Wo gehört er hin - der Gewerbesteuermessbetrag? (FG Düsseldorf v. 10.8.2023 - 8 K 2364/19 G)

von StB Dr. Martin Weiss, veröffentlicht am 08.03.2024
Rechtsgebiete: Steuerrecht|2446 Aufrufe

Innerstaatliche Steuergestaltungen – nachdem die dafür im „Wachstumschancengesetz“ vorgesehene Anzeigepflicht vom Tisch zu sein scheint, stellen sich naturgemäß weiterhin materiell-rechtliche Grenzen. Bei der Gewerbesteuer liegt das „Hebesatzgefälle“ zwischen den inländischen Gemeinden (§ 16 GewStG) als „Planungstool“ auf der Hand. Eine rein gewerbesteuerliche „Entstrickung“ kennt das Ertragsteuerrecht – mit Ausnahme des § 6b Abs. 4 Satz 2 EStG – nicht (BeckOK GewStG/Weiss GewStG § 7 Rn. 83). Die Finanzverwaltung ist ebenfalls dieser Ansicht (H 7.1 Abs. 1 GewStH, „Überführung von Einzelwirtschaftsgütern“).

Wer mithin ein Einzelwirtschaftsgut unter § 6 Abs. 5 Satz 3 EStG auf einen Gewerbebetrieb (§ 2 GewStG) überträgt, muss sich über die gewerbesteuerliche Verhaftung keine Gedanken machen, da diese für die von § 6 Abs. 5 Satz 3 iVm Satz 1 EStG geforderte Sicherstellung der Besteuerung der stillen Reserven unbeachtlich ist (BMF 8.12.2011, BStBl. I 2011, 1279 Rn. 12 iVm Rn. 5). Umgekehrt gibt es auch keine Erhöhung des Buchwertes („step-up“), wenn das Einzelwirtschaftsgut erstmalig in die Gewerbesteuer verstrickt wird (BFH v. 28.4.2016 – IV R 6/13, BStBl. II 2016, 725 Rn. 14). Ganz ähnliche Effekte ergeben sich im Umwandlungssteuergesetz. Die „Mutter“ aller Bewertungen unterhalb des Regelansatzes des gemeinen Wertes verlangt für die Sicherstellung des deutschen Besteuerungsrechts an den übertragenen Wirtschaftsgütern nur eine weitere Verstrickung in die deutsche Einkommen- oder Körperschaftsteuer (§ 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 UmwStG). Der gewerbesteuerliche Aufgriff ist auch insoweit unbeachtlich (BMF v. 11.11.2011, BStBl. I 2011, 1314 Rn. 03.17, erster Absatz; Rn. 18.01; Rn. 19.01; Desens, DStR 2022, 1588, 1591).

Durch Verlagerung von Betriebsstätten (§ 12 AO; BFH v. 5.11.2014 – IV R 30/11, BeckRS 2015, 94289 Rn. 26) hin zu inländischen Gemeinden mit geringen Hebesätzen („Gewerbesteueroase“) ergibt sich eine weitere Möglichkeit zur „innerstaatlichen Steuerersparnis“. Eine „Entstrickung“ oder gar „Funktionsverlagerung“, wie sie im Internationalen Steuerrecht ins solchen Fällen droht (§ 4 Abs. 1 Satz 3 EStG; § 16 Abs. 3a EStG; § 1 Abs. 3b AStG), gibt es im innerstaatlichen Kontext nicht. Die Frage, wo die Geschäftsleitungsbetriebsstätte (§ 12 Satz 2 Nr. 1 AO) als – in vielen Fällen einzige – Betriebsstätte im Inland belegen ist, bekommt damit große Relevanz (siehe zu weiteren Nachweisen z.B. FG München v. 5.6.2023 – 7 V 94/23, BeckRS 2023, 21912 Rn. 21; Töben/Schrepp, DStR 2023, 2708).  Geht es bei grenzüberschreitenden Beziehungen darum, ob überhaupt eine sachliche Steuerpflicht nach § 2 Abs. 1 Satz 1, 3 GewStG besteht (BFH v. 23.3.2022 – III R 35/20, BeckRS 2022, 19633 Rn. 16 ff.), wird hier „nur“ die Zerlegung des Gewerbesteuermessbetrags (§§ 28 ff. GewStG) beeinflusst. Häufig wird auch für vermögensverwaltende, nur durch § 15 Abs. 3 EStG oder § 2 Abs. 2 Satz 1 GewStG sachlich gewerbesteuerpflichtige Gesellschaften die „erweiterte Kürzung“ (§ 9 Nr. 1 Satz 2 ff. GewStG) – mit all ihren Fußangeln – durch einen geringen Hebesatz „abgesichert“.

Dass man hier gut auf Nachfragen der Finanzbehörden zum Sachverhalt vorbereitet sein und das Verfahrensrecht der §§ 184 ff. AO zur Festsetzung des Messbetrags, Zerlegung und Zuteilung beherrschen sollte, zeigen die jüngsten Streitigkeiten vor den Finanzgerichten. Ausgelöst werden die Fälle häufig durch die Steuerfahndung, die der Auffassung ist, der „tatsächliche Firmensitz“ – die Geschäftsleitungsbetriebsstätte – befinde sich in einer anderen inländischen Gemeinde mit höherem Hebesatz. Im Urteilssachverhalt des FG München (v. 30.1.2023 – 7 K 2200/18, BeckRS 2023, 3684) etwa war eine Differenz von 200 Prozentpunkten „im Feuer“ (dort Rz. 7).

In vielen Fällen geht es zudem gar nicht um einen Zerlegungsbescheid (§ 188 Abs. 1 Satz 1 AO), der tatbestandlich voraussetzt, dass es mehrere (inländische) Betriebsstätten gibt, denen jeweils ein Anteil am Gewerbesteuermessbetrag zuzurechnen ist (FG Berlin-Brandenburg v. 5.4.2023 – 4 V 4019/23, BeckRS 2023, 9346 Rn. 31). Vielmehr ist ein Zuteilungsbescheid im Streit, da der Steuermessbetrag in voller Höhe einem Steuerberechtigten zuzuteilen ist, aber Streit darüber besteht, welchem Steuerberechtigten er zusteht (§ 190 Satz 1 AO).

Wie schwierig der Nachweis des Sachverhalts bei der Frage der Geschäftsleitungsbetriebsstätte des § 12 Satz 2 Nr. 1 AO insbesondere bei vermögensverwaltender Tätigkeit wirklich ist, lässt sich gerade im neuen Urteil des FG Düsseldorf v. 10.8.2023 (8 K 2364/19 G, BeckRS 2023, 44059) erahnen – auf sagenhaften 329 Randziffern muss die Frage geklärt werden. Nur das finanzgerichtliche Verböserungsverbot schützt die Klägerin am Ende vor einer – für sie – schlechteren Zerlegung ihres Messbetrags. Wer „Munition“ für einen Schriftsatz im Bereich der Zerlegung im Kontext von „Gewerbesteueroasen“ braucht, wird hier sicher fündig!

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