Die Kämpfe um die Aufwärtsinfektion des § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG gehen weiter - Runde 37 (BFH v. 11.7.2024 - IV R 18/22)

von StB Dr. Martin Weiss, veröffentlicht am 22.08.2024
Rechtsgebiete: Steuerrecht|2415 Aufrufe

Die unendliche Geschichte – Teil 37! Bagatellgrenzen im Steuerrecht sollten eigentlich eine Sache des Gesetzgebers sein, der bspw. festschreibt, dass Gewinne bei § 23 EStG aus „privaten Veräußerungsgeschäften“ steuerfrei bleiben, wenn der aus den privaten Veräußerungsgeschäften erzielte Gesamtgewinn im Kalenderjahr weniger als 1.000 Euro betragen hat (§ 23 Abs. 3 Satz 5 EStG). Etwas weniger präzise, aber immer noch hilfreich, sind Regelungen wie in den Aktivitätsvorbehalten der deutschen DBA, die eine Freistellung von Gewinnen ausländischer Betriebsstätten (Art. 5 OECD-MA 2017) häufig daran knüpfen, dass die Betriebsstätte in dem Wirtschaftsjahr, in dem sie den Gewinn erzielt hat, …  ihre Bruttoerträge ausschließlich oder fast ausschließlich aus aktiven Tätigkeiten bezogen hat (z.B. Art. 23 Abs. 2 Buchst. c DBA Irland 2011). Enthält das DBA keinen solchen Aktivitätsvorbehalt, kommt jedenfalls § 20 Abs. 2 AStG bei zusätzlich gegebener „Niedrigbesteuerung“ (§ 8 Abs. 5 AStG) zur Anwendung. Dieser hat zwar keine Bagatellgrenze, geht aber rechtsfolgenseitig „fein ziseliert“ vor („soweit“).

Wenn all diese Techniken nicht eingesetzt werden, kommt es zu Konflikten, und die Rechtsprechung der Finanzgerichte muss mühsam eigene Bagatellgrenzen „finden“. Bei § 9 Nr. 1 Satz 2 ff. GewStG und der bei der erweiterten Kürzung zu fordernden „Ausschließlichkeit“ in qualitativer, quantitativer wie zeitlicher Hinsicht (BFH v. 26.2.2014 – I R 47/13, BeckRS 2014, 95488 Rn. 18) hatte sie diese in ständiger Rechtsprechung abgelehnt (BFH v. 11.4.2019 – III R 36/15, BeckRS 2019, 19995 Rn. 35 ff.). Daraufhin hatte jedoch der Gesetzgeber ein Einsehen und hat § 9 Nr. 1 S. 3 Buchst. c GewStG im Fondsstandortgesetz (v. 3.6.2021, BGBl. 2021 I 1498) ergänzt.

Bei der Abfärbungsregelung des § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG, die in ihrem Satz 1 die beiden Alternativen „Aufwärtsinfektion“ und „Seitwärtsinfektion“ aufweist, ist hingegen die Rechtslage verworren. Eine gesetzliche Regelung zu Bagatellgrenzen gibt es nicht. Nach einem langwierigen Prozess über Jahrzehnte haben sich Bagatellgrenzen für die erste Alternative durch Urteile des VIII. Senat im Jahr 2014 etabliert (EStH 15.8 Abs. 5, „Bagatellgrenze“, 1. Gedankenstrich). Eine Umqualifizierung nach § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG in Einkünfte aus Gewerbebetrieb tritt danach nicht ein, wenn die originär gewerblichen Nettoumsatzerlöse 3 % der Gesamtnettoumsatzerlöse der Gesellschaft und den Betrag von 24.500 € im Veranlagungszeitraum nicht übersteigen. Zwischenzeitlich ist diese Bagatellgrenze nicht nur für gemischt tätige freiberufliche, sondern auch für gemischt tätige vermögensverwaltende Personengesellschaften anerkannt (BFH v. 30.6.2022 – IV R 42/19, BStBl. II 2023, 118; H 15.8 Abs. 5 EStH, „Bagatellgrenze“, 3. Spstr.).

Bei der zweiten Alternative des § 15 Abs. 3 Nr. 1 Satz 1 EStG („Aufwärtsinfektion“) hat der BFH eine solche Bagatellgrenze für einkommensteuerliche Zwecke abgelehnt (BFH v. 6.6.2019 – IV R 30/16, BStBl. II 2020, 649), gleichzeitig aber die Eigenschaft der Obergesellschaft als Gewerbebetrieb im Sinne des § 2 Abs. 1 GewStG verneint. Das Urteil wurde im Bundessteuerblatt veröffentlicht, aber bezüglich der gewerbesteuerlichen Problematik mit einem Nichtanwendungserlass belegt (Oberste Finanzbehörden der Länder v. 1.10.2020, DStR 2020, 2252).

Selbst wenn man im Einkommensteuerrecht bleibt, stellen sich allerdings jetzt Detailfragen. Eine davon ist seit Langem geklärt: Es kommt bei § 15 Abs. 3 Nr. 1 Satz 1 2. Alt. EStG auf den „Bezug“ von Einkünften aus der gewerblichen Unterpersonengesellschaft an, was bei abweichendem Wirtschaftsjahr (§ 8b EStDV) zu Problemen führen kann (§ 4a Abs. 2 Nr. 2 EStG; H 15.8 Abs. 5 EStH, „Beteiligung an einer gewerblich tätigen Mitunternehmerschaft“). Jetzt kommen neue Fragen auf: Nachdem der Gesetzgeber auch Verluste aus der Unterpersonengesellschaft für eine Aufwärtsinfektion ausreichen lässt (§ 15 Abs. 3 Nr. 1 Satz 2 2. Alt. EStG), ist bei Kommanditgesellschaften als Untergesellschaft häufig § 15a EStG teilweise oder vollumfänglich anwendbar. Die Verluste sind dann nur verrechenbar. Den erforderlichen Bezug der gewerblichen Einkünfte lässt dies indes nach einem neuen Urteil des BFH (vom 11.7.2024 - IV R 18/22) nicht entfallen. Für die noch in der Schwebe befindliche Frage der „gewerbesteuerlichen Infektion“ in diesen Fällen wäre § 15a EStG hingegen irrelevant (R 7.1 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 GewStR; BeckOK GewStG/Weiss GewStG § 10a Rn. 73).

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