Paukenschlag aus Luxemburg: Überstundenzuschläge für Teilzeitbeschäftigte

von Prof. Dr. Christian Rolfs, veröffentlicht am 19.10.2023
Rechtsgebiete: Bürgerliches RechtArbeitsrecht1|4760 Aufrufe

Heute hat der EuGH sein lange erwartetes Urteil zu Überstundenzuschlägen für Teilzeitbeschäftigte verkündet. Gewährt der Arbeitgeber (aufgrund Tarifvertrages, Betriebsvereinbarung o.Ä.) Vollzeitbeschäftigten bei Überschreitung der regelmäßigen Arbeitszeit zusätzlich zum Arbeitsentgelt eine Überstundenvergütung, haben Teilzeitbeschäftigte auf diesen Zuschlag bereits dann Anspruch, wenn sie ihre individuelle (Teilzeit-)Arbeitszeit überschreiten. Anderes gilt nur dann, wenn die (Wochen-/Monats-/Jahresarbeits-)Stundenzahl, an die die Rechtsgrundlage anknüpft, durch objektive Faktoren wie etwa gesundheitliche Belastungen gerechtfertigt ist, was vom Arbeitgeber darzulegen und zu beweisen ist.

Der Kläger des Ausgangsverfahrens ist bei Lufthansa CityLine (CLH) seit 2001 als Flugzeugführer und Erster Offizier beschäftigt. Seit 2010 arbeitet er in Teilzeit mit einer Arbeitszeit von 90 % der Vollarbeitszeit eines Flugzeugführers. Seine Grundvergütung einschließlich der Stellenzulagen ist um 10 % herabgesetzt und er erhält 37 zusätzliche freie Tage im Jahr. An seinen Einsatztagen ist die Zahl seiner Flugdienststunden jedoch nicht reduziert. Nach den anwendbaren Tarifverträgen erhält ein Arbeitnehmer eine über die Grundvergütung hinausgehende Mehrflugdienststundenvergütung (im Folgenden: Mehrvergütung), wenn er eine bestimmte Zahl Flugdienststunden im Monat geleistet und die Grenzen für die „Auslösung“ der Mehrvergütung überschritten hat. Dafür sehen die Tarifverträge vor, dass eine der Höhe nach weiter gestaffelte Mehrarbeitsvergütung zu entrichten ist, wenn der Arbeitnehmer bei Kurzstreckenflügen 106, 121 bzw. 136 monatliche Flugdienststunden geleistet hat (bei Langstreckenflügen 93, 106 bzw. 120 Flugdienststunden im Monat).

Der Kläger hat über die individuelle persönliche Arbeitszeit (von 90 %) hinaus Überstunden geleistet, jedoch die jeweiligen auf das Vollzeitarbeitsverhältnis bezogenen Auslösegrenzen verfehlt. Er ist der Auffassung, dass ihm die Überstundenzuschläge bereits bei Überschreitung der persönlichen (Teilzeit-)Arbeitszeit zustehen.

Auf Vorlage des BAG (Beschl. vom 11.11.2020 - 10 AZR 185/20 (A), NZA 2021, 57) hat der EuGH nun wie folgt erkannt:

1. Paragraf 4 Nr. 1 der am 6. Juni 1997 geschlossenen Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit im Anhang der Richtlinie 97/81/EG des Rates vom 15. Dezember 1997 zu der von UNICE, CEEP und EGB geschlossenen Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit

ist dahin auszulegen, dass

eine nationale Regelung, die die Zahlung einer zusätzlichen Vergütung für Teilzeitbeschäftigte und für vergleichbare Vollzeitbeschäftigte einheitlich daran knüpft, dass dieselbe Zahl Arbeitsstunden bei einer bestimmten Tätigkeit wie dem Flugdienst eines Flugzeugführers überschritten wird, eine „schlechtere“ Behandlung der Teilzeitbeschäftigten im Sinne dieser Vorschrift darstellt.

2. Paragraf 4 Nrn. 1 und 2 der am 6. Juni 1997 geschlossenen Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit im Anhang der Richtlinie 97/81

ist dahin auszulegen, dass

er einer nationalen Regelung entgegensteht, die die Zahlung einer zusätzlichen Vergütung für Teilzeitbeschäftigte und für vergleichbare Vollzeitbeschäftigte einheitlich daran knüpft, dass dieselbe Zahl Arbeitsstunden bei einer bestimmten Tätigkeit wie dem Flugdienst eines Flugzeugführers überschritten wird, um eine besondere Arbeitsbelastung bei dieser Tätigkeit auszugleichen.

EuGH, Urt. vom 19.10.2023 - C-660/20 "Lufthansa CityLine", hier auf den Seiten des EuGH

Beim EuGH ist noch ein weiteres Verfahren mit ähnlichen Fragestellungen anhängig (C-184/22 - KfH Kuratorium für Dialyse und Nierentransplantation, Vorabentscheidungsersuchen des BAG vom 28.10.2021 - 8 AZR 370/20 (A), NZA 2022, 702; dazu hier im BeckBlog). Dort fragt das BAG auch, ob eine Rechtfertigung darin erblickt werden kann, dass die (Tarifvertrags-)Parteien eine Benachteiligung von Vollzeitbeschäftigten vermeiden wollen, die sich ergibt, wenn Teilzeitbeschäftigte für dieselbe Anzahl geleisteter Arbeitsstunden wegen der Zuschläge eine höhere Vergütung zu beanspruchen haben als jene.

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1 Kommentar

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Realitätsfremdes Urteil!!! Klarer Verstoß gegen Gleichheitsgrundsatz. Der Teilzeibeschäftigte erzielt so bis zum Erreichen der Vollzeit im Falle von "Überstunden" ein höheres Entgelt als ein Vollzeitbeschäftigter. Da wurde also wieder mal gut nachgedacht.

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