Klarnamenpflicht (Facebook) – DSGVO „schlägt“ TMG – AGBs und Grundrechte II
Gespeichert von Prof. Dr. Katrin Blasek, LL.M. am
Das OLG München (v. 08.12.2020 – 18 U 5493/19 Pre) hat sich intensiv mit der Klarnamenpflicht nach § 13 VI TMG von social-media-Betreibern (hier facebook) auseinandergesetzt.
Wieder einmal scheint das Vertragsrecht eine (auch präventive) wirksame Waffe gegen rechtswidrige Äußerungen von Nutzern zu sein.
In diesem Zusammenhang verweise ich vorab auch auf meinen Beitrag von gestern (https://community.beck.de/2020/12/21/hasskommentare-auf-plattformen-zur-rolle-von-agbs-und-grundrechten) und den sehr instruktiven Blogbeitrag der Kollegin Dr. Kaufhold zu „Anonymität, Klarnamenpflicht und Meinungsvielfalt im Internet“ https://community.beck.de/2019/07/30/anonymitaet-klarnamenpflicht-und-meinungsvielfalt-im-internet-alles-eine-frage-der-vertragsfreiheit
Wir werden sehen, ob das Urteil bestand hat. Das OLG bezieht sich diverse Male auf die Rechtsprechung des BGH und BVerfG, wonach dem „Internet eine anonyme Nutzung immanent“ (Rdn. 61, 67) sei. Es kommt dann aber mit einer Mischung aus unionsrechtskonformer Auslegung, „verkehrsüblicher Gestaltung von Plattformen“ dominierender Beitreiber und ihrer „Klarnamenpolitik“ und der Möglichkeit des Ausweichens auf andere (anonym nutzbare) Plattformen zum Ergebnis, dass die Klarnamenpflicht aufgrund von Nutzungsbedingungen in Ordnung geht. Das OLG hat die Revision zugelassen.
What happened?
Die Klägerin (Nutzerin/User) macht gegen die Beklagte (facebook) Ansprüche auf Freischaltung ihres unter dem Pseudonym „… angelegten Nutzerkontos auf der von der Beklagten betriebenen Plattform geltend. Das Nutzerkonto der Klägerin wurde von der Beklagten gesperrt, nachdem die Klägerin der Aufforderung der Beklagten, ihren Profilnamen zu ändern, nicht nachgekommen war. Die Klägerin hatte zuvor Nutzungsbedingungen zugestimmt, wonach facebook-Nutzer ihre wahren Namen und Daten angeben müssten.
Grobe Argumentationslinien:
User: Ohne anonyme oder pseudonyme Nutzung keine Meinungsfreiheit und informationelle Selbstbestimmung (sog. Hemmungseffekt); § 13 VI TMG beinhaltet Anspruch auf anonyme oder pseudonyme Nutzung;
Facebook: § 13 VI TMG ist durch die DSGVO überholt
Das OLG München urteilt (im Gegensatz zur Vorinstanz),
dass die o.g. Nutzungsbedingungen keine unangemessene Benachteiligung (§ 307 II BGB) des Klägers sind:
- § 13 VI TMG ist eine „gesetzliche Regelung“ iSv. § 307 II Nr. 1 BGB. Eine Unterscheidung zwischen „datenschutzrechtlichen und vertraglichen Gesetzesbestimmungen“ sei aufgrund der getroffenen Rechtswahl und vereinbarten Nutzungsbedingungen nicht statthaft (Rdn. 44)
- § 13 VI TMG ist als datenschutzrechtliche Norm zu qualifizieren, die im Konflikt mit der in dieser Frage abschließenden DSGVO steht, die keine anonyme oder pseudonyme Nutzung von Telemedien vorschreibt. (Rdn. 48, 52, 56)
- Der Konflikt wird über die unionsrechtskonforme Auslegung von § 13 VI TMG gelöst und zwar über das Merkmal der Zumutbarkeit, wobei im Rahmen einer Verhältnismäßigkeitsprüfung die Interessen der Beteiligten abzuwägen sind (Rdn. 58).
- Die Abwägung fällt zugunsten von facebook aus, da sich das Interesse von facebook nicht allein auf die leichtere Identifizierbarkeit beschränkt sondern auch präventiv geeignet ist, Nutzer von rechtswidrigem Verhalten abzuhalten. (Rdn. 60)
Ähnlich wie bei der oben genannten Entscheidung zu Hasskommentaren führt die starke Stellung von facebook nicht zur Verneinung der Verhältnismäßigkeit, denn es gibt noch andere soziale Netzwerke, die keine offene Kommunikation verlangen, z.B. Instagram – auch facebook Unternehmensgruppe (Rdn. 61)
- Die Nutzungsbedingungen verstoßen auch nicht gegen § 307 II Nr. 2 BGB (Gefährdung der Erreichung des Vertragszwecks). Der Nutzungsvertrag sui generis räume dem User die kostenlose Nutzung der angebotenen Dienste ein. Demgegenüber räumt der User facebook nicht-exklusive, übertragbare, unterlizensierbare und weltweite Lizenz für eine Nutzung jedweder geposteter IP-Inhalte ein. (Rdn. 66)
„Dem Internet ist zwar nach der bereits mehrfach zitierten höchstrichterlichen Rechtsprechung eine anonyme Nutzung grundsätzlich immanent (BGH, Urteil vom 23.06.2009 - VI ZR 196/08, BGHZ 181, 328, juris Rn. 38). Aufgrund der dominierenden Stellung der Beklagten als Betreiberin von „Facebook“, der mit Abstand größten Social-Media-Plattform, wird die verkehrsübliche Gestaltung solcher Plattformen allerdings auch durch die von der Beklagten auf dieser Plattform verfolgte Klarnamenpolitik geprägt. Die Inanspruchnahme der von der Beklagten angebotenen spezifischen „Facebook“-Dienste ist auch nicht nur unter Verwendung eines Pseudonyms sinnvoll möglich. Bei der Prüfung der Frage, ob die verkehrsübliche Gestaltung mit den Grundwerten der Rechtsordnung im Einklang steht, sind wiederum die Vorgaben der unmittelbar geltenden Datenschutzgrundverordnung zu berücksichtigen, die gerade keine Verpflichtung des Diensteanbieters zur Ermöglichung der pseudonymen Nutzung von Telemedien kennt.“ (Rdn. 67 ff.)