Der Hamburger Dolmetscher-Thai-Übersetzer

von Peter Winslow, veröffentlicht am 05.07.2023

Mit Stand vom 16. Juni 2023 13:00 Uhr berichtet der NDR über einen Fall aus Hamburg, der sich wie folgt zusammenfassen lässt: Ein 51-jähriger Hamburger Dolmetscher-Thai-Übersetzer wurde im Juni 2023 wegen Geheimnisverrats angeklagt. Vor zwei Jahren soll dieser als Dolmetscher für die Polizei gearbeitet haben, um während einer im Rahmen eines gegen eine Bekannte von ihm laufenden Ermittlungsverfahrens wegen Menschenhandels durchzuführenden Razzia zu übersetzen (welche Texte bei der Razzia zu übersetzen waren, geht nicht aus der Berichterstattung hervor) – eine Razzia, die zunächst nicht durchgeführt worden sei und verschoben werden müsste, da der Hamburger Dolmetscher-Thai-Übersetzer seine Bekannte gewarnt haben soll, obwohl er im Rahmen seines Dolmetsch-Übersetz-Einsatzes für die Polizei zu absoluter Geheimhaltung verpflichtet gewesen sei. Demnach soll er Geheimnisverrat begangen haben. Er bestreite aber den Vorwurf. Eine deutlichere Zusammenfassung wäre kaum denkbar. Lesen Sie die Berichterstattung selbst. Sie lautet in ihrer Gesamtheit wörtlich:

Hamburger Dolmetscher wegen Geheimnisverrats angeklagt

Wer als Dolmetscher für die Polizei arbeitet, ist zu absoluter Geheimhaltung verpflichtet. Ein Thai-Übersetzer aus Hamburg aber soll einer Bekannten verraten haben, dass gegen sie ein Ermittlungsverfahren wegen Menschenhandels läuft. Dafür ist der 51-Jährige seit Freitag vor dem Amtsgericht angeklagt. Er bestreitet den Vorwurf. Laut Anklage sollte er vor zwei Jahren zu einer Razzia bei der Frau mitkommen und dort übersetzen. Nachdem er sie gewarnt haben soll, musste die Durchsuchung verschoben werden.

Die Berichterstattung ist so umfangreich, dass sie eine Mehrzahl von Fragen unbeantwortet lässt. Ist der Hamburger Dolmetscher-Thai-Übersetzer deswegen ein Hamburger Dolmetscher-Thai-Übersetzer, weil er in Hamburg wohnt? Oder ist der Hamburger Dolmetscher-Thai-Übersetzer deswegen ein Hamburger Dolmetscher-Thai-Übersetzer, weil er als Dolmetscher und Übersetzer für die thailändische Sprache in Hamburg vereidigt ist? Wusste die Polizei nicht von seiner Bekanntschaft mit der Frau? Oder wusste die Polizei von seiner Bekanntschaft mit der Frau und beauftragte ihn trotzdem mit dem Dolmetsch-Übersetz-Einsatz im Rahmen der Razzia?

Demnach gehen aus der NDR-Berichterstattung zumindest vier mögliche Konstellationen des tatsächlichen Sachverhalts hervor. Erstens: Der Hamburger Dolmetscher-Thai-Übersetzer ist deswegen ein Hamburger Dolmetscher-Thai-Übersetzer, weil er in Hamburg wohnt, und die Polizei wusste nicht von seiner Bekanntschaft mit der Frau. Zweitens: Der Hamburger Dolmetscher-Thai-Übersetzer ist deswegen ein Hamburger Dolmetscher-Thai-Übersetzer, weil er in Hamburg wohnt, und die Polizei wusste von seiner Bekanntschaft mit der Frau und beauftragte ihn trotzdem mit dem Dolmetsch-Übersetz-Einsatz im Rahmen der Razzia. Drittens: Der Hamburger Dolmetscher-Thai-Übersetzer ist deswegen ein Hamburger Dolmetscher-Thai-Übersetzer, weil er als Dolmetscher und Übersetzer für die thailändische Sprache in Hamburg vereidigt ist, und die Polizei wusste nicht von seiner Bekanntschaft mit der Frau. Viertens: Der Hamburger Dolmetscher-Thai-Übersetzer ist deswegen ein Hamburger Dolmetscher-Thai-Übersetzer, weil er als Dolmetscher und Übersetzer für die thailändische Sprache in Hamburg vereidigt ist, und die Polizei wusste von seiner Bekanntschaft mit der Frau und beauftragte ihn trotzdem mit dem Dolmetsch-Übersetz-Einsatz im Rahmen der Razzia. Leider erfahren wir nicht, welche mögliche Konstellation den tatsächlichen Sachverhalt wiedergibt. Spekulieren möchte ich aber auch nicht. Mir genügen zunächst kurze Ausführungen zu der wohlwollendsten und der dümmsten möglichen Konstellation.

