BVerfG und Online-Durchsuchung
Gespeichert von Prof. Dr. Thomas Hoeren am
Das Bundesverfassungsgericht hatte sich in seiner Entscheidung vom 27. Februar 2008 (Aktenzeichen: 1 BvR 370/07; 1 BvR 595/07) mit einer Verfassungsbeschwerde auseinanderzusetzen, die sich gegen die Rechtmäßigkeit von Normen des Verfassungsschutzgesetzes Nordrhein-Westfalen wandte.
Gegenstand der Entscheidung waren § 5 Abs.2 Nr.11 i.V.m. § 7 Abs.1, § 5 Abs.3, § 5a Abs.1 und § 13 des Gesetzes über den Verfassungsschutz in Nordrhein-Westfalen, die unter anderem den heimlichen Zugriff auf informationstechnische Systeme ermöglichen sollten.
Das BVerfG erklärte diese Normen für verfassungswidrig und nichtig.
Voraussetzungen für eine rechtmäßige heimliche Durchsuchung informationstechnischer SystemeZudem konkretisierte das BVerfG die Voraussetzungen, die für die Verfassungsmäßigkeit einer heimlichen Infiltration eines informationstechnischen Systems, mittels derer die Nutzung des Systems überwacht und seine Speichermedien ausgelesen werden können, vorliegen müssen.
So sei es für die verfassungsrechtliche Zulässigkeit solcher Maßnahmen notwendig, dass „tatsächliche Anhaltspunkte einer konkreten Gefahr für ein überragend wichtiges Rechtsgut bestehen“. Zu solchen Rechtsgütern zählte das BVerfG „Leib, Leben und Freiheit der Person oder solche Güter der Allgemeinheit, deren Bedrohung die Grundlagen oder den Bestand des Staates oder die Grundlagen der Existenz der Menschen berührt“. Die Maßnahme kann schon dann rechtmäßig sein, wenn sich zwar noch nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit feststellen lässt, dass die Gefahr in näherer Zukunft auch tatsächlich eintritt, sofern lediglich „bestimmte Tatsachen auf eine im Einzelfall durch bestimmte Personen drohende Gefahr für das überragend wichtige Rechtsgut hinweisen“. Ferner müssen geeignete gesetzliche Vorkehrungen mit der Ermächtigung verbunden werden, um dadurch die Interessen des Betroffenen verfahrensrechtlich abzusichern. Insbesondere sei die heimliche Infiltration eines informationstechnischen Systems grundsätzlich unter den Vorbehalt richterlicher Anordnung zu stellen. Die gesetzliche Grundlage, die zu einem solchen Eingriff ermächtigt, müsse zudem Vorkehrungen enthalten, um den Kernbereich privater Lebensgestaltung zu schützen.
Das BVerfG sah diese Voraussetzungen bei den untersuchten Normen für nicht vollständig erfüllt an.
Das Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer SystemeDiese strengen Voraussetzungen seien gerechtfertigt, da die heimliche Infiltration einen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art.2 Abs.1 i.V.m. Art.1 Abs.1 GG) darstelle. Das BVerfG entwickelte hierzu das Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme, das als Teil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts verfassungsrechtlichen Rang genieße.
Hingegen sei ein Eingriff allein an Art.10 Abs.1 GG zu messen, „soweit sich eine Ermächtigung auf eine staatliche Maßnahme beschränkt, durch welche die Inhalte und Umstände der laufenden Telekommunikation im Rechnernetz erhoben oder darauf bezogene Daten ausgewertet werden“. Der Schutz aus Art.10 Abs.1 GG ende jedoch dort, wo der Kommunikationsvorgang abgeschlossen sei. Die Garantie der Unverletzlichkeit der Wohnung aus Art.13 Abs.1 GG könne gewissen Schutzlücken auch nicht schließen, da ein Eingriff unabhängig vom Standort erfolgen könne, so dass ein raumbezogener Schutz nicht in der Lage sei, „die spezifische Gefährdung des informationstechnischen Systems abzuwehren“. Auch das Recht auf informationelle Selbstbestimmung sowie die bisher anerkannten Ausprägungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts reichten nach Ansicht des BVerfG nicht aus, den möglichen Persönlichkeitsgefährdungen wirksam zu begegnen. Diese Schutzlücken schloss das BVerfG durch das Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme. Eingriffe in dieses Grundrecht können nach Ansicht des BVerfG grundsätzlich sowohl zu präventiven Zwecken als auch zur Strafverfolgung gerechtfertigt sein, sofern sie auf einer verfassungsmäßigen gesetzlichen Grundlage beruhen.
Folgen des UrteilsNeben der Nichtigkeit einiger Normen des konkret untersuchten Verfassungsschutzgesetzes hat das Urteil auch erhebliche Auswirkungen auf künftige Gesetzesvorhaben. So hat das BVerfG durch sein Urteil sehr klar umgrenzt, welche Maßnahmen unter welchen Voraussetzungen grundsätzlich gerechtfertigt sein könnten. Diese Maßgaben wird der Gesetzgeber etwa bei der Ausgestaltung des BKA-Gesetzes zu berücksichtigen haben, um die Verfassungsmäßigkeit solcher Überwachungsmaßnahmen zu gewähren.