Das neue Cannabisgesetz – Teil 6: Die nicht geringe Menge im KCanG

von Dr. Jörn Patzak, veröffentlicht am 18.04.2024
Rechtsgebiete: StrafrechtBetäubungsmittelrecht5|3389 Aufrufe

Aus gegebenem Anlass ziehe ich den Teil zur nicht geringen Menge vor. Denn es gibt zu dieser äußerst praxisrelevanten Frage bereits erste Entscheidungen.

1. Strafvorschriften zur nicht geringen Menge

§ 34 Abs. 3 Nr. 4 KCanG sieht als Regelbeispiel eines besonders schweren Falles (mit Freiheitsstrafe zwischen 3 Monaten und 5 Jahren) sämtliche Straftaten des § 34 Abs. 1 KCanG vor (darunter den Besitz von mehr als 25g Cannabis außerhalb der Wohnung oder mehr als 50 g insgesamt, die Einfuhr oder das Handeltreiben), wenn sich die Handlung auf eine nicht geringe Menge bezieht.

In § 34 Abs. 4 Nr. 3 und Nr. 4 KCanG werden bestimmte bandenmäßige und bewaffnete Begehungsweisen mit Cannabis in nicht geringer Menge als Verbrechen eingestuft (Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren).

2. Bisherige nicht geringe Menge

Der BGH hat die Grenze zur nicht geringen Menge von Cannabis bereits vor vielen Jahren bei mindestens 500 Konsumeinheiten mit einer Wirkstoffmenge von je 15 mg THC, also insgesamt 7,5g THC festgelegt (BGHSt 8, 33 = NJW 1985, 1404; BGHSt 42, 1 = NStZ 1996, 139), ausgehend von der naturwissenschaftlichen Bewertung von Wirkungsweise und Wirkungsintensität von Cannabis.

3. Zukünftige nicht geringe Menge

Der Gesetzgeber geht ausweislich der Gesetzesbegründung davon aus, dass man aufgrund der geänderten Risikobewertung von Cannabis an der bisherigen Definition der nicht geringen Menge nicht mehr festhalten könne, sondern eine deutliche Anhebung des Grenzwertes für Cannabis erfolgen müsse (BT-Drs. 20/8704, 130).

a) Meine Auffassung

Ich werfe allerdings in der demnächst erscheinenden 11. Auflage von Patzak/Fabricius in der Kommentierung des § 34 KCanG die Frage auf, ob die toxikologischen Sachverständigen und dem folgend die Gerichte die politische Einschätzung teilen werden, zumal die geänderte Risikobewertung bereits durch Herabstufung des Umgangs mit Cannabis in nicht geringer Menge von einem Verbrechenstatbestand zu einem besonders schweren Fall Berücksichtigung fand. Da der Gesetzgeber keine Vorgaben zur Bestimmung der nicht geringen Menge gemacht hat, sind m.E. auch im KCanG die geltenden Grundsätze zur Bestimmung der nicht geringen Menge heranzuziehen. Eine Anhebung des Grenzwertes kann daher nur erfolgen, wenn Gerichte mit Unterstützung von Toxikologen zur Auffassung gelangen, dass 15 mg x 500 Konsumeinheiten heute nicht mehr das Gefahrenpotential von Cannabis abbilden. Und das sehe ich auch nach vielen Gesprächen mit Toxikologen nicht.

b) OLG Hamburg, Beschluss vom 9.4.2024 – 5 Ws 19/24

Auch das OLG Hamburg sieht trotz des Hinweises des Gesetzgebers keinen Anlass, eine Veränderung an der Grenzziehung zu Cannabis vorzunehmen, weil sich an der wissenschaftlichen Einschätzung zur Gefährlichkeit von Cannabis nichts geändert habe.

c) AG Karlsruhe, Urt. vom 9.4.2024 – 1 Ls 610 Js 32177/23

Das Amtsgericht Karlsruhe hat die Frage nach der Grenze zur nicht geringen Menge von Cannabis dahingehend entschieden, dass die nicht geringe Menge dann vorliegt, wenn die gemäß § 3 KCanG erlaubte Menge um mehr als das 10-fache überschritten ist, d.h. wenn man zu Hause mehr als 500 g getrocknetes Cannabis oder außerhalb des Wohnsitzes mehr als 250 g getrocknetes Cannabis besitzt (s. hier).