Die wohlwollendste wäre die zweite, nämlich: Der Hamburger Dolmetscher-Thai-Übersetzer ist deswegen ein Hamburger Dolmetscher-Thai-Übersetzer, weil er in Hamburg wohnt, und die Polizei wusste von seiner Bekanntschaft mit der Frau und beauftragte ihn trotzdem mit dem Dolmetsch-Übersetz-Einsatz im Rahmen der Razzia. Eine faule Polizei, die sich nicht die Mühe machen wollte, einen nach dem Hamburger Dolmetschergesetz (HmbDolmG) zur Verschwiegenheit und Unparteilichkeit verpflichteten Dolmetscher-Thai-Übersetzer zu beauftragen (laut der Dolmetscher- und Übersetzerdatenbank gibt es mindestens drei), ist einer nicht kompetenten Polizei zu bevorzugen. Denn eine faule Polizei ist nicht gleich inkompetent; da gäbe es noch etwas Hoffnung, auch wenn diese bekanntlich immer zuletzt stirbt.

Dahingegen wäre die dümmste Konstellation die vierte, nämlich: Der Hamburger Dolmetscher-Thai-Übersetzer ist deswegen ein Hamburger Dolmetscher-Thai-Übersetzer, weil er als Dolmetscher und Übersetzer für die thailändische Sprache in Hamburg vereidigt ist, und die Polizei wusste von seiner Bekanntschaft mit der Frau und beauftragte ihn trotzdem mit einem Dolmetsch-Übersetz-Einsatz im Rahmen der Razzia. Diese Konstellation wäre deswegen die dümmste, weil sie im Konflikt der Faulheit der Polizei mit vier Pflichtverletzungen des Hamburger Dolmetscher-Thai-Übersetzers entstanden wäre.

Mit anderen Worten: Bei dieser Konstellation lägen klare doppelte Pflichtverletzungen jeweils gegen § 5 Absatz 1 Nr. 3 HmbDolmG und § 5 Absatz 1 Nr. 4 HmbDolmG vor.[1] Nach § 5 Absatz 1 Nr. 4 HmbDolmG wäre der Hamburger Dolmetscher-Thai-Übersetzer als in Hamburg Vereidigter nicht nur zur Verschwiegenheit verpflichtet, sondern auch zur Nichtverwertung und Nichtmitteilung der Tatsachen, die ihm bei der Ausübung seiner Tätigkeit bekannt werden. In diesem Fall verletzte der Hamburger Dolmetscher-Thai-Übersetzer seine Pflicht nach dieser Nummer dieses Absatzes dieses Paragraphen in seiner Eigenschaft als Dolmetscher und in seiner Eigenschaft als Übersetzer. Der Bekannten von ihm die ihm im Rahmen seiner Tätigkeit bekannt gewordene Razzia mitzuteilen, stellte also zwei Pflichtverletzungen dar, eine für jede Eigenschaft. Nach § 5 Absatz 1 Nr. 3 HmbDolmG wäre der Hamburger Dolmetscher-Thai-Übersetzer als in Hamburg Vereidigter zur Unparteilichkeit verpflichtet. In diesem Fall ergriffe er Partei und verletzte seine Pflicht nach dieser Nummer dieses Absatzes dieses Paragraphen in seiner Eigenschaft als Dolmetscher und in seiner Eigenschaft als Übersetzer. Seine Handlung stellte also zwei Pflichtverletzungen dar, eine für jede Eigenschaft.

