BGH: Aufklärungspflichten des Verkäufers bei Einrichtung eines virtuellen Datenraums

von Julia MacDonald, veröffentlicht am 06.10.2023

Der BGH hat mit Urteil vom 15. September 2023 (V ZR 77/22, BeckRS 2023, 24630) entschieden, dass die Offenlegung relevanter Informationen in einem virtuellen Datenraum im Rahmen einer Due Diligence erst haftungsausschließend wirkt, wenn der Verkäufer die berechtigte Erwartung haben konnte, dass der Käufer noch vor Vertragsschluss Kenntnis der relevanten Information erlangt.

Verkauf von Gewerbeimmobilien

Der Verkäufer veräußerte mehrere Gewerbeeinheiten für rund EUR 1,5 Mio. Im Kaufvertrag garantierte er, dass keine außergewöhnlichen Instandhaltungskosten angefallen seien bzw. nach seiner Kenntnis anfallen würden. Drei Tage vor der an einem Montagmorgen stattfindenden Beurkundung stellte der Verkäufer in einem virtuellen Datenraum weitere Protokolle der Eigentümerversammlung zur Verfügung, aus denen sich ein Kostenrisiko von EUR 50 Mio. ergab.

Aufklärungspflicht des Verkäufers für Umstände mit erkennbar erheblicher Bedeutung

Nach ständiger Rechtsprechung des BGH treffen den Verkäufer besondere Aufklärungspflichten hinsichtlich solcher Umstände, die für den Käufer von erheblicher Bedeutung sind. Unter Anwendung seiner Rechtsprechung zur Übergabe physischer Unterlagen stellt der Senat klar, dass der Verkäufer seiner Aufklärungspflicht nicht bereits dadurch nachkommt, dass er dem Käufer die Möglichkeit gibt, sich Kenntnis von dem offenbarungspflichtigen Umstand durch Nutzung eines virtuellen Datenraums selbst zu verschaffen. Etwas anderes gelte, wenn der Verkäufer im Einzelfall erwarten könne, dass der Käufer die Unterlagen gezielt durchsehen werde. Im Hinblick auf mögliche Mängel sei dies etwa bei Übergabe eines Sachverständigengutachtens der Fall, nicht jedoch bei der Übergabe von Finanzierungsunterlagen oder Protokollen der Eigentümerversammlung.

Aufklärungspflicht abhängig von Einzelfallumständen

Der Umfang der Aufklärungspflichten hänge von den Umständen des Einzelfalls ab: Entscheidend sei, (i) ob und in welchem Umfang eine Due Diligence durchgeführt werde, (ii) um welche offenzulegende Information es sich handele und in welcher Unterlage diese enthalten sei und (iii) wie der Datenraum und der Zugriff hierauf strukturiert und organisiert sei. Bei der Gestaltung des Datenraums könne z. B. eine Rolle spielen, ob es ein Inhaltsverzeichnis oder eine Suchfunktion gäbe, ob auf nachträglich eingereichte Unterlagen hingewiesen werde und welches Zeitfenster dem Käufer für die Überprüfung der Informationen zur Verfügung stehe. Vorliegend sei ohne weiteren Hinweis an einem Freitag, bei notariellem Vertragsschluss am Montagmorgen, eine Durchsicht des Datenraums insgesamt nicht mehr zu erwarten gewesen.

Bestätigung des Erhalts begründet nur Beweislastumkehr

Nach Ansicht des Senats begründet eine Bestätigung über den Erhalt des fraglichen Eigentümerprotokolls durch den Käufer keine unwiderlegliche Vermutung, sondern allenfalls eine Beweislastumkehr bezüglich der Übergabe des Protokolls.

Haftung wegen falscher Auskunft

Neben einer Haftung wegen unterbliebener Aufklärung kommen nach Ansicht des Senats vorliegend auch Ansprüche wegen einer unrichtigen oder unvollständigen Antwort des Verkäufers auf Fragen des Käufers vor Vertragsschluss sowie wegen unzutreffender Erklärung im Kaufvertrag in Betracht.

Bedeutung für die Praxis

In der Praxis ist die rechtzeitige Planung und Durchführung eines strukturierten Prozesses zur Offenlegung relevanter Informationen im Rahmen der Due Diligence zur Vermeidung von Haftungsrisiken dringend zu empfehlen. Besonderes Augenmerk ist dabei auf die Gestaltung des Datenraums zu legen.

 

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