, und fordert heute in der FAZ zu Recht ein zeitgemäßes Streikrecht durch den Gesetzgeber, appeliert aber auch an die Gerichte, eine neue „Verhältnismäßigkeitsbetrachtung“ anzuwenden. Es wird alles Sozialschädliche verboten und geregelt, das muss auch für das Streikrecht gelten. Der Gesetzgeber ist verfassungsrechtlich dazu bestimmt, die wesentlichen Fragen über Wohl und Wehe unseres Gemeinwesens selbst in einer für alle angemessenen Weise zu regeln und darf das nicht demokratisch nicht legitimierten Lobbygruppen, die in RAF-Maier uns alle zu Geiseln nehmen, überlassen. Und bis dahin, sind der Gerichte aufgerufen, die Verhältnismäßigkeit neu zu denken.

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