Die Günstigerprüfung des § 32d Abs. 6 EStG und das Verfahrensrecht – neues Urteil des BFH vom 26.9.2023 (VIII R 10/21, BeckRS 2023, 32773)

von StB Dr. Martin Weiss, veröffentlicht am 26.11.2023
Rechtsgebiete: Steuerrecht|2312 Aufrufe

Vermeintlich eine gute Sache – die „Günstigerprüfung“ des § 32d Abs. 6 EStG, eine „Billigkeitsmaßnahme …, mit der Steuerpflichtige, deren Steuersatz noch niedriger liegt als 25 %, eine weitere Begünstigung erfahren" (BFH v. 28.01.2015 - VIII R 13/13, BStBl II 2015, 393, Rn. 17). Wer meint, dass ihn die „Abgeltungsteuer“ des § 32d Abs. 1, 3, 4 EStG benachteilige, kann sie gleich in der Einkommensteuererklärung beantragen. Sie reiht sich als „Wahlveranlagung zum progressiven Steuersatz“ ein in weitere Abweichungen vom „Normalfall“ des Abgeltungssteuerregimes – wie etwa die „Pflichtveranlagung zum progressiven Steuersatz“ des § 32d Abs. 2 EStG.

Ihre Rechtsfolge nach § 32d Abs. 6 Satz 1 EStG (BMF v. 19.5.2022, BStBl. I 2022, 72, Rn. 150):

Das Finanzamt prüft im Rahmen der Steuerfestsetzung von Amts wegen, ob die Anwendung der allgemeinen Regelungen (insbesondere unter Berücksichtigung des Grundfreibetrags und des Altersentlastungsbetrags) zu einer niedrigeren Steuerfestsetzung führt (Günstigerprüfung). Sollte dies nicht der Fall sein, gilt der Antrag als nicht gestellt. 

Daneben ergeben sich durch die Einbeziehung in das zu versteuernde Einkommen – entgegen der gewohnten Regelung des § 2 Abs. 5b EStG – zahlreiche weitere Änderungen – wie bspw. die Einbeziehung der Kapitalerträge in die Ermittlung des Altersentlastungsbetrags des § 24a EStG (BFH v. 25.4.2017 – III B 51/16, BeckRS 2017, 115200 Rn. 9). Anderes bleibt genau gleich – die Anrechnung ausländischer Steuern ist weiterhin nach § 32d Abs. 5 EStG vorzunehmen (§ 32d Abs. 6 Satz 2 EStG). Ebenso bleibt es bei der fehlenden Berücksichtigung tatsächlicher Werbungskosten gemäß § 2 Abs. 2 Satz 2 EStG (BFH v. 28.1.2015 - VIII R 13/13, BStBl. II 2015, 393).

 

Was aber, wenn die Antragstellung, obwohl sie eigentlich eine Meistbegünstigung des Steuerpflichtigen darstellt und damit risikolos ist, in der Steuererklärung unterblieben ist? Das Gesetz sieht keine zeitliche Begrenzung des Wahlrechts vor.

Dazu meint der BFH in seinem Urteil vom 12.5.2015 (VIII R 14/13, BeckRS 2015, 95475, Rn. 7):

Der Antrag auf Günstigerprüfung nach § 32d Abs. 6 EStG ist unbefristet, so dass er von der Kl. auch nach Eintritt der Unanfechtbarkeit der Einkommensteuerfestsetzung gestellt werden konnte.

Schluss ist damit bezüglich des Wahlrechts nach § 32d Abs. 6 EStG erst bei Eintritt der Festsetzungsverjährung (§ 169 AO). Allerdings braucht der Steuerpflichtige zum Erfolg auch eine Norm zur Änderung des Steuerbescheids, die in § 32d Abs. 6 EStG gerade nicht liegt (BFH v. 12.5.2015 – VIII R 14/13, BeckRS 2015, 95475, Rn. 12). Häufig genug scheitern die Bemühungen um eine „nachträgliche Günstigerprüfung“ dann an der Hürde des groben Verschuldens am erst nachträglichen Bekanntwerden der Tatsachen (§ 173 Abs. 1 Nr. 2 AO) oder an der Fehlvorstellung, die Antragstellung selbst sei ein rückwirkendes Ereignis nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO (BFH v. 14.7.2020 – VIII R 6/17, BeckRS 2020, 26473, Rn. 24).

Mit seinem Urteil vom 26.9.2023 (VIII R 10/21, BeckRS 2023, 32773) bestätigt der BFH nun eine weitere Rechtsprechungslinie: Lagen die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Günstigerprüfung bereits vor Erlass eines Änderungsbescheids vor, liegt in einer geänderten Zusammensetzung der Besteuerungsgrundlagen in einem Änderungsbescheid kein rückwirkendes Ereignis im Sinne des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO, das eine Berücksichtigung der Günstigerprüfung ermöglichen könnte. Abzugrenzen ist dies von dem im Urteil vom 14.7.2020 (VIII R 6/17, BeckRS 2020, 26473) entschiedenen Fall, bei dem nach Eintritt der Bestandskraft der Steuerfestsetzung in einem Änderungsbescheid geänderte Besteuerungsgrundlagen in einer Weise berücksichtigt wurden, dass ein Antrag gemäß § 32d Abs. 6 EStG erstmals erfolgreich gestellt werden konnte.

Subtile Unterscheidungen also, die eine standardmäßige Antragstellung nach § 32d Abs. 6 EStG in der Einkommensteuererklärung zu vermeiden hilft (BeckOK EStG/Schmidt EStG § 32d Rn. 276 ff.).

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