Umfassende Mehrwertsteuerreform für Handel innerhalb der Union – Kommission veröffentlicht Richtlinien- und Verordnungsvorschläge

von Dr. Helge Jacobs, veröffentlicht am 06.10.2017
Rechtsgebiete: Steuerrecht|7476 Aufrufe

Die Kommission hat am 4.10.2017 ein neues Regelungskonzept zur mehrwertsteuerlichen Behandlung grenzüberschreitender Lieferungen zwischen Unternehmern veröffentlicht (COM(2017) 569 final; vgl. Vorschlag (en / de) für eine Durchführungsverordnung des Rates zur Änderung der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 282/2011 hinsichtlich bestimmter Befreiungen bei innergemeinschaftlichen Umsätzen, COM(2017) 568 final).  Die Mitgliedstaaten sollen die Richtlinie zum 1.1.2019 anwenden und die vorgeschlagenen Änderungen zur Durchführungsverordnung sollen entsprechend zum 1.1.2019 unmittelbar gelten. Nach den vorgeschlagenen Neuregelungen wird die „Mehrwertsteueridentifikationsnummer“ aufgewertet, der „sog. zertifizierte Steuerpflichtige“ eingeführt, das Reihengeschäft reformiert, Konsignationslagerlieferungen vereinfacht und die Nachweisführung für innergemeinschaftliche Lieferungen neu ausgerichtet.

Die Unternehmenspraxis beklagt schon seit Jahren, dass Lieferungen innerhalb der Union zwischen Unternehmern komplex und wenig rechtssicher abzuwickeln sowie mit hohen Befolgungskosten verbunden seien. Auch bei dem aktuell vorgeschlagenen Konzept handelt es sich um ein Übergangsregime. Ab dem 1.1.2022 soll dann das endgültige System für den Handel in der Union kommen.

  • Innergemeinschaftliche Lieferung betrugsanfällig

    Der Betrugsanfälligkeit (sog. „Karussell- oder Missing-Trader-Mehrwertsteuerbetrug“) versucht die Kommission nunmehr mit dem Konzept des „zertifizierten Mehrwertsteuerpflichtigen“ sowie mit einer geänderten Regelung der „innergemeinschaftlichen Lieferung“ zu begegnen.

  • Der zertifizierte Steuerpflichtige, Art. 13a MwStSystRL (neu)- Vorschlag

    Bei Lieferungen an einen Erwerber, der zertifizierter Mehrwertsteuerpflichtiger ist, soll zukünftig nur eine einzige steuerpflichtige Lieferung im Bestimmungsland ausgeführt werden: Die Steuerschuld soll auf den vertrauenswürdigen Erwerber (zertifizierten Steuerpflichtigen) übergehen. Nähere Einzelheiten zum zertifizierten Steuerpflichtigen sind durch einen Verordnungsentwurf geregelt.

  • Innergemeinschaftliche Lieferung – Neuregelung in Art. 138 MwStSystRL-Vorschlag

    Gegenwärtig kann eine Lieferung auch dann als innergemeinschaftliche Lieferung steuerbefreit sein, wenn der Erwerber weder eine gültige Mehrwertsteueridentifikationsnummer (MwSt-IdNr.) besitzt noch diese Lieferung in der Zusammenfassende Meldung des Lieferers angemeldet wird (MIAS-Eintrag). Die Verwendung von MwSt-IdNr. und der MIAS- Eintrag sollen anders als bisher nicht mehr nur formale, sondern zukünftig materielle Voraussetzung für die Steuerbefreiung sein. Zudem wird auch der Belegnachweis durch eine gesonderte Verordnung neu geregelt.

  • Lieferungen aus einem Konsignationslager im Inland (Art. 17a (neu), 243 Abs. 3, 262 MwStSystRL-Vorschlag

