BAG: EuGH-Vorlagefrage zur Nachholung des SE-Beteiligungsverfahrens

von Dr. Cornelius Wilk, veröffentlicht am 09.02.2023

Das BAG hat dem EuGH mit erst jetzt bekannt gewordenem Beschluss vom 17. Mai 2022 (1 ABR 37/20 (A); BeckRS 2022, 32734) mehrere Fragen zur Auslegung der SE-Verordnung und -Richtlinie vorgelegt, die die Arbeitnehmerbeteiligung im Nachgang zu einer arbeitnehmerlosen SE-Gründung betreffen. 

Arbeitnehmerfreie Gründung nach UK-Recht, dann Sitzverlegung nach Deutschland

Gegenstand des Beschlusses ist eine noch vor dem Brexit nach UK-Recht gegründete Holding-SE. Mangels Arbeitnehmer wurde sie ohne Mitbestimmungsregelung und -verhandlungen in das Register für England und Wales eingetragen. Anschließend wurde sie Alleingesellschafterin einer zunächst drittelmitbestimmten deutschen GmbH, die später unter Wegfall der Mitbestimmung in die KG-Rechtsform wechselte. Die Holding-SE übernahm die Stellung als Kommanditistin der KG und als Alleingesellschafterin der Komplementär-SE. Vor Brexit-Wirksamwerden verlegte die selbst weiterhin arbeitnehmerlose Holding-SE ihren Sitz nach Deutschland. 

Pflicht zur Nachholung des Verhandlungsverfahrens?

Aus Anlass der Sitzverlegung verlangte der Konzernbetriebsrat der KG, ähnlich wie bei einer Gründung Verhandlungen über die Arbeitnehmerbeteiligung in der Holding-SE aufzunehmen. Bei den Vorinstanzen drang er damit nicht durch (siehe den Beitrag von Achim Kirchfeld vom 16. September 2021). 

BAG: Analoge Anwendung von SE-Gründungsrecht denkbar

Das BAG dagegen erwägt in seinem Beschluss eine analoge Anwendung der bei SE-Gründung maßgeblichen §§ 4 ff. SEBG über das Verhandlungsverfahren und das besondere Verhandlungsgremium. Ausschlaggebend hierfür sei, dass die Holding-SE zunächst als arbeitnehmerlose SE ohne Beteiligungsverfahren eingetragen worden sei und im Anschluss herrschendes Unternehmen von unternehmenstragenden Tochtergesellschaften in mehreren Mitgliedstaaten geworden sei. Insbesondere Art. 12 Abs. 2 SE-VO – wonach eine SE grundsätzlich nur nach abgeschlossenem Beteiligungsverfahren eingetragen werden darf – sei möglicherweise so auszulegen, dass in diesem Fall das Verhandlungsverfahren nachzuholen sei. Hieran schließe sich ggf. die (vom BAG ebenfalls vorgelegte) Frage nach einer zeitlichen Grenze für eine Nachholung an und ebenso ggf. die Frage, welche der beiden hier berührten nationalen Rechtsordnungen für die Nachholung maßgeblich wäre.

Das Verfahren ist beim EuGH unter Az. C-706/22 anhängig.

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