Der Kiffer hat Glück beim Verwaltungsgericht: Falsche Rechtsgrundlage im Bescheid bringt aufschiebende Wirkung!

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 04.05.2023
Rechtsgebiete: Verkehrsrecht|1835 Aufrufe

Schön für den Kiffer: Wiederholt ist er mit THC im Blut gefahren. Dann wollte man ihm verwaltungsrechtlich die Fahrerlaubnis "wegnehmen", weil er kein Gutachten zur Fahreignung vorlegte. In der entsprechenden Anordnung hatte sich ein Fehler eingeschlichen, so dass diese bei der Abwehr der Fahrerlaubnisentziehung zum Antragserfolg führte:

Die aufschiebende Wirkung der Klage 6 K 1770/23 des Antragstellers gegen den Bescheid des Antragsgegners vom ... N. ... wird hinsichtlich der Entziehung der Fahrerlaubnis und der Verpflichtung zur Abgabe des Führerscheins angeordnet. Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.

 Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.

 Gründe: 

 Der Einzelrichter ist nach § 6 VwGO zur Entscheidung berufen.

 Der Antrag des Antragstellers auf Wiederherstellung bzw. Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner parallel erhobenen Anfechtungsklage gegen die Ordnungsverfügung des Antragsgegners vom ... N. ... hat überwiegend Erfolg.

 1. Soweit sich der nach § 80 Abs. 5 VwGO statthafte Antrag gegen die für sofort vollziehbar erklärte Entziehung der Fahrerlaubnis wendet, ist der Antrag begründet. Es ist nach Aktenlage überwiegend wahrscheinlich, dass sich die Fahrerlaubnisentziehung im parallelen Klageverfahren als rechtswidrig herausstellen wird. Deswegen überwiegt das Interesse des Antragstellers, einstweilen von der Fahrerlaubnisentziehung verschont zu bleiben, das vom Antragsgegner vertretene öffentliche Interesse, die Rechtsfolge der Entziehungsverfügung bereits vor deren Bestandskraft eintreten zu lassen.

 a) Es steht mit für das Eilrechtsschutzverfahren hinreichender Sicherheit fest, dass der Antragsteller gelegentlich, also mindestens zweimal, Cannabis konsumiert hat. Rechtsmedizinisch untersuchte Blutproben aus Januar und Februar 2022 haben jeweils THC-Werte oberhalb des Grenzwerts von 1 ng THC/ml Blutserum ergeben. Da diese Blutproben anlässlich von Verkehrskontrollen erfolgten, bei denen der Antragsteller am Steuer eines Kraftfahrzeuges saß, steht weiter fest, dass er zweifach gegen das Gebot verstoßen hat, den Konsum von Cannabis und das Führen von Kraftfahrzeugen im öffentlichen Straßenverkehr zu trennen.

 b) Aus dem gelegentlichen Cannabiskonsum kann jedoch auch bei einem zweifachen Verstoß gegen das Trennungsgebot im Regelfall noch nicht nach § 11 Abs. 7 FeV ohne weitere Aufklärung auf die Fahrungeeignetheit des Drogenkonsumenten geschlossen werden.

 Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 17. Februar 2020 – 16 B 885/19, NJW 2020, 2047.

 Zwar mag eine Gesamtwürdigung des Betroffenen im Einzelfall bei besonderen Umständen auch ohne sachverständige Untersuchung den Rückschluss auf die mangelnde Fahreignung zulassen. Solche besonderen Umstände sind der Akte jedoch nicht zu entnehmen. Ein besonders gravierendes verkehrsgefährdendes Verhalten lässt sich beim Antragsteller nicht feststellen. Insbesondere liegen die rechtsmedizinisch bei ihm festgestellten THC-Werte von 4,9 ng/ml und 2,5 ng/ml nur geringfügig oberhalb bzw. sogar unterhalb des Wertes von 3 ng/ml, bei dem nach der Empfehlung der Grenzwertkommission sicher feststeht, dass die Steuerungsfähigkeit beeinträchtigt ist.

 Zum Wert von 3 ng: OVG NRW, Urteil vom 15. März 2017 – 16 A 432/16, NWVBl 2017, 379.

 c) Dem Antragsgegner war es auch nach § 11 Abs. 8 FeV verwehrt, von der Fahrungeeignetheit des Antragstellers auszugehen. Zwar hat dieser das angeforderte medizinisch-psychologische Gutachten nicht fristgerecht vorgelegt. Hieraus durfte der Antragsgegner aber nicht auf die mangelnde Fahreignung des Antragstellers schließen, weil die Begründung der Gutachtenanforderung rechtsfehlerhaft war. Ein solcher Rückschluss aus der Nichtvorlage ist nur zulässig, wenn die Aufforderung zur Beibringung des Fahreignungsgutachtens formell und materiell rechtmäßig, insbesondere anlassbezogen und verhältnismäßig war.

 Vgl. BVerwG, Urteile vom 7. April 2022 – 3 C 9.21, NJW 2022, 2772, und vom 9. Juni 2005 – 3 C 25.04, NJW 2005, 3081 Rn. 19.

 Die Gutachtenaufforderung vom ... P. ... war nach Aktenlage rechtswidrig, weil sie eine unzutreffende Rechtsgrundlage anführt.

