StPO intensiv: Aussage gegen Aussage bei wechselndem Aussageverhalten

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 17.07.2012

"Aussage-gegen-Aussage"-Situationen ohne so genannte weitere Beweismittel sind immer schwierig. Wem glaubt man? Und vor allem: Warum? Das Gericht muss natürlich im Rahmen der schriftlichen Urteilsgründe hierzu seine Ansicht ausführlich begründen. Im Blog gab es daher dieses revisionsrechtliche Dauerbrennerthema schon mehrfach. Aktuell hat der BGH einen Sachverhalt entschieden, in dem das Opfer unterschiedlich ausgesagt hatte:

 

 Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes in vier Fällen unter Einbeziehung der Einzelstrafen aus einem früheren Urteil zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt. Es hat ihn ferner dazu verurteilt, an die Nebenklägerin ein Schmerzensgeld in Höhe von 5.000 Euro nebst Zinsen zu zahlen. Hiergegen richtet sich die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel hat Erfolg.
Die Beweiswürdigung im angefochtenen Urteil unterliegt durchgreifenden Bedenken. Das Tatgericht ist zwar nicht schon aufgrund des Zweifelssatzes an der Verurteilung gehindert, wenn „Aussage gegen Aussage“ steht. Wird die Tat vom Tatopfer selbst geschildert, so kann der Angeklagte auf dieser Grundlage verurteilt werden, wenn das Tatgericht von der Glaubhaftigkeit der Aussage des einzigen Belastungszeugen überzeugt ist. Es muss sich jedoch insbesondere dann, wenn eine Aussageänderung eingetreten ist, bewusst sein, dass die Aussage dieses Zeugen einer besonderen Glaubwürdigkeitsprüfung zu unterziehen ist (vgl. BGHSt 44, 153, 158). An einer lückenlosen Gesamtwürdigung der Indizien fehlt es hier jedoch.
Die Nebenklägerin hatte in einem früheren Verfahren wegen Straftaten des Angeklagten zum Nachteil anderer Geschädigter in zwei Tatsacheninstan-zen als Zeugin ausgesagt, sie selbst sei nicht von ihm sexuell missbraucht worden. Danach wurde sie wegen vorsätzlich falscher uneidlicher Aussage straf-rechtlich verfolgt. Sie wandte sich daraufhin an eine Sozialarbeiterin und bekundete dieser gegenüber, der Angeklagte habe auch mit ihr „alles“ gemacht. Nach anwaltlicher Beratung gab sie eine Falschaussage im vorangegangenen Strafverfahren zu, erstattete Strafanzeige und belastete den Angeklagten im Sinne der Urteilsfeststellungen. Das Landgericht hat angenommen, für eine nunmehr gemachte Falschaussage zum Nachteil des Angeklagten bestünden „keinerlei Anhaltspunkte“. Das gegen sie gerichtete Strafverfahren ergebe kein Falschaussagemotiv. Diese Würdigung ist für das Revisionsgericht nicht nachprüfbar. Das Landgericht hat nicht mitgeteilt, wie die Nebenklägerin als Zeugin die Frage danach beantwortet hat, warum sie im vorangegangenen Strafverfahren in zwei Tatsacheninstanzen jeweils eine Tatbegehung des Angeklagten zu ihrem Nachteil in Abrede gestellt hatte. Ferner ist nicht dargetan, welche Anga-ben die Sozialarbeiterin als Zeugin zu dem Gespräch mit der Nebenklägerin gemacht hat, in dessen Folge eine Aussageänderung eingetreten ist. Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Urteil auf diesen Darstellungsmängeln beruht, weil das Aussagemotiv hier von zentraler Bedeutung für die Beurteilung der Glaubhaftigkeit der belastenden Angaben ist. Deshalb muss die Sache neu verhandelt und entschieden werden.

 

BGH, Beschluss vom 19.4.2012 - 2 StR 5/12

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