Sitzungssaal verlegt ohne Hinweis auf Verlegung: Unzulässige Geheimverhandlung, weil nicht öffentlich?

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 28.07.2023
Rechtsgebiete: Verkehrsrecht|1584 Aufrufe

Das LG Berlin verlegte kurzfristig den Ort der Hauptverhandlung in einen anderen Saal. Am "alten" Saal wurde kein Hinweis darauf angebracht. An den Gerichtseingängen wurde aber auf die einzelnen Sitzungen im Gerichtsgebäude hingeweisen. Ist hierdurch der Öffentlichkeitsgrundstz verletzt? Nein - meint das KG in einer schon etwas zurückliegenden Entscheidung:

 

Die Verfahrensrüge, das Landgericht habe wegen eines vor dem ursprünglichen Sitzungssaal nicht angebrachten Hinweises auf den geänderten Sitzungsort den Grundsatz der Öffentlichkeit nach Maßgabe von § 338 Nr. 6 StPO verletzt, ist jedenfalls unbegründet.

 a) Der Grundsatz der Öffentlichkeit (§ 169 Abs. 1 Satz 1 GVG) erfordert es, dass jedermann die Möglichkeit hat, sich ohne besondere Schwierigkeiten davon Kenntnis zu verschaffen, wann und wo ein erkennendes Gericht eine Hauptverhandlung abhält (vgl. BGH NStZ 1982, 476; OLG Schleswig, Beschluss vom 31. März 2022 – II OLG 15/22 –, juris). Der Hinweis auf eine bestimmte Verhandlung hat grundsätzlich in Form eines Aushangs zu erfolgen, damit jeder interessierte Zuschauer die Möglichkeit erhält, die gewünschte Verhandlung zu verfolgen (vgl. OLG Koblenz NZV 2011, 266; OLG Zweibrücken NJW 1995, 333; Kissel/Mayer, GVG 10. Aufl., § 169 GVG Rdn. 47).

 Entgegen der missverständlichen – vom Wortlaut der Entscheidungsgründe abweichenden – Formulierung des Leitsatzes zum Beschluss des OLG Schleswig vom 31. März 2022 (a.a.O.) bedarf es nicht stets eines zusätzlichen Aushangs vor dem Sitzungssaal (so aber – ohne Begründung – Kissel/Mayer a.a.O.), wenn Zuschauer auf andere Weise zumutbar in Erfahrung bringen können, wann und wo eine bestimmte Hauptverhandlung stattfindet (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO 65. Aufl., § 169 Rdn. 4a), namentlich dann, wenn dies aus einem im Eingangsbereich des Gerichts angebrachten Aushang unzweifelhaft hervorgeht. Dabei ist in den Blick zu nehmen, dass gerade in großen und unübersichtlichen Gerichtsgebäuden (wofür das Kriminalgericht Moabit exemplarisch ist) die Möglichkeit für die Öffentlichkeit, sich ohne besondere Schwierigkeiten über Ort und Zeit einer Hauptverhandlung zu informieren, in zumutbarer Weise nicht durch Aushänge an den Sälen eröffnet wird, sondern vielmehr durch einen zentralen Aushang im Eingangsbereich des Gerichts. Andernfalls wären Besucher gezwungen, das Gerichtsgebäude nach einer bestimmten Sitzung “abzusuchen”. Zugleich wären sie damit dem Risiko ausgesetzt, zu spät zur Sitzung zu erscheinen.

 b) Den dargelegten Anforderungen zur Wahrung des Öffentlichkeitsgrundsatzes ist die von der Strafkammer durchgeführte Berufungshauptverhandlung gerecht geworden. Ausweislich der dienstlichen Äußerung der Kammervorsitzenden vom 31. Oktober 2022 befanden sich an den Gerichtstafeln der beiden dem Publikumsverkehr zugänglichen Eingänge (W. Straße und T. straße) Aushänge, die am Sitzungstag auf den (korrekten) Saal und den Sitzungsbeginn der anberaumten Berufungshauptverhandlung hinwiesen. Dass vor dem Saal, in dem die Sitzung ursprünglich stattfinden sollte, kein Hinweis auf die in einen anderen Saal verlegte Hauptverhandlung angebracht war, hatte keinen Einfluss auf die bestehenden Informationsmöglichkeiten der Öffentlichkeit über Ort und Zeit der Sitzung, mag der fehlende Verlegungshinweis auch wegen der davon abweichenden Ladung von Verfahrensbeteiligten zu einer vermeidbaren Verzögerung der Berufungshauptverhandlung geführt haben.

KG Urt. v. 21.12.2022 – 121 Ss 165/22, BeckRS 2022, 45374

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