BAG: Kündigung des Chefarztes wegen zweiter Eheschließung (immer noch) unwirksam

von Prof. Dr. Christian Rolfs, veröffentlicht am 20.02.2019
Rechtsgebiete: Bürgerliches RechtArbeitsrecht|4741 Aufrufe

Nicht ganz überraschend hat das BAG heute erneut die Kündigung des Chefarztes an einem katholischen Krankenhaus wegen zweiter (weltlicher) Eheschließung trotz Fortbestandes der kirchlichen Ehe mit der ersten Ehefrau für unwirksam erklärt.

Über den Fall haben Markus Stoffels und ich hier im BeckBlog bereits mehrfach berichtet:

Die Beklagte ist Trägerin von Krankenhäusern und institutionell mit der katholischen Kirche verbunden. Der katholische Kläger ist bei ihr als Chefarzt beschäftigt. Den Dienstvertrag schlossen die Parteien unter Zugrundelegung der vom Erzbischof von Köln erlassenen Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse vom 23.9.1993 (GrO 1993). Nach Art. 5 Abs. 2 GrO 1993 kann ein schwerwiegender Loyalitätsverstoß, darunter der Abschluss einer nach dem Glaubensverständnis und der Rechtsordnung der Kirche ungültigen Ehe, eine Kündigung rechtfertigen. Der Kläger war nach katholischem Ritus verheiratet. Nach der weltlichen Scheidung von seiner ersten Ehefrau heiratete er im Jahr 2008 ein zweites Mal standesamtlich, ohne dass die erste Ehe kirchenrechtlich aufgehoben worden wäre. Nachdem die Beklagte hiervon Kenntnis erlangt hatte, kündigte sie das Arbeitsverhältnis ordentlich zum 30.9.2009.

Das Arbeitsgericht Düsseldorf hat der Kündigungsschutzklage stattgegeben, das LAG Düsseldorf die Berufung zurückgewiesen. Eine erste Revision zum BAG blieb erfolglos (BAG, Urt. vom 8.9.2011 - 2 AZR 543/10, NZA 2012, 443). Auf die Verfassungsbeschwerde der Beklagten hat das BVerfG das Urteil des BAG aufgehoben (BVerfG, Beschl. vom 22.10.2014 - 2 BvR 661/12, BVerfGE 137, 273 = NZA 2014, 1387). In dem daraufhin wiedereröffneten Revisionsverfahren hat das BAG den EuGH um Vorabentscheidung ersucht (BAG, Beschl. vom 28.7.2016 - 2 AZR 746/14 (A), NZA 2017, 388). Der EuGH hat mit Urteil vom 11.9.2018 (C-68/17, IR ./. JQ, NZA 2018, 1187) Hinweise zur Auslegung von Art. 4 der RL 2000/78/EG gegeben. Im nunmehr dritten Revisionsverfahren hat das BAG die Revision erneut zurückgewiesen:

Die Kündigung ist nicht durch Gründe im Verhalten oder in der Person des Klägers sozial gerechtfertigt (§ 1 Abs. 2 KSchG). Mit seiner Wiederverheiratung verletzte dieser weder eine wirksam vereinbarte Loyalitätspflicht noch eine berechtigte Loyalitätserwartung der Beklagten. Die Vereinbarung im Dienstvertrag der Parteien, mit der die GrO 1993 in Bezug genommen wurde, ist gem. § 7 Abs. 2 AGG unwirksam, soweit dadurch das Leben in kirchlich ungültiger Ehe als schwerwiegender Loyalitätsverstoß bestimmt ist. Diese Regelung benachteiligte den Kläger gegenüber nicht der katholischen Kirche angehörenden leitenden Mitarbeitern wegen seiner Religionszugehörigkeit und damit wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes, ohne dass dies nach § 9 Abs. 2 AGG gerechtfertigt ist. Dies folgt aus einer unionsrechtskonformen Auslegung von § 9 Abs. 2 AGG, jedenfalls aber aus dem Anwendungsvorrang des Unionsrechts. Die Loyalitätspflicht, keine nach dem Glaubensverständnis und der Rechtsordnung der katholischen Kirche ungültige Ehe zu schließen, war im Hinblick auf die Art der Tätigkeiten des Klägers und die Umstände ihrer Ausübung keine wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung.

Nationales Verfassungsrecht (vgl. dazu BVerfG 22. Oktober 2014 - 2 BvR 661/12 -) steht dem nicht entgegen. Das Unionsrecht darf die Voraussetzungen, unter denen die der Kirche zugeordneten Einrichtungen ihre Beschäftigten wegen der Religion ungleich behandeln dürfen, näher ausgestalten. Der Europäische Gerichtshof hat mit seiner Auslegung der Richtlinie 2000/78/EG seine Kompetenz nicht überschritten. Es handelt sich nicht um einen „Ultra-Vires-Akt“ oder einen solchen, durch den die Verfassungsidentität des Grundgesetzes berührt wird.

Man darf gespannt sein, ob die Beklagte ein weiteres Mal Verfassungsbeschwerde einlegen wird.

BAG, Urt. vom 20.2.2019 - 2 AZR 746/14, Pressemitteilung hier

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