Die Folgen des Anschlags von Solingen

von Prof. Dr. Henning Ernst Müller, veröffentlicht am 29.08.2024
Rechtsgebiete: StrafrechtKriminologie1|1562 Aufrufe

Die Terrorwelle des IS in Europa 2015 - 2017 (Berliner Weihnachtsmarkt, Pariser Club Bataclan u.v.m.) schien nach der militärischen Niederlage des IS zumindest eingedämmt zu sein. Aber der Anschlag in Solingen, der von einem (selbsternannten) IS-"Soldaten" begangen wurde und zu dem sich der IS bekannt hat, zeigt zumindest, dass die Idee eines durch den Islam legitimierbaren Terrors immer noch bzw. wieder Anhänger findet, auch in Europa. Die Situation im Nahen Osten - der Terroranschlag der Hamas und die Reaktion Israels ist erkennbar Auslöser dieser neuen Terrorwelle.

Die unmittelbaren Folgen des Anschlags: Tote und Verletzte. Sie wollten in Solingen ausgerechnet an einem Fest für eine weltoffene vielfältige Stadt teilnehmen und wurden vom Attentäter grausam niedergestochen.

Und natürlich muss sich die Gesellschaft die Frage stellen, was sie tun kann, um weitere Anschläge zu verhindern. Eine Antwort ist die von Thomas Mücke, einem Pädagogen und Politologen vom Violence Prevention Network, das in der Extremismusprävention und Deradikalisierung von Rechtsextremismus und Islamismus tätig ist, in einem Interview auf tagesschau.de

Es geht darum die Radikalisierung von (potentiellen) Tätern rechtzeitig zu erkennen, um ihr gezielt und individuell entgegenzuwirken bzw. die Anschlags-Gefahr rechtzeitig zu erkennen und Anschläge zu verhindern. Dies geschieht auch tatsächlich, in Zusammenarbeit u.a. der o.g. NGO mit den Sicherheitsbehörden, die seit dem Weihnachtsmarkt-Anschlag vom Breitscheidplatz und den dazu führenden Fehlern (Blog-Beitrag) auch gelernt haben. Und ich würde noch weiter in diese Richtung gehen. Erschreckend ist, dass in den Sozialen Medien, insbesondere You Tube und TikTok, rechtsextreme und islamistische Radikalisierungsangebote nicht nur gang und gäbe sind - sie werden auch von Algorithmen gefördert und teilweise mit Werbeeinahmen bezahlt. Gegen diese Wellen der Desinformation, Volksverhetzuung und Gewaltwerbung ist trotz entsprechender Regulierungsversuche die EU bisher machtlos. Hier sehe ich einen Ansatz, die einschlägigen Anbieter in Europa viel stärker in die Pflicht zu nehmen.

Aber die Realität ist auch (Zitat Mücke)

Aber unabhängig davon, was alles getan wird: Man wird nie ausschließen können, dass es den einzelnen Anschlag geben wird. (...) Diese Arbeit findet im Stillen statt und wir haben in Deutschland, was die Deradikalisierungsarbeit angeht, in den letzten zehn Jahren ein sehr gutes System aufgebaut. Aber noch einmal: Man kann Vieles verhindern. Man kann leider nicht alles verhindern.

 

Was empfiehlt also Mücke, der selbst einräumt, man könne trotz aller Bemühung nicht jeden Anschlag verhindern? 

Aber eine Sache ist sehr wichtig: Terroristische Anschläge haben ein Ziel. Nämlich das Ziel, die Gesellschaft zu spalten, Angst und Schrecken zu verbreiten. Und wir dürfen uns auf diese Spaltung nicht einlassen. Für die Vielfältigkeit einer Gesellschaft ist es jetzt wichtig, sich dafür einzusetzen, was Terroristen am meisten hassen. Und das ist Demokratie und Freiheit.

Geradezu erschreckend ist, wie einige demokratische Politiker - offenbar von einer rechtsextremistischen Partei im Wahlkampf vor sich her getrieben - ganz im Gegensatz zur obigen Empfehlung reagieren. Nämlich mit Vorschlägen und Forderungen, die jeder Vernunft entbehren und mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht einmal geeignet sind, den Rechtsextremisten in den Landtagswahlen Stimmen abzunehmen:
Der Anschlag eines syrischen Staatsangehörigen wird benutzt, sämtliche aus Syrien geflüchteten Menschen (indirekt) dafür mitverantwortlich zu machen und migrationspolitisch einen unbedingten Aufnahmestopp für Syrer und Afghanen zu verhängen, eine Forderung, die weder rechtlich zulässig noch tatsächlich umsetzbar ist. Zusätzlich kommt der Vorschlag, abgelehnten und ausreisepflichtigen Asylbewerbern die Sozialleistungen zu entziehen, was - man muss es so deutlich sagen, aus kriminologischer Sicht Harakiri wäre. Es handelt sich um der BILD-Zeitung und den Rechtsextremisten nach dem Mund geredete rechtswidrige und menschenfeindliche Propaganda - ausgerechnet von einem Bundesminister der FDP. Hier wird Migrationspolitik und Terrorabwehr vermischt bzw. ineinsgesetzt, das ist von der rechtsextremistischen AfD und der Personenkultpartei BSW abgeschauter gefährlicher Populismus. Die BILD-Zeitung, ermutigt wohl von der politischen Durchschlagskraft ihrer "Berichterstattung", startet derweil die persönliche Hetzjagd auf eine Rechtsanwältin, die sich im Asylrecht spezialisiert hat. Das beschwört nicht nur die Gefahr eines persönlichen Angriffs herauf, sondern ist auch ein gefährlicher Angriff auf den Rechtsstaat und seine Institutionen.