    Lieferungen ausländischer Unternehmer aus einem Konsignationslager im Inland sind aktuell mit erheblichem Verwaltungsaufwand verbunden: Denn nach bisherigem Recht muss der ausländische Unternehmer die Bestückung des Lagers als innergemeinschaftliches Verbringen im Abgangs- und Bestimmungsland und bei Entnahme der Ware durch den Kunden als steuerpflichtige Lieferung im Bestimmungsland anmelden sowie die Steuer von seinem Vertragspartner für die Inlandslieferung einsammeln. Nach diesem Konzept muss der Steuerausländer sich für umsatzsteuerliche Zwecke im jeweiligen Bestimmungsland erfassen lassen. Zukünftig sollen ausländische Unternehmer nur noch steuerbefreite innergemeinschaftliche Lieferungen im Abgangsmitgliedsstaat und Unternehmerkunden steuerpflichtige innergemeinschaftliche Erwerbe im Bestimmungsland anmelden: Vorausgesetzt sie kommen ihren Nachweispflichten nach und führen Aufzeichnungen über den Warenbestand und der Lieferer führt die Lieferungen in seiner Zusammenfassenden Meldung auf.

  • Neuregelung für Reihengeschäfte zwischen Unternehmern innerhalb der Union (Art. 138a MwStSystRL-Vorschlag (neu))

    Bislang enthält das Unionsrecht keine spezielle Vorschrift zu (innergemeinschaftlichen) Reihengeschäften, d.h. zu aufeinanderfolgenden Lieferungen desselben Liefergegenstands, bei dem der Liefergegenstand von einem Unternehmer in einem Mitgliedstaat direkt an den letzten Abnehmer in der Reihe in einem anderen Mitgliedstaat grenzüberschreitend geliefert wird. Welchem der Umsätze die innergemeinschaftliche Beförderung zuzurechnen ist, welche Lieferung demnach als steuerbefreite innergemeinschaftliche Lieferung zu behandeln ist, ist gegenwärtig nach Maßgabe einer Einzelfallprüfung festzustellen. Bei innergemeinschaftlichen Reihengeschäften zwischen ausschließlich zertifizierten Steuerpflichtigen gilt zukünftig gem. Art. 138a MwStSystRL (neu) bei Beförderung durch oder auf Rechnung eines Zwischenlieferers, dass die Beförderung der Lieferung an diesen Zwischenlieferer zuzuschreiben ist, sofern er für Mehrwertsteuerzwecke in einem anderen Mitgliedstaat als dem Mitgliedstaat der Lieferung registriert ist und den Namen des Eingangsmitgliedsstaates an seinen Lieferer übermittelt hat. Sind die vorgenannten Voraussetzungen nicht erfüllt so ist die Beförderung der Lieferung des Zwischenlieferers an den nächsten Wirtschaftsbeteiligten zuzurechnen.

  • Endgültiges System für den Handel in der Union, Art. 402 MwStSystRL-Vorschlag

    Die vorgestellten Vorschläge ersetzen das bisherige Übergangsregime des Mehrwertsteuerbinnenmarkts, sollen aber ihrerseits nur den Übergang zu einem endgültigen System für den Handel innerhalb der Union ebnen, nachdem der Leistungsort für Lieferungen wie gegenwärtig auch für Dienstleistungen zwischen Unternehmen generell in das Bestimmungsland verlegt werden soll.

    In Zukunft soll der nicht im Bestimmungsland ansässige leistende Unternehmer die Steuer nach dem Steuersatz des Bestimmungslands über eine einzige Anlaufstelle anmelden und entrichten (One Stop Shop), es sei denn der Leistungsempfänger ist selbst zertifizierter Steuerpflichtiger; in diesem Fall soll die Steuerschuld auf den Leistungsempfänger übergehen und damit insoweit das bereits für innergemeinschaftliche Dienstleistungen gegenwärtig bestehende Besteuerungskonzept für Lieferungen in der Union nachvollzogen werden. Diese Anlaufstelle muss in einem Mitgliedstaat belegen sein. Die Anlaufstelle wird das Steueraufkommen an das Bestimmungsland weiterleiten. Die Einführung dieses Systems ist für 2022, zunächst nur für Lieferungen, geplant. Die Kommission plant in 2018 einen Vorschlag zur Umsetzung dieses neuen Systems im Unionsrecht vorzulegen. Damit würde das Besteuerungskonzept bestehend aus steuerbefreiter innergemeinschaftlicher Lieferung und steuerpflichtigem innergemeinschaftlichen Erwerb vollends entfallen.

Diesen Beitrag per E-Mail weiterempfehlenDruckversion

Hinweise zur bestehenden Moderationspraxis
Kommentar schreiben

Kommentare als Feed abonnieren

Kommentar hinzufügen