Besteuerung der Sanierungserträge und kein Ende - FG Münster v. 4.9.2023 – 9 K 3511/20, BeckRS 2023, 35206

von StB Dr. Martin Weiss, veröffentlicht am 27.12.2023
Rechtsgebiete: Steuerrecht|2285 Aufrufe

Die nächste Runde im Kampf um die Besteuerung von „Sanierungserträgen“! Durch § 3a EStG und § 7b GewStG war eine vermeintlich klare gesetzliche Regelung getroffen worden, die die Kämpfe rund um die Altregelung durch den früheren „Sanierungserlass“ des BMF ein für alle Mal beenden sollte. Letzteren hatte der Große Senat des BFH als Verstoß gegen den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung gewertet (BFH v. 28.11.2016 – GrS 1/15, BeckRS 2017, 94182; zur Entwicklung BeckOK EStG/Bleschick EStG § 3a Rn. 11 ff.).

Insbesondere die Übergangsvorschriften zur Anwendung der Neuregelungen sind dabei problematisch. Nachdem der Große Senat seinen Beschluss am 8.2.2017 veröffentlicht hatte, wurde ein „Vertrauensschutz“ durch das Schreiben vom 27.4.2017 (DStR 2017, 986) vom BMF ausgearbeitet. Das BMF machte die Unterscheidung zwischen „Altfall“ und „Neufall“ im Wesentlichen an dem Datum der Veröffentlichung fest. Diese Vertrauensschutzregelung kam jedoch alsbald erneut unter Beschuss durch den BFH: Dieser sah in der Anwendung des Sanierungserlasses auf Altfälle, in denen der Forderungsverzicht bereits bis zum 8.2.2017 endgültig vollzogen war, erneut einen Verstoß gegen den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung (BFH v. 23.8.2017 – I R 52/14, BeckRS 2017, 128806 Rn. 18 ff.; BFH v. 23.8.2017 – X R 38/15, BeckRS 2017, 128823 Rn. 18).

Aber auch die Anwendungsregelung für § 3a EStG, die § 52 Abs. 4a EStG gesetzlich festzurrt, ist nun umkämpft, ebenso wie § 36 Abs. 2c GewStG für Zwecke des § 7b GewStG. § 3a EStG ist nach dessen Satz 1 erstmals in den Fällen anzuwenden, in denen die Schulden ganz oder teilweise nach dem 8.2.2017 erlassen wurden. Auf Antrag des Steuerpflichtigen ist § 3a EStG nach § 52 Abs. 4a Satz 3 EStG aber auch in den Fällen anzuwenden, in denen die Schulden vor dem 9.2.2017 erlassen wurden. Die darin liegende begünstigende echte Rückwirkung ist zwar verfassungsrechtlich zulässig. Um zu seinem Recht zu kommen, müssen beim Steuerpflichtigen jedoch Festsetzungs- bzw. Feststellungsfristen noch offen sein (§ 169 AO). Im rückwirkenden Inkrafttreten des Gesetzes selbst liegt sicherlich kein rückwirkendes Ereignis (§ 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO), das mit seiner eigenen Anlaufhemmung (§ 175 Abs. 1 Satz 2 AO) daherkäme (AEAO zu § 175, unter 2.2.).

Ist aber in dem Antrag nach § 52 Abs. 4a Satz 3 EStG möglicherweise ein rückwirkendes Ereignis zu sehen? Zwischen den Finanzgerichten ist darüber Streit entbrannt. Das FG Baden-Württemberg sieht in dem Wahlrecht kein Tatbestandsmerkmal, sondern lediglich eine formelle Voraussetzung der rückwirkenden Anwendung des § 3a EStG auf einen Altfall (FG Baden-Württemberg v. 16.11.2021 – 8 K 1367/20, BeckRS 2021, 45868). Anders hingegen jetzt das FG Münster (v. 4.9.2023 – 9 K 3511/20, BeckRS 2023, 35206): Nach seiner Rechtsauffassung ist der Antrag, auch wenn er nicht Teil des § 3a EStG selbst ist, als Teil von dessen Tatbestandes anzusehen (siehe auch AEAO vor § 172, unter 8.5.5). Die vom Gesetzgeber angestrebte Rechtssicherheit in Altfällen würde verfehlt, wenn in dem Antrag nicht auch ein rückwirkendes Ereignis gesehen würde.

Die Problematik wird nun den BFH beschäftigen. Das FG Münster hat die Revision mit Blick auf die gegen das Urteil des FG Baden-Württemberg bereits anhängige Revision (IV R 2/22) zugelassen. Die Erkenntnisse daraus werden auch für andere steuerliche „Anträge“ interessant sein können. Zu denken wäre etwa an die Kämpfe rund um die Anträge bei der Abgeltungssteuer (§ 32d Abs. 4 EStG; BFH v. 21.8.2019 – X R 16/17, BeckRS 2019, 33440 Rn. 45; § 32d Abs. 6 EStG; BFH v. 12.5.2015 – VIII R 14/13, BeckRS 2015, 95475 Rn. 22 ff.).

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