Was ist  von einer Verschärfung des Waffenrechts zu halten, insbesondere, was das Beisichführen von Messern angeht?Aus kriminologischer Sicht bin ich Befürworter solcher Verschärfungen. Sie wären geeignet, dem einen oder anderen Jugendlichen, der sich alltäglich mit Messern bewaffnet, und damit die Gefahr von Delikten mit Messern als Droh- und Tatmittel erhöht, eine deutliche strafrechtliche Grenze aufzuzeigen. Und dies könnte auch kriminelle Akte mit Messern im Allgemeinen reduzieren. Aber die Annahme wäre naiv, ein solches Verbot würde von einem Attentäter des IS bzw. überhaupt von einem Terroristen bei Planung und Ausführung beachtet werden. Ein Messerverbot wird weder Terroristen stoppen noch auch nur einen solchen Anschlag verhindern.  Sind (potentielle) Täter einmal so weit radikalisiert, dass sie bereit sind für eine Ideologie Menschen zu töten, bedarf es nur geringer Fantasie, um in einer freiheitlichen offenen Gesellschaft geeignete Anschlagsziele und Instrumente zu finden.

Update 30.08.2024

Was definitiv nicht hilft, sondern solche Taten künftig noch wahrscheinlicher macht, ist die (negativ gemeinte, aber von den einschlägigen Kreisen positiv verstandene) Heldenverehrung des Terroristen, wie sie nun durch den "Focus" geschieht mit einem Porträt auf der Titelseite. Das Problem, das ich bereits vor etlichen Jahren hier besprochen habe, besteht auch bei islamistisch motivierten  Terrortätern - ganz überwiegend junge Männer, denen auch daran gelegen ist, innerhalb und außerhalb  ihres Wahnsystems "gewaltsamer Islam"/"IS", persönliche Anerkennung und Berühmtheit zu erlangen.

 

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1 Kommentar

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Sehr geehrter Herr Prof. Dr. Müller,

meiner Ansicht nach wäre hilfreich ein Sicherheitskonzept mit Polizeipräsenz bei der Veranstaltung. In Solingen suchte die Polizei nach der Tat Videos und Zeugen. Das führt zu der Vermutung, dass Polizei auf dieser Veranstaltungsfläche nicht vor Ort war. Der Platz ist llaut Google Maps etwa 60 x 80 m groß, also 4800 m². Bei 2 Personen/ Quadratmeter wären das 9600 Personen. Von einer Füllung von 10% bis 50% würde ich schon ausgehen - also 900 bis 4800 Personen. Bei Olympia in Paris gab es ein Verhältnis Polizei zu Besucher von 1 : 12,6, bei der Eröffnungsveranstaltung sogar 1 : 6,6. Diese hohen Werte sind bei einem Stadtfest weder gewollt noch finanzierbar. Der Quotient sollte sicherlich zwischen 1:100 und 1:1000 liegen und deutlich unter 1:1000. Nachfragen bei der Stadt Solingen und der Pressestelle der Polzei nach diesem Zahlenverhältnis vor dem Anschlage wurden leider nicht beantwortet. Mehrere Hundertschaften nach dem Anschlag helfen nicht, einen Anschlag zu verhindern.

Ganz Deutschland ist bereits eine Mordverbotszone. Verbote, Werkzeuge mit sich zu führen und hierfür in jeder Stadt und zu jeder Zeit unterschiedliche einzelne Ausnahmen zuzulassen, kriminalisiert pauschal alle Nutzer von Werkzeugen. Mir ist bisher keine Verordnung zu einer sogenannten "Waffenverbotszone" bekannt, die nicht in sich widersprüchlich und unvollständig und praktisch nicht anwendbar ist. Schriftliche Nachfragen werden von Behörden oft monatelang nicht beantwortet. Sehr oft bleibt sogar die Nachfrage nach dem exakten lokalen Verordnungstext unbeantwortet, dieser ist regelmäßig auch den Polizeibeamten vor Ort unbekannt und kann auch von den Behörden selber nicht recherchiert werden. Telefonische Nachfragen werden damit beantwortet, dass man zwar bei Berufsausübung (z.B. als Meister für Veranstaltungstechnik) mutmaßlich gegen den Wortlaut einer Verordnung verstoßen müsste, aber die Polizeibeamten würden dann vor Ort entscheiden, dass die Verordnung nicht angewendet wird. Man ist also jetzt schon bei legaler Berufsausübung auf nicht rechtskonforme Willkür-Entscheidungen angewiesen.

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