EuGH v. 20.12.2017, Rs. C-462/16 - Boehringer Ingelheim: Pharmabranche mit Rückenwind aus Luxemburg

von Dr. Helge Jacobs, veröffentlicht am 22.12.2017
Rechtsgebiete: Steuerrecht|7270 Aufrufe

Kurz vor Weihnachten gibt der EuGH Pharmaherstellern Hoffnung auf einen wahren Geldsegen.

Pharmahersteller sind in Deutschland gesetzlich verpflichtet, sowohl gesetzlichen Krankenkassen als auch privaten Krankenversicherungen Rabatte auf verschreibungspflichtige Arzneimittel einzuräumen. Während diese gesetzlich angeordneten Rabatte bei Abgabe der Medikamente an Kassenpatienten die Umsatzsteuerlast des Pharmaunternehmers mindert und der Unternehmer nur mit dem Nettoaufwand aus der Rabattgewährung belastet wird, bleibt der einer privaten Krankenversicherung gewährte Rabatt umsatzsteuerlich ohne Auswirkung und wird somit vollumfänglich gewinnwirksam.

Grund hierfür soll nach Auffassung der deutschen Finanzverwaltung die unterschiedliche rechtliche Organisation der Abgabe der Medikamente an die Patienten sein. Arzneimittel werden an gesetzlich Krankenversicherte aufgrund eines Rahmenvertrages mit dem Spitzenverband der Krankenkassen abgegeben. Die Apotheken gewähren den Krankenkassen einen Abschlag auf die Arzneimittelpreise. Die Pharmaunternehmen sind ihrerseits verpflichtet den Apothekern diesen Abschlag zu erstatten. Arzneimittel für privat Krankenversicherte geben die Apotheken hingegen aufgrund von Einzelverträgen an die Privatversicherten ab. Die Krankenversicherung erstattet dem Privatversicherten die Arzneimittelkosten und hat ihrerseits einen Kostenerstattungsanspruch gegen die Apotheke.

Während bei der Abgabe verschreibungspflichtiger Medikamente durch Apotheker an Kassenpatienten die Krankenkasse als Abnehmer der Arzneimittellieferung gilt, ist eine private Krankenversicherung selbst nicht in die Leistungskette eingebunden: Die umsatzsteuerlichen Konsequenzen sind erheblich. Denn nur der den Krankenkassen gewährte Rabatt behandelt die Finanzverwaltung umsatzsteuerrechtlich als Entgeltminderung (vgl. Erlass des BMF v. 14.11.2012, DStR 2012, 2388, unter I.1.). Eine solche Entgeltminderung soll bei Abschlägen an Unternehmen der privaten Krankenversicherung ausscheiden, da sie – außerhalb der Leistungskette stehend - nicht selbst Abnehmer einer Arzneimittelmittellieferung wird. Die Finanzverwaltung erkennt diesen Abschlag umsatzsteuerrechtlich nicht als Entgeltminderung an (vgl. BMF-Erlass, DStR 2012, 2388, unter I.2.).

Der EuGH hat nun entschieden: Auf diese Differenzierung kommt es nicht an. Der EuGH begründet dies mit dem Neutralitätsgrundsatz und kann sich auf aus seiner bisherigen Rechtsprechung zur Rabattgewährung in mehrstufigen Vertriebsketten abgeleitete Grundsätze stützen (vgl. insbesondere EuGH vom 24.10.1996, Rs. C-317/94 - Elida Gibbs, EU:C:1996:400, Rn. 31). Nach dieser Rechtsprechung kann auch dann von einer Entgeltminderung auszugehen sein, wenn ein Unternehmer nicht seinem unmittelbaren Vertragspartner, sondern Zahlungen an einen anderen, in der Kette nachgelagerten Abnehmer leistet. Denn auch dann mindere sich der Betrag, der dem Unternehmer aufgrund seiner Lieferung letztlich verbleibe. Dass die Zahlungen nicht an die in der Lieferkette eingebundene Krankenversicherung geleistet werde, hielt der Gerichtshof für unbeachtlich. Der Umstand, dass der Abschlag gesetzlich festgelegt und der privaten Krankenversicherung zwingend zu gewähren sei, spreche zudem dagegen, die zur Finanzierung des Zwangsrabatts nötigen Mittel als Bestandteil der Gegenleistung für die Arzneimittellieferungen zu qualifizieren: Der Unternehmer könne über den Verkaufspreis nicht frei verfügen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 19. Juli 2012, International Bingo Technology, C-377/11, EU:C:2012:503, Rn. 31).

Betroffene Unternehmer sollten schnellstmöglich prüfen, ob sie von der Entscheidung des EuGH betroffen sind. Zwar stehen Umsatzsteuererklärungen als Steueranmeldungen Steuerbescheiden unter Vorbehalt der Nachprüfung gleich und sind daher auf Antrag des Steuerpflichtigen grundsätzlich änderungsfähig. Ein Änderungsantrag ist aber nur bis zum Ablauf der Festsetzungsverjährung zulässig. Und diese droht z.B. für den Besteuerungszeitraum 2012 bereits zum Jahresende abzulaufen. Wer also „den Schatz“ heben möchte, muss sich unter Umständen beeilen.

Die an ZESAR (Zentrale Stelle zur Abrechnung von Arzneimittelrabatten des Privaten Krankenversicherungsverbandes) geleisteten Zahlungen könnten für länger in der Vergangenheit liegende Besteuerungszeiträume somit u.U. nicht mehr nutzbar gemacht werden. Diese „Störung der Weihnachtsruhe“ könnte sich aber bezahlt machen...

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