OLG Hamburg zu § 184b StGB: Vorsätzlicher Besitz von Kinderpornographie auch ohne bewusste Speicherung zu bejahen
Gespeichert von Prof. Dr. Henning Ernst Müller am
Wie heute Nachmittag berichtet wird, bejaht das OLG Hamburg den Besitz nach § 184b Abs. 4 StGB schon dann, wenn ein Bild oder Film im Internet aufgerufen und angeschaut wird. So berichtet das Hamburger Abendblatt:
"Das Oberlandesgericht Hamburg hob mit dieser Entscheidung am Montag ein Urteil des Amtsgerichts Harburg auf. Dieses hatte vor knapp einem Jahr einen Mann freigesprochen, der 19 kinderpornographische Dateien angesehen hatte. Er habe nach eigenen Angaben nicht gewusst, dass diese im temporären Internet-Speicher automatisch abgelegt worden seien. Nach Ansicht des Oberlandesgerichts ist es jedoch irrelevant, ob die Videos und Bilder bewusst gespeichert oder nur flüchtig angeschaut werden. Der Wille, Kinderpornos zu betrachten und über die Bilder und Videos verfügen zu können, ist demzufolge mit dem Besitz einer Videokassette gleichzusetzen." (Quelle)
Trifft diese Darstellung des Entscheidungsinhalts zu, resultiert daraus in der Tat eine faktische Strafbarkeitsausdehnung. Ganz neu ist das aber nicht. Es gab nämlich schon zuvor die (m.E. fragwürdige und von der herrschenden Lehre abgelehnte Auffassung, vgl. Hörnle im Münchener Kommentar Rn. 27 und 33 zu § 184b StGB), das gezielte Suchen und Anschauen solcher Dateien genüge objektiv und subjektiv für den Besitz bzw. das Unternehmen des Besitzverschaffens, so das OLG Schleswig NStZ-RR 2007, 41:
"Zwar ist es auf Grundlage des angeklagten Sachverhalts zutreffend, dass die Inhalte der aufgerufenen kinderpornografischen Seiten nicht bewusst gespeichert wurden. Dennoch sind aufgerufene Internetseiten nicht aus sich heraus „flüchtig”. Zu solchen flüchtigen Inhalten werden sie nur auf Grund einer autonomen Entscheidung des Betrachters, zumindest wenn dieser - wie der Angesch. im vorliegenden Fall - die alleinige und uneingeschränkte Verfügungsmacht über den benutzten Computer hat. Die Entscheidung, wie lange eine Seite betrachtet wird, ob einzelne Darstellungen vergrößert (Zoomfunktion) werden sollen oder ob aus Sicht des Betrachters besonders interessante Seiten nach zwischenzeitlichem Schließen erneut aufgerufen werden trifft eigenverantwortlich der Betrachter, der insoweit äußeren Einflüssen nicht unterliegt. Insbesondere steht nach jedem Aufrufen einer Internetseite dem Betrachter darüber hinaus immer die eigenständige Entscheidung darüber zu, ob er den noch nicht perpetuierten Besitz an den aufgerufenen Informationen dadurch dauerhafter gestalten will, indem er diese etwa bewusst speichert, ausdruckt, bearbeitet oder in Form einer elektronischen Nachricht an Dritte weiter versendet. Alle diese Möglichkeiten stehen ihm offen. Hieraus ergibt sich, dass der Besitz an den Daten einer aufgerufenen Internetseite „flüchtig” nur durch die Willensentscheidung des Betrachters wird, diese Seite wieder zu verlassen. Damit sind alle Kriterien erfüllt, die die höchstrichterliche Rechtsprechung an den Begriff des Besitzes - entwickelt im Betäubungsmittelstrafrecht - stellt."
Soweit das OLG Schleswig. Nach der heutigen Auslegung des OLG Hamburg würde sich analog dazu allein aus dem Willen, eine Bilddatei zu betrachten, schon schließen lassen, dass der Betrachter auch eine Verfügungsmacht über das Bild/den Film bewusst erlangt. In dieser Interpretation (immer vorausgesetzt, dies ist in der o.a. Quelle richtig wiedergegeben) wechselt aber der Bezugspunkt des Vorsatzes. Dieser muss sich nämlich auf den Besitz beziehen, nicht darauf, ein kinderpornographisches Bild oder einen Film bloß anzuschauen. Aber möglicherweise bestätigt das OLG Hamburg auch nur die Entscheidung des OLG Schleswig (aus der oben zitiert ist). Man wird für eine endgültige Bewertung noch die schriftliche Entscheidungsbegründung abwarten müssen.
(Dank an einen Blogleser für den Hinweis)
Update: Welt-Online berichtet mit einer etwas anderen Darstellung:
"Der Zweite Strafsenat entschied: Wer sich solche Dateien herunterlädt, hat die „Verfügungsgewalt“ und die „Sachherrschaft“ über die Bilder. Er ist damit im Besitz der Dateien, auch wenn er sie nur für kurze Zeit auf seinem Computer behält. Oberstaatsanwalt Mauruschat hatte zuvor darauf hingewiesen, dass es nicht darauf ankommt, ob die pornografischen Bilder mit Kindern im Computer gespeichert werden, oder nicht: „Wer die Bilder auf dem Bildschirm hat, kann bestimmen, wie er sie nutzt. Er kann zum Beispiel auch andere Betrachter daran teilhaben lassen.“ (Quelle)
Update (16.02.): Eine präzisere Angabe, wie das OLG Hamburg argumentiert, wird von juris-nachrichten wiedergegeben. Dort heißt es (Auszug):
"Die dem Besitz eigentümliche Herrschaftsmacht habe der Nutzer bereits dadurch, dass es in seinem Belieben steht, nach Aufruf die Dateien zu speichern, zu kopieren und zu verbreiten. Dass diese Herrschaftsmacht nach Aufruf zum bloßen Betrachten regelmäßig nur kurz ist, ergebe sich aus der dem Medium Internet typischen Schnelligkeit. In Anpassung daran den Besitzbegriff zu modifizieren, überschreite nicht die Grenze des Wortsinns, die der Auslegung des Gesetzes durch das im Grundgesetz verankerte Gebot zur Bestimmtheit eines Straftatbestandes gezogen ist. Mit der 1997 geschaffenen gesetzlichen Gleichstellung von "Datenspeichern" mit Schriften in § 11 Abs. 3 StGB, auf den § 184 b Abs. 4 StGB ausdrücklich verweist, sei dem Bürger hinreichend erkennbar geworden, dass der Besitzbegriff des § 184b Abs. 4 StGB in einer auch unkörperliche , aus dem Internet heruntergeladene Dateien erfassenden Weise zu verstehen ist."
Noch ein Hinweis auf diese Diskussion hier im Blog: Damals (vor einem guten halben Jahr) haben wir schon einmal über das Thema gestritten.