 Ist in einer Gutachtenanordnung eine Rechtsgrundlage ausdrücklich genannt, ist für die Rechtmäßigkeit der Anordnung allein maßgeblich, ob die Voraussetzungen der genannten Rechtsgrundlage vorliegen.

 Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 31. August 2022 – 16 B 1583/21, NJW 2022, 3373.

 Die Gutachtenaufforderung nennt ausdrücklich und allein § 14 Abs. 1 Satz 3 FeV als Rechtsgrundlage. Danach kann die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens angeordnet werden, wenn gelegentliche Einnahme von Cannabis vorliegt und weitere Tatsachen Zweifel an der Eignung begründen.

 Der Antragsgegner führt zur Begründung jedoch mit den beiden Rauschfahrten von Januar und Februar 2022 ausdrücklich zwei Verstöße gegen § 24a StVG an. Hierfür hält § 14 Abs. 2 Nr. 3 FeV eine Spezialregelung bereit, die § 14 Abs. 1 Satz 3 FeV verdrängt. Danach ist die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens für die Zwecke nach Absatz 1 anzuordnen, wenn wiederholt Zuwiderhandlungen im Straßenverkehr nach § 24a des Straßenverkehrsgesetzes begangen wurden.

 Wiederholt in diesem Sinne begeht Zuwiderhandlungen im Straßenverkehr, wer – wie der Antragsteller – mindestens zweimal gegen § 24a StVG verstößt. Eine Fahrt unter Cannabiseinfluss stellt einen Verstoß gegen § 24a StVG und damit eine Verkehrsordnungswidrigkeit dar, wie der Antragsgegner durch den Erlass von zwei Bußgeldbescheiden erkannt hat. Auch in der verkehrsverwaltungsrechtlichen Rechtsprechung und Literatur ist anerkannt, dass die Anforderung einer medizinisch-psychologischen Untersuchung bei zweifachem Verstoß gegen das Gebot, Cannabiskonsum und Kraftfahren zu trennen, auf § 14 Abs. 2 Nr. 3 FeV zu stützen ist.

 Vgl. BVerwG, Urteil vom 11. April 2019 – 3 C 14.17, BVerwGE 165, 215, Rn. 12, 40; OVG NRW, Beschluss vom 17. Februar 2020 – 16 B 885/19, NJW 2020, 2047; Dauer, in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 47. Aufl. 2023, § 14 FeV Rn. 21, 25.

 Als tatbestandlich engere und damit speziellere Norm schließt § 14 Abs. 2 Nr. 3 FeV den Rückgriff auf § 14 Abs. 1 Satz 3 FeV aus, wenn – wie hier – in der Untersuchungsaufforderung keine weiteren Tatsachen als die Verstöße gegen § 24a StVG angeführt werden, um die Eignungszweifel zu begründen. Dieser Fehler wirkt sich auch potenziell bei der Entscheidung des Adressaten aus, ob er der Anordnung Folge leistet. Denn stützt die Behörde die Gutachtenaufforderung bei wiederholten Zuwiderhandlungen i.S.d. § 24a StVG auf die richtige Rechtsgrundlage, kann wegen des eindeutigen Wortlauts und der gebundenen Rechtsfolge für den Adressaten kein Zweifel daran bestehen, dass er der Aufforderung folgen muss. Stützt sie die Aufforderung unrichtig auf § 14 Abs. 1 Satz 3 FeV, können wegen der ausfüllungsbedürftigeren Tatbestandsvoraussetzungen durchaus Zweifel beim Adressaten entstehen, ob die Behörde rechtmäßig handelt.

 Ein bloßer Schreibfehler, der ggf. aus der maßgeblichen Sicht des Fahrerlaubnisinhabers hinzunehmen wäre, liegt ersichtlich nicht vor. Der Antragsgegner wiederholt die Tatbestandsvoraussetzungen des § 14 Abs. 1 Satz 3 FeV in der Anordnung und übt zudem Ermessen aus. § 14 Abs. 2 Nr. 3 FeV hat davon abweichende Tatbestandsvoraussetzungen und stellt die Gutachtenanforderung nicht in das Ermessen der Fahrerlaubnisbehörde.

 2. Soweit sich der Antrag auf die Anordnung der aufschiebenden Wirkung hinsichtlich der gesetzlich sofort vollziehbare Androhung des Zwangsgeldes richtet (§ 112 JustG NRW), bleibt er ohne Erfolg. Denn insofern wird sich die Anfechtungsklage voraussichtlich als unzulässig erweisen. Denn die Zwangsgeldandrohung hat sich erledigt, als der Antragsteller seine Führerscheinkarte am ... N. ... beim Antragsgegner abgegeben hat, so dass der Anfechtungsantrag seitdem insofern höchstwahrscheinlich unstatthaft ist. Der Antragsteller hat die Verpflichtung erfüllt, deren Durchsetzung das Zwangsmittel sichern sollte. Es ist nicht ersichtlich, dass der Antragsgegner das angedrohte Zwangsgeld gleichwohl vollstrecken will.

VG Düsseldorf Beschl. v. 27.3.2023 – 6 L 661/23, BeckRS 2023, 6600 

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