„Hau ab, oder ich schlag Dir die Fresse ein!” - Keine Nötigung?!

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 29.09.2011
Rechtsgebiete: NötigungStrafrechtVerkehrsrecht1|4267 Aufrufe

„Der Angeklagte war früher Mitglied der ... Da er schon Erfahrung mit der Anmeldung und Durchführung von Infoständen hat, meldete er für den Kreisverbandsvorsitzenden, den Zeugen L., einen Infostand der ... an, der am 4. Oktober 2008 in der B-straße in M. aufgestellt wurde. Auch der Angeklagte, als der für diesen Stand Verantwortliche, war - mit anderen Personen - an diesem Tag von etwa 9.15 Uhr bis zum Ende gegen 13.30 Uhr vor Ort.

Gegen 10.00 Uhr besprach der Zeuge PK Sch. mit dem Angeklagten verschiedene Dinge wie Verhaltensregeln und Einhaltung der räumlichen Grenzen. In unmittelbarer Nähe des Standes war ein Plakat aufgestellt, welches ein Minarett und Frauen mit Kopftüchern zeigte, welche große Plastiktüten in den Händen tragen. Das Plakat war mit den Worten „Gute Heimreise jetzt ...“ überschrieben. Da der Zeuge Sch. der Meinung war, dass dieses Plakat den Tatbestand der Volksverhetzung erfüllen könnte, forderte er den Angeklagten auf, das Plakat zu entfernen. Der Angeklagte war hierzu nicht bereit, da er der Ansicht war, das Plakat sei rechtens und schon mehrfach von der Justiz überprüft worden. Nach einiger Zeit verließ der Zeuge Sch. schließlich den Infostand der ..., um in der nahe gelegenen Polizeidienststelle zu prüfen, ob das Plakat beschlagnahmt werden könne. Als er sich entfernte, nahm der Zeuge Sch. noch wahr, dass der Zeuge M. sich dem Infostand näherte und zwischen diesem und dem Angeklagten eine Diskussion begann, ohne dass der Zeuge Sch. deren Inhalt noch mitbekommen hätte.

Der Zeuge M., der viel für ausländische Jugendliche tut, ärgerte sich über das oben beschriebene Plakat und forderte den Angeklagten auf, das Plakat wegzunehmen. Sinngemäß äußerte er in diesem Zusammenhang auch, M. sei eine ausländerfreundliche Stadt und habe deshalb sogar eine Auszeichnung bekommen. Nach der Forderung des Zeugen M., das Plakat wegzunehmen, entfernte sich der Zeuge Z., der den Zeugen M. kurz zuvor getroffen hatte, schnell von dem Infostand, da er befürchtete, dass die Betreiber des Standes aggressiv reagieren könnten; den weiteren Verlauf der Auseinandersetzung bekam er deshalb nicht mit.

Der Angeklagte lehnte auch jetzt ab, das Plakat wegzunehmen und forderte den Zeugen M. auf, zu gehen und den Stand zu verlassen. Dem kam der Zeuge M. nicht nach, der immer wieder die Entfernung des Plakats forderte, eine lautstarke Diskussion mit dem Angeklagten begann und der mehrfachen Aufforderung durch den Angeklagten, zu gehen und den Stand zu verlassen, nicht nachkam. Um den Zeugen M. endlich loszuwerden, sagte der Angeklagte schließlich zu ihm „Hau ab oder ich schlage dir die Fresse ein“. Hiermit wollte er den Zeugen M. dazu bringen, dass dieser die Diskussion beenden und den Infostand der ... verlassen solle. Der Zeuge M., dem es immer noch um die Entfernung des Plakats ging, hielt es in diesem Moment für ratsam, den Infostand tatsächlich zu verlassen, auch um sicher zu gehen, dass der Angeklagte seine Drohung nicht in die Tat umsetzen würde.

 

 

 

AG und LG hatten wegen Nötigung verurteilt - das OLG hob die Verurteilung auf:

 

Anders als im Fall des seinerzeit aufgehobenen Berufungsurteils vom 2. Juli 2010 sind die Feststellungen des Landgerichts zur Verwirklichung des Nötigungstatbestandes zum Nachteil des Zeugen M. hier nicht zu beanstanden. Das Urteil erweist sich indes gleichwohl als lückenhaft, weil das Landgericht es an der besonderen Prüfung der Rechtswidrigkeit im Sinne des § 240 Abs. 2 StGB hat fehlen lassen. Nach dieser Vorschrift ist die Tat (nur) rechtswidrig, wenn die Anwendung der Gewalt oder die Androhung des Übels zu dem angestrebten Zweck als verwerflich anzusehen ist. Aus dieser besonderen Regelung folgt, dass die Rechtswidrigkeit der Nötigung stets ausdrücklich zu prüfen und die Verwerflichkeit der Nötigungshandlung festzustellen ist (vgl. OLG Zweibrücken, Beschluss vom 25. Mai 1992 - 1 Ss 85/92 - Juris). Denn angesichts der außerordentlichen Weite und Ungenauigkeit des Nötigungstatbestandes nach § 240 Abs. 1 StGB bedarf es dieses - verfassungsrechtlich gebotenen - Korrektivs, um ein tatbestandsmäßiges Verhalten nicht nur als sittlich zu missbilligendes und im sozialethischen Sinne als anstößig anzusehendes Tun, sondern zugleich als gesteigertes sozial unerträgliches strafwürdiges kriminelles Unrecht einzustufen (vgl. BayObLG in NJW 1989, 1621; Träger/Altvater in Leipziger Kommentar, StGB, 11. Aufl., § 240 Rdnr. 75 und 87; Fischer, StGB, 58. Aufl., § 240 Rdnr. 40; BVerG in NJW 1993, 1519; Gropp/Sinn in Münchener Kommentar, StGB, § 240 Rdnr. 113 und 122; Eser/Eisele in Schönke/Schröder, StGB, 28. Aufl., § 240 Rdnr. 15; BGH in VRS 40, 103, 107).