4. Maßgebliche Menge zur Bestimmung der nicht geringen Menge

Bei Tathandlungen, die keine Freigrenzen für den Umgang mit Cannabis vorsehen, zB das Handeltreiben, ist unstreitig die gesamte tatgegenständliche Cannabismenge für die Bestimmung der nicht geringen Menge maßgeblich.

Beispiel: T handelt mit 70 g Cannabis. Hier ist die gesamte Menge für den Schuldumfang und die Bestimmung der nicht geringen Menge heranzuziehen.

Bei Tathandlungen mit erlaubter Freigrenze nach § 2 Abs. 1 iVm Abs. 3 KCanG, wie Besitz, Anbau und Erwerb eines Mitglieds in einer Anbauvereinigung, sieht es m.E. anders aus. Hier kann sich die nicht geringe Menge nur auf den die Freigrenze überschreitenden Teil beziehen, z.B. beim strafbaren Besitz von Cannabis außerhalb der Wohnung nur der 25g übersteigende Anteil oder beim strafbaren Besitz von Cannabis insgesamt nur der 50g übersteigende Anteil. Denn die Mengen bis 25 g/50 g darf er ohne Wenn und Aber legal besitzen, so dass sie bei der Mengenberechnung zur Strafzumessung und nicht geringen Menge in Abzug zu bringen sind.

Beispiel: T besitzt zu Hause 70 g Cannabis. Er macht sich nach § 34 Abs. 1 Nr. 1 KCanG strafbar, weil er die Grenze von 60 g überschreitet. Im Rahmen des Schuldumfangs und bei der nicht geringen Menge ist aber nur der Anteil zu berücksichtigen, der die nach § 3 Abs. 2 KCanG erlaubten 50 g überschreitet, also 20 g. Damit gibt es auch kein rechtspolitisches Bedürfnis zur Anhebung des Grenzwertes der nicht geringen Menge, weil dem Willen des Gesetzgebers, Konsumenten zu privilegieren, bereits Rechnung getragen ist.

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5 Kommentare

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Sehr geehrter Herr Patzak,

Ihre vorliegenden Überlegungen zum Grenzwert der nicht geringen Menge halte ich in zweierlei Hinsicht für bedenklich.

Zunächst überschreiten die Überlegungen die verfassungsrechtlichen Grenzen der Auslegung. Das BVerfG geht in st. Rspr. davon aus, dass Auslegung entgegen des ausdrücklich erklärten Gesetzgeberwillens unzulässig ist. "Eine Interpretation, die sich über den klar erkennbaren Willen des Gesetzgebers hinwegsetzt, greift unzulässig in die Kompetenzen des demokratisch legitimierten Gesetzgebers ein" (BVerfG NZA 2018, 774 Rn. 73 mwN). Das gilt in besonderem Maße im Strafrecht. Hier garantiert Art. 103 Abs. 2 GG die Entscheidungshoheit der Legislative in besonderem Maße (vgl. Pschorr, in: Strafrecht und Demokratie, 2023). Der Wille des Gesetzgebers war hier nicht (nur) auf eine mildere Bestrafung gerichtet, sondern verlangt explizit einen höheren Grenzwert.

Diesen Gesetzgeberwillen zu missachten, ließe sich nur mit dem Argument begründen, dass es Aufgabe des Gesetzgebers gewesen wäre, die nicht geringe Menge selbst zu bestimmen. Dann allerdings ist die Folge nicht die Beibehaltung des bisherigen Grenzwerts, sondern vielmehr die Verfassungswidrigkeit der Strafnorm.

Weiterhin gehen Sie davon aus, der BGH habe den bisherigen Grenzwert anhand der Gefährlichkeit bestimmt. Dahin geht auch die Formulierung des Gesetzgebers, der von einer abweichenden Gefährlichkeitseinschätzung spricht. Tatsächlich sah sich der BGH nicht in der Lage, die nicht geringe Memgr anhand der Gefährlichkeit von Cannabis zu bestimmen und wurde deshalb rein rechtsschöpferisch tätig (Devitz/Pschorr, SchlHA 2023, 401, 402 f.). Während nach bisheriger Rechtslage eine nähere Bestimmung durch die Rechtsprechung noch im Lichte des Bestimmtheitsgebots vertretbar war, weil eine mengenmäßige Bestimmung durch den Parlamentsgesetzgeber für alle erdenklichen Betäubungsmittel kaum möglich gewesen wäre, gilt das für das KCanG (beschränkt auf Cannabis) nicht. Der drohende Wildwuchs in der Rechtsprechung, den Sie hier bereits andeuten, ist verfassungsrechtlich unhaltbar.

