Internetüberwachung durch das BKA: Löschen statt sperren? Ist das ein gutes Argument?
Gespeichert von Prof. Dr. Henning Ernst Müller am
In der intensiven Diskussion um Netzsperren, angeregt durch den umstrittenen Gesetzentwurf von Bundesfamilienministerin von der Leyen, wird ein Argument prominent vorgetragen: Die bloße Sperre sei ineffektiv, die Löschung durch den Provider sei der einzig sinnvolle Weg, um Kinderpornographie aus dem Internet zu verbannen. Dem ist im Ergebnis grundsätzlich zuzustimmen, denn strafbare Inhalte, insbesondere Kinderpornographie haben im Netz nichts verloren. Aber trägt dies auch als Argument gegen die Listen des BKA und die DNS-Sperren? Meines Erachtens nicht, im Gegenteil.
Schon frühzeitig tauchte im Netz die Behauptung auf, in Skandinavien gesperrte und auf deutschen Servern gehostete Kinderpornographie sei von der deutschen Polizei nicht verfolgt worden und auch nicht aus dem Netz entfernt worden, obwohl dies ohne Weiteres möglich gewesen wäre. Allerdings konnte mir auf Nachfrage kein konkreter solcher Fall genannt werden, in dem tatsächlich in Deutschland strafbare Kinderpornographie von der deutschen Polizei bewusst nicht verfolgt wurde (siehe hier). Vielmehr ergab sich, dass diese auf skandinavischen Listen genannten und auf deutschen Servern gehostete Seiten wohl gar keine nach deutschem Recht strafbare Kinderpornographie (mehr) enthielten.
Ein weiteres Argument betraf ausländische Server bzw. Host-Provider: Hier sei es so, dass man - wie die Organisation carechild und der deutsche Netzaktivist Alvar Freude (AK gegen Internetsperren und Zensur) mit eigenen Versuchen dokumentierten - ohne Weiteres auch die ausländischen Provider dazu bringen könnte, einschlägige Seiten zu entfernen (zu löschen), wenn man sie auf die strafbaren Inhalte hinweise:
Zitat vom AK gegen Internet-Sperren und Zensur:
„Die Abschaltung von Webauftritten mit kinderpornographischen Inhalten dauert nicht länger als die Übermittlung einer Sperrliste. Dies führt die Argumentation der Befürworter des bloßen Sperrens ad absurdum - es gibt keinen sachlichen Grund, strafbare Inhalte im Netz zu belassen und sie für alle einschlägig Interessierten mit minimalem Aufwand weiterhin zugänglich zu halten. Was für eine Bürgerinitiative wie den Arbeitskreis gegen Internet-Sperren und Zensur möglich ist, sollte für die deutsche Regierung und Strafverfolgungsbehörden ein Leichtes sein und die hier erzielten Ergebnisse deutlich übertreffen können."
Mit dieser Argumentation brachte man die Familienministerin tatsächlich etwas in Bedrängnis. Aber sie hat bereits argumentiert, man müsse natürlich beides tun: löschen, wenn möglich und sperren zumindest dann, wenn eine Löschung länger dauere. Letzteres sei insbesondere bei ausländischen Servern erforderlich. Nun wurde ja belegt, dass man auch ausländische Provider mit E-Mail oder Telefonanruf recht schnell dazu bringen konnte, die inkriminierten Seiten vom Netz zu nehmen. Die Vorgehensweise des BKA, erst einmal den zeitlich ineffektiven Dienstweg einzuschlagen, sei hingegen amateurhaft.
Erfolg dieser Argumentation: Es kann wohl damit gerechnet werden, dass der Gesetzentwurf tatsächlich entsprechend geändert wird, nämlich, dass ein Löschversuch der Sperre vorausgehen muss, bzw. beides gleichzeitig erfolgen muss.
Aber es fragt sich, ob damit nicht das Argument der Netzaktivisten schlichtweg verpufft wie schon bei der groß in Szene gesetzten Strafanzeige gegen die Familienministerin (siehe hier). Die Netzsperren sind ja nicht deshalb problematisch, weil sie sich gegen strafbare Kinderpornographie richten, sondern weil man befürchten muss, mit der Einführung solcher Sperrlisten werde ein Modell zur Inhaltskontrolle des Internet eingeführt, das künftig auch andere Inhalte betreffen könnte. Problematisch erscheint dabei vor allem die dem BKA zugedachte Funktion als Inhaltskontrolleur des Netzes.
Wenn das BKA aber nunmehr noch dazu gedrängt und ermächtigt wird, nicht einmal mehr den Dienstweg einzuhalten, wenn es um die Löschung (nicht nur Sperre) von Inhalten geht, die auf ausländischen Servern vorgehalten werden, wird das Problem nicht geringer sondern tendenziell eher größer. Denn wie wäre es zu beurteilen, wenn das deutsche BKA künftig einfach ausländische Host-Provider anruft, schönen Gruß von der deutschen Regierung bzw. Polizei ob man nicht freundlicherweise „freiwillig" die ausländische Nazi-Propaganda vom Netz nehmen wolle, Urheberrechtsverletzungen bitte auch, und vielleicht auch noch diesen unseriösen koreanischen Killergame-Anbieter und den osteuropäischen Glücksspielanbieter (wegen der „Suchtgefahr" und der Konkurrenz zum Staatslotto Deutschlands)? Wenn die nicht spuren, kann man ja immer noch (ersatzweise) sperren.
Da erscheint mir der ordnungsgemäße Dienstweg fast noch die rechtsstaatlichere Lösung.
Links: Kommentar von Christian Rath in der taz und Thomas Stadler auf internet law zum "Dienstweg".