Dass eine Drohung, d. h. das Inaussichtstellen eines empfindlichen Übels, für sich allein genommen noch keine unrechtsindizierende Funktion haben kann, liegt auf der Hand. Denn das Ausüben offenen oder verdeckten Drucks ist so sehr Bestandteil zwischenmenschlicher Kommunikation, dass es als (beinahe) sozial übliches Verhalten nicht Indikator des Unrechts sein kann. Auch die - wie hier - ausgesprochene bloße Drohung mit einer Straftat indiziert das Unrecht deshalb nicht ohne weiteres (vgl. Träger/Altvater, a. a. O., Rdnr. 77). Vielmehr bedarf es zur Lösung des in § 240 Abs. 2 StGB angesprochenen Rechtsgüterkonflikts einer einzelfallbezogenen umfassenden Abwägung, in welche alle für die Mittel-Zweck-Relation wesentlichen Umstände und Beziehungen und die auf dem Spiel stehenden Rechte, Güter und Interessen nach ihrem Gewicht in der sie betreffenden konkreten Situation einzubeziehen sind (vgl. BVerfG in NJW 2002, 1031, 1033; Eser/Eisele, a. a. O., Rdnr. 17; Gropp/Sinn, a. a. O., Rdnr. 122).

Nach diesen Kriterien boten die Urteilsgründe hinreichend Anlass, sich mit der Vorschrift des § 240 Abs. 2 StGB, auf die das Landgericht an keiner Stelle eingegangen ist, auseinanderzusetzen und die Verwerflichkeit der Handlungsweise des Angeklagten zumindest einer eingehenden Nachprüfung zu unterziehen (vgl. OLG Zweibrücken, a. a. O.).

So war es zu der verbalen Auseinandersetzung zwischen dem Angeklagten und dem Zeugen M. und der inkriminierten Äußerung erst gekommen, nachdem der Zeuge den Angeklagten immer wieder aufgefordert hatte, das in unmittelbarer Nähe des Infostandes der ... - offenkundig als Mittel der politischen Auseinandersetzung - aufgestellte Plakat zu entfernen. Hierzu war der Angeklagte indes nicht bereit, da er den Inhalt des Plakats „für rechtens“ hielt und deshalb aus seiner Sicht keinen Grund zu der geforderten Entfernung sah. Beide von ihrem Naturell her dazu neigende Kontrahenten verwickelten sich darüber in eine lautstarke und aufgeregte Diskussion, in deren Verlauf keiner der beiden von seinem Standpunkt abrückte. Mehrfachen Aufforderungen des Angeklagten zum Verlassen des Standes kam der Zeuge nicht nach. Um ihn „endlich loszuwerden“ und dazu zu bringen, die über mehrere Minuten geführte Auseinandersetzung und das damit verbundene Aufsehen zu beenden, wusste der der weiteren Diskussion „überdrüssige“ Angeklagte sich „offenkundig nicht anders zu helfen“, als dem „nicht zu stoppenden“ Zeugen zu drohen, ihm „die Fresse einzuschlagen“.

Der in der Nichterörterung von § 240 Abs. 2 StGB liegende sachlich rechtliche Fehler muss zur Aufhebung des Schuldspruchs führen. Die unterlassene Prüfung kann vom Revisionsgericht nicht nachgeholt werden, weil die Feststellung der Verwerflichkeit, ebenso wie die Feststellung des Sachverhalts oder die Strafzumessung, Aufgabe des Tatrichters ist und vom Revisionsgericht nur auf Rechtsfehler überprüft werden kann. Daraus folgt, dass eine vom Tatrichter unterlassene Prüfung der Verwerflichkeit nicht durch das Revisionsgericht ersetzt werden darf; es würde andernfalls ohne rechtliche Grundlage tatrichterliche Funktionen übernehmen und damit die Grenzen überschreiten, die es nach dem Gesetz zu beachten hat (vgl. OLG Zweibrücken, a. a. O.).

 

OLG Koblenz: Beschluss vom 18.04.2011 - 2 Ss 45/10    BeckRS 2011, 20726

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1 Kommentar

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1. Blogbeiträge können für meinen Geschmack ruhig etwas pointierter sein, indem man nicht die halbe OLG-Entscheidung kopiert, sondern sich auf das Wesentliche beschränkt.

 

2. Das OLG sagt ja nicht, daß es keine Nötigung war, sondern nur, daß die Vorinstanzen die Verwerflichkeitsprüfung des § 240 Abs. 2 StGB nicht vorgenommen haben.  Auch bei vermeintlichen Delikten nach §§ 185 ff. StGB fehlt oftmals eine Güterabwägung, vor allem im Hinblick auf Art. 5 GG. Auch ein Blick in die Vorschrift des § 118 BGB könnte manchen strafrechtlichen Konflikt die Schärfe nehmen. Insofern finde ich die Überlegungen des OLG lebensnah. Der Senat konnte sich offenbar bestens vorstellen, daß hier zwei Hitzköpfe aufeinandergetroffen sind, nach dem Motto: "Gleich und gleich gesellt sich gerne". Gerade in der politischen Auseinandersetzung darf es ruhig einmal etwas lauter werden.

 

 

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