Ich würde mich freuen, wenn Sie diese Überlegungen für die Erarbeitung der Kommentierung berücksichtigen würden und stehe für einen weiteren Austausch jederzeit zur Verfügung.

Herzliche Grüße
StA Simon Pschorr
Neue Richter*innenvereinigung

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Zunächst: Eine tolle Serie von Herrn Dr. Patzak!!!! Unbedingt lesenswert!

 

Zur Diskussion:

Ich habe so ein wenig bei den ganzen Diskussionen um das KCanG das Gefühl, es gehe Jurist*innen und Mediziener*innen darum, möglichst viel "von früher zu retten". Mit der Freiheit und der Selbstverantwortung des Einzelnen tun sie sich schwer. Und auch damit, dass der Gesetzgeber vorgibt, was ist, nicht die tatsächlichen/vorgeblichen Spezialist*innen. Die Behauptung etwa, die "nicht geringe Menge" könne einfach bleiben, scheint mir (ganz vorsichtig formuliert) sehr erstaunlich. Ich glaube, Aufgabe der Jurist*innen ist es nicht, den Willen des Gesetzgebers um jeden Preis auszubremsen, sondern ihm vielmehr einen Weg zu bahnen!!! 

Dem Kollegen Pschorr danke ich für die schönen Ausführungen oben. 

Sehr geehrter Herr Pschorr,

lieber Herr Krumm,

vielen Dank für Ihre ausführlichen Kommentare.

Ich bin mir durchaus bewusst, dass man die Frage der "nicht geringen Menge" auch anders beantworten kann. Das OLG Hamburg und ich interpretieren die Gesetzesbegründung dahingehend, dass die nicht geringe Menge weiterhin anhand naturwissenschaftlicher Bewertung der Gefährlichkeit zu bestimmen ist. Ansonsten hätte es der Gesetzgeber selbst machen können. Da ich davon ausgehe, dass die Konsumeinheit von 15 mg unbestritten ist, hängt es damit an der Anzahl der Konsumeinheiten (zurzeit 500). Ich stelle infrage, ob die Toxikologen in diesem Fall die Einschätzung des Gesetzgebers zur Gefährlichkeit teilen und zu einem höheren Wert als 500 kommen werden.

Was momentan passiert, das ist - wie Sie, Herr Pschorr, zurecht anmerken - ein Wildwuchs. Ich würde es etwas plakativ ARD nennen: ahnen, raten, deuten. Deshalb wäre mir eine nachvollziehbare Festlegung des Grenzwertes anhand naturwissenschaftlicher Grundsätze lieber, egal wo diese dann liegen wird. Ich versichere Ihnen, mein Herz hängt nicht an den 7,5 g THC...

Ich verweise nochmal darauf, dass wir nicht außer Acht lassen dürfen, was denn die maßgebliche Menge zur Bestimmung der nicht geringen Menge im konkreten Einzelfall ist. Und hier bin ich ganz beim Gesetzgeber mit seinem Ziel, Konsumenten zu priviligieren. Daher müssen meiner Meinung die Freimengen nach § 2 Abs. 1 iVm Abs. 3 KCanG aus dem Schuldumfang und der Berechnung der nicht geringen Menge herausfallen, also beim strafbaren Besitz die 25g oder 50g nach § 3 KCanG (je nachdem ob zu Hauses oder außerhalb des Wohnsitzes). Es ist doch unbillig, wenn ich 25g/50 g unabhängig vom Wirkstoffgehalt haben darf, beim Besitz von 65 g im Falle des Überschreitens der nicht geringen Menge mir die Gesamtmenge zur Last gelegt wird. Daher darf hier m.E. nur die 25g/50g überschreitende Menge zur Berechnung der nicht geringen Menge herangezogen werden. Und wir sollten nicht vergessen: § 34 Abs, 3 KCanG ist "nur" ein besonders schwerer Fall, bei dem die Aspekte Eigenkonsum und nur geringfügige Überschreitung der nicht geringen Menge unschwer zur Anwendung des Normalstrafrahmen des § 34 Abs. 1 KCanG führen (zur Erinnerung: GS oder FS bis zu 3 Jahren).