Aber hier stellte sich eine weitere Frage nach dem Umfang der letzten beiden Pflichtverletzungen. Nämlich: In welchem Sinne bestand die Bekanntschaft zwischen dem Hamburger Dolmetscher-Thai-Übersetzer und der Frau? War sie ihm nur von Person bekannt? Dies wäre eine Bekanntheit, die unter Umständen im Rahmen seiner Tätigkeit als in Hamburg Vereidigter unproblematisch wäre. Eine problematische Bekanntheit wäre, wenn sie ihm im Sinne eines Ausschlussgrundes bekannt gewesen sei – das heißt, wenn sie beispielsweise eine Vertreterin eines Verwandten gewesen sei. Denn in Hamburg vereidigte Übersetzer:innen haben unter anderem die Vorschrift über die Ausschließungsgründe für Notare (§ 6 BeurkG) sinngemäß zu beachten (Ziffer 18 des Merkblatts für die Anfertigung von beglaubigten Übersetzungen der Freien und Hansestadt Hamburg). Entsprechend müsste diese Vorschrift auch für in Hamburg vereidigte Dolmetscher:innen gelten. Diese stellt wohl teilweise klar, was mit Unparteilichkeit im Sinne des HmbDolmG gemeint ist.

Der NDR verfügt offenbar über die Anklage – die Wörter »Laut Anklage« stehen wörtlich in der Berichterstattung – und schweigt. Er schweigt zu einem gesellschaftlich relevanten Fall. Ihm genügt das Sensationelle, der Umstand, dass ein Hamburger Dolmetscher-Thai-Übersetzer Geheimnisverrat begangen haben soll. Vielleicht schweigt er deswegen, weil er die Identität des Hamburger Dolmetscher-Thai-Übersetzers schützen möchte. Vielleicht ist er der Ansicht, dass weitere Informationen seine Identität offenbaren könnten. Ist ja denkbar.

Dieser Schutzwunsch wäre aber kein Grund, Dolmetschen mit Übersetzen zu verwechseln und eine Loriot-mäßige Vorstellung zu erwecken, dass ein Dolmetscher damit beauftragt wurde, zu einer Razzia mitzukommen und mitten drin Texte zu übersetzen. Doch: Nehmen wir an, der NDR wollte tatsächlich die Identität des Hamburger Dolmetscher-Thai-Übersetzers schützen. Wenn diese Annahme wirklich zuträfe, so hätte er nicht das Alter des Hamburger Dolmetscher-Thai-Übersetzers angeben müssen. Noch hätte er die Angabe »Thai« machen müssen. Denn beide Angaben sind völlig überflüssig, ja völlig unnötig im Rahmen seiner tatsachenarmen Berichterstattung, die lediglich aus acht Zeilen inklusive Überschrift besteht. Diese Angaben vermittelt keine wesentlichen Informationen. Nun vermittelt vielleicht die Angabe »Thai« doch eine wesentliche Information, nämlich: die stillschweigende Andeutung, dass Ausländer Krimineller sind?

Ohne diese Angaben wären ja mehr Informationen möglich. Ohne diese Angaben hätte der NDR den Speck und das Schwein haben können. Gleichzeitig hätte er informativ Bericht erstatten und die Identität des Hamburger Dolmetscher-Thai-Übersetzers schützen können. Er hätte Zeit gehabt, sich Gedanken zur möglichen Darstellung der Tatsachen zu machen. Er hätte Zeit gehabt, sich für eine Darstellung der Tatsachen zu entscheiden, die Fragen nicht stellt, sondern antwortet. Er hätte Zeit gehabt, den Unterschied zwischen Dolmetschen und Übersetzen zu verstehen. Er hätte Zeit gehabt, tief in sich zu gehen, auf das Sensationelle zu verzichten und der Öffentlichkeit Informationen zu einem gesellschaftlich relevanten Fall zur Verfügung zu stellen.

Aber nein: Der NDR hat nicht von einem Dolmetscher berichtet, der in Hamburg Geheimnisverrat begangen haben soll. Der NDR berichtet von einem Hamburger Dolmetscher-Thai-Übersetzer, der vor zwei Jahren für die Polizei gearbeitet haben soll, um während einer Razzia unbenannte Texte zu übersetzen etc. Es ist zu dumm.

 

[1] Das HmbDolmG wurde am 20. Dezember 2022 geändert, um die jüngste Gesetzgebung (das vielleicht verfassungswidrige GDolmG) zu berücksichtigen. Der Pflichtenkatalog des § 5 Absatz 1 blieb unverändert, was die im Rahmen dieses Beitrags angeführten Pflichten angeht.

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2 Kommentare

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Der NDR verfügt offenbar über die Anklage - die Wörter »Laut Anklage« stehen wörtlich in der Berichterstattung - und schweigt. Er schweigt zu einem gesellschaftlich relevanten Fall. Ihm genügt das Sensationelle...

Der NDR schweigt möglicherweise aus gutem Grund, denn er macht sich strafbar, wenn er „die Anklageschrift oder andere amtliche Dokumente eines Strafverfahrens, eines Bußgeldverfahrens oder eines Disziplinarverfahrens, ganz oder in wesentlichen Teilen, im Wortlaut öffentlich mitteilt, bevor sie in öffentlicher Verhandlung erörtert worden sind oder das Verfahren abgeschlossen ist“ (§ 353d Abs. 3 StGB). Das gilt auch in einem „gesellschaftlich relevanten Fall“.

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Fair enough. Aber meine Hauptargumentation bleibt bestehen. Der NDR müsste nicht alles öffentlich mitteilen, um über einen gesellschaftlich relevanten Fall informativ Bericht zu erstatten.

Der NDR müsste nicht Unsinn öffentlich mitteilen, nicht auf Sensationelles öffentlich beharren, nicht sein Unwissen in Sachen Dolmetschen und Übersetzen zur Schau stellen. Er müsste nicht überflüssige Tatsachen nennen, die keine wesentlichen Informationen vermitteln, und diese Tatsachen so darstellen, dass der Eindruck erweckt wird, Ausländer seien Krimineller, auch wenn sie für die Polizei tätig werden. Er müsste nicht Misstrauen zwischen Ausländer:innen und Deutschen stiften. Er müsste nicht acht Zeilen veröffentlichen, die mehr Frage aufwerfen als Antworten. Nichts von dem ist gesellschaftlich relevant. Und wenn der NDR von alledem abgesehen hätte, hätte er sich auch nicht nach § 353d Absatz 3 StGB strafbar gemacht.

Noch hätte er sich strafbar gemacht, wenn er kurz und allgemein zur Zusammenarbeit zwischen der Polizei und Dolmetscher:innen in Deutschland ausgeführt hätte, um der Öffentlichkeit etwas Kontext an die Hand zu geben. Die dafür erforderliche Recherche hätte dem NDR wohl geholfen, sich etwas Grundwissen anzueignen. Wenn die Angabe von in der Anklage enthaltenen Informationen – sprich: Hamburger Dolmetscher, Thai-Übersetzer, Altersangabe, Ermittlungsverfahren, Anklage etc. – an sich keine Strafbarkeit nach sich zieht, so hätte der NDR auch angeben können, ob der Hamburger Dolmetscher-Thai-Übersetzer vereidigt ist. Der NDR müsste nicht das Land angegeben haben, in dem der Hamburger Dolmetscher-Thai-Übersetzer vereidigt ist, aber die Angabe, ob vereidigt oder nicht, hätte der Öffentlichkeit relevante Informationen vermittelt. Und auch wenn der NDR von dieser Angabe abgesehen hätte, hätte er zumindest eine Information, die zu weiteren Fragen bei der Polizei führte. Arbeitet die Polizei grundsätzlich nur mit vereidigten Dolmetscher:innen zusammen? Oder sieht sie in manchem Fall davon ab? Warum und wieso etc.? Rhetorisch gesprochen: Nach dem jetztigen Stand der Dinge hat der NDR scheinbar keinen Stoff, den er in bearbeiteter Form hätte öffentlich mitteilen können. Er hat sich auch scheinbar keine Mühe gegeben, an Stoff zu kommen, den er überhaupt hätte bearbeiten können. Er hat sich nicht stafbar gemacht. Sicher. Aber er hat seiner Glaubwürdigkeit unnötig geschadet.

Noch hätte sich der NDR strafbar gemacht, wenn er's nur bei der öffentlichen Mitteilung gelassen hätte, dass ein Dolmetscher wegen Geheimnisverrats angeklagt wurde und dass er ggfs. zum späteren Zeitpunkt weitere Informationen veröffentlichen möchte. Damit wäre der Sache erstmal Genüge getan. Nichts wäre bedenklich. Man wüsste Bescheid. In dem Falle lautete die Ansage an die Öffentlichkeit: weitere Berichterstattung abwarten. Und auf keinen Fall hätte sich der NDR strafbar gemacht, wenn er etwas Gedult ausgeübt und zunächst nichts veröffentlicht hätte.

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