LAG Nürnberg: Vorrats-SE an der Konzernspitze dauerhaft mitbestimmungsfrei?

von Andreas Müller, veröffentlicht am 20.02.2023

Muss eine Vorrats-SE das für die reguläre Gründung vorgesehene Verhandlungsverfahren nachholen, wenn sie als Komplementärin in eine unternehmerisch aktive KG eintritt? Das hatte das LAG Nürnberg in einem Beschluss vom 1. September 2022 (3 TaBV 29/21; BeckRS 2022, 42408) zu klären.

Vorrats-SE ersetzt Komplementär-GmbH einer Einheits-KG

Die betroffene SE war zunächst ohne Arbeitnehmer und ohne Mitbestimmungsregelung und -verhandlungen gegründet worden. Sie übernahm dann die Komplementärposition in einer GmbH & Co. KG mit mehr als 2000 Arbeitnehmern. Die so gebildete SE & Co. KG wurde wiederum Alleinaktionärin der SE. Die SE selbst blieb ohne Arbeitnehmer.

Betriebsrat verlangt Verhandlungen über Arbeitnehmerbeteiligung

Die frühere Komplementär-GmbH war mitbestimmungsfrei gewesen. Der KG-Betriebsrat hatte für sie bereits per Statusverfahren die Einrichtung eines Aufsichtsrats beantragt, blieb damit aber wegen des Ausscheidens der GmbH erfolglos. Nach Eintritt der SE verlangte der Betriebsrat für die SE, das für die SE-Gründung vorgesehene Verhandlungsverfahren zur Beteiligung der Arbeitnehmer gemäß §§ 4 ff. SEBG nachzuholen.

In ihrer Entscheidung verneint die Kammer eine Verhandlungspflicht und bestätigt damit im Ergebnis die Mitbestimmungsfreiheit der SE.

Keine Anwendung von SEBG-Gründungsrecht auf wirtschaftliche Neugründung

Eine Pflicht ergebe sich insbesondere nicht aus einer analogen Anwendung des § 4 SEBG auf die wirtschaftliche Aktivierung der SE. Nach der Vorschrift hat die Geschäftsleitung vor Gründung einer SE grundsätzlich die Initiative zum Start des Verhandlungsverfahrens zu übernehmen. Aus Anlass einer wirtschaftlichen Aktivierung, so die Kammer, sei das Verfahren allenfalls dann nachzuholen, wenn die Vorrats-SE selbst mit einem Unternehmen und ausreichend Arbeitnehmern ausgestattet werde. Der Beitritt als Komplementärin in eine KG sei nicht ausreichend.

Keine Zurechnung der KG-Arbeitnehmer an die SE

Eine analoge Anwendung von SEBG-Gründungsrecht lasse sich auch nicht auf eine Zurechnung der KG-Arbeitnehmer an die SE stützen. Die KG sei keine an der Gründung beteiligte Gesellschaft i. S. d. § 2 Abs. 2 SEBG, insbesondere keine Tochtergesellschaft der SE.

Keine strukturelle Änderung durch Übernahme der Komplementärposition

Auch § 18 Abs. 3 SEBG zwinge hier nicht zu Verhandlungen. Nach der Vorschrift ist in einer existierenden SE neu über die Arbeitnehmerbeteiligung zu verhandeln, wenn strukturelle Änderungen geplant sind, die geeignet sind, Beteiligungsrechte zu mindern. Eine solche Änderung, so die Kammer, müsse Einfluss auf die gesellschaftsrechtliche Struktur der SE haben und könne nicht in der Übernahme einer Komplementärposition liegen. Zudem würden keine Beteiligungsrechte gemindert, weil weder die SE noch die KG zuvor mitbestimmt gewesen seien.

Entscheidung nicht rechtskräftig

Die zugelassene Rechtsbeschwerde ist beim Bundesarbeitsgericht (BAG) unter Az. 7 ABR 3/23 anhängig. In einem ähnlich gelagerten Fall hatte sich das BAG zuletzt aufgeschlossen gegenüber einer Anwendung von Gründungsrecht gezeigt und dem EuGH mehrere Fragen zur Auslegung der maßgeblichen SE-Vorschriften vorgelegt (siehe den Beitrag von Cornelius Wilk vom 9. Februar 2023).

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1 Kommentar

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Nun, schaut man länderübergreifend auf Recht, so bemerkt man: 6 Millionen ais Rassegründen ermorden ist deutscher Sonderwahnsinn, Mitbestimmung auch. Selten, daß mal Opfer gerettet werden. Hier eine SE und eine KG.

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