Beim Dealer ist das anders. Mangels Freigrenze ist bei ihm die Gesamtmenge zu berücksichtigen. Das ist auch richtig so, da mit dem Gesetz der Schwarzmarkt verdrängt werden soll. Ich verstehe daher die Aufregung um die Entscheidung des OLG Hamburg in den sozialen Medien nicht, hier ging es um ein Handeltreiben mit 72,01 g Marihuana mit einem Wirkstoffgehalt von 10,21 g. Es liest sich mancherorts, als müssten wir Cannabisdealer nun als heilige Samariter behandeln. Ich kann die Freude über einen Freispruch eines Drogendealers durch das LG Mannheim, der über EncroChat mit 450 kg Cannabis (!) gedealt hat, nur weil es nach neuer Rechtslage beim gewerbsmäßigen Handeltreibens mit Cannabis an einem Verweis auf § 100b StPO fehlen soll, jedenfalls nicht teilen.

Wir werden sehen, wie die Obergerichte diese Rechtsfragen weiter beantworten werden.

Mit freundlichen Grüßen

Jörn Patzak

 

Sehr geehrter Herr Patzak,

danke für die ausführliche Antwort. Die Entscheidung des LG Mannheim überrascht zwar im Ergebnis, setzt aber konsequent den Wortlaut des § 100e Abs. 6 StPO um - eine Vorschrift, die für den Beweistransfer zwischen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union einfach nicht passt. In der im Erscheinen befindliche Neuauflage des Eisenberg, Beweisrecht habe ich einige Randnummern dazu ausgeführt. Was die Kriminalisierung des Handeltreibens angeht: Der Gesetzgeber hat sich für diese (zugegebenermaßen irritierende) Neuregelung in § 100b Abs. 2 StPO entschieden. Dessen Primat müssen wir nun einmal anerkennen. Dass es bei § 100e Abs. 6 StPO auf den Zeitpunkt der (das heißt: jeder) Verwendung ankommt, führt zu der Abweichung von der Verwertung im Ursprungsverfahren, in dem es allein auf den Erhebungszeitpunkt ankommt.

Ihr Plädoyer für eine empiriegeleitete Ausfüllung unbestimmter Mengenbegriffe kann ich in der Sache unterstützen, doch bleibt es eine Entscheidung des Gesetzgebers, welche Parameter die empirische Bestimmung leiten sollen. Dass es die Gefährlichkeit von Cannabis gerade nicht sein kann, anerkennt der BGH seit 1987, gibt es doch keine letale oder in besonderem Maße gesundheitsschädliche Wirkstoffmenge, die das Maß der nicht geringen Menge vorgeben könnte. Deshalb ist die Definition anhand von 500 Konsumeinheiten willkürlich und überschreitet die Grenzen richterlicher Auslegung hin zur Rechtsschöpfung entgegen Art. 103 Abs. 2 GG.

Das hält den Bundesgerichtshof (noch immer) nicht davon ab, diese Rechtsprechungslinie fortzusetzen. Gerade reingekommen: https://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bgh&Art=pm&Datum=2024&nr=137337&pos=0&anz=93

Herzliche Grüße

Simon Pschorr

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Liebe Juristenkollegen,

bei den Diskussionen, die  infolge dieser halbherzigen "Legalisierung" auftreten, stelle ich mir immer vor, wie das ganze analog bei der Droge Alkohol zu beobachten wäre. Zwei Flaschen Bier, eine Flasche Wein und (vielleicht sogar) auch eine Flasche Schnaps pro Haushalt wäre dann möglicherweise erlaubt, man könnte zur Nachschubversorgung auch Mitglied einer kleinen Destille, Winzerei oder Brauerei werden.

Aber die Zufahrtswege zu den entsprechenden Vertriebsstätten (weit weg von Kinderspielplätzen, Schulen und Festzelten) wären ein Eldorado für die Ordnungshüter, insbesondere in Bayern. Dass dabei auch mal ein ehemaliger BGH-Richter des ersten Senats in die Fänge geriete, weil er zwei Kisten Bier im Kofferraum transportiert, das könnte schnell mal passieren. Seine (ehem.) Kollegen  sinnierten dann darüber, den Besitz einer nicht geringen Menge zu definieren und können dazu sogar echte Aufsätze aus rechtsmedizinischen Zeitschriften  zitieren, in denen die Gefährlichkeit solcher Mengen Alkohol (5% von 20l sind immerhin 1 l reiner Alkohol) nachgewiesen wird. Aber eigentlich braucht es dazu keine medizinische Expertise: Die Gefährlichkeit von Alkohol ist ja seit vielen Jahrzehnten allgemein bekannt.

Kurz: Ich könnte mich drüber amüsieren, wäre es nicht so traurig.

Herzliche Grüße

Henning Ernst